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Keine Mobilfunkantennen mehr in Wohnzonen

Ein bemerkenswertes, zukunftsweisendes Bundesgerichtsurteil dazu.

Ein Beitrag von Hans-U. Jakob, vom 16.6.2012




Mobilfunkantenne.png<<<Bild links: Das Bundesgericht bestätigt: Mobilfunkantennen werden von der Bevölkerung als Bedrohung empfunden und dürfen aus Wohnzonen verbannt werden.

In den zusammengelegten Urteilen 1C_51/2012 und 1C_71/2012 hat das Bundesgericht der Gemeinde Hinwil ZH recht gegeben, welche künftig Mobilfunkantennen mittels eines Kaskadenmodells aus Wohnzonen verbannen kann. Ähnlich, aber viel klarer wie dies kurz zuvor der Gemeinde Urtenen-Schönbühl zugestanden worden ist. Siehe unter /das-bundesgerichtsurteil-von-urtenen-schoenbuehl/

Die Textblöcke in Kursivschrift sind Originalzitate aus dem Urteil, rote Einfärbungen erfolgten durch den Autor



Um es vorwegzunehmen, das Urteil gilt nur für Gemeinden, die ihr Bau- und Zonenreglement jetzt sofort entsprechend anpassen. Anderswo geht der Antennen-Wildwuchs munter weiter. Die 2500 übrigen Gemeinden der Schweiz tun gut daran das Urteil eingehend zu studieren und schleunigst zu handeln. Denn der neue Mobilfunkstandard LTE benötigt voraussichtlich eine noch 10mal höhere Antennendichte als bisher.

Wie lautet nun die Kaskadenregelung der Gemeinde Hinwil:

Mobilfunkanlagen sind nur in folgenden Zonen und gemäss folgenden Prioritäten zulässig:

1. Priorität: Industrie- oder Gewerbezonen

2. Priorität: Zone für öffentliche Bauten in denen stark und mässig störende Betriebe zulässig sind

3. Priorität: Zentrumszone und Wohnzonen mit Gewerbeerleichterung

4. Priorität: Kernzonen

Erst wenn der Betreiber den Nachweis erbringt, dass aufgrund von funktechnischen Bedingungen ein Standort ausserhalb der zulässigen Zonen erforderlich ist, ist eine Mobilfunkanlage auch in den übrigen Wohnzonen zulässig.

Eine solche Regelung passte nun Swisscom, Sunrise und Co gar nicht. Hier ein Auszug aus ihrer Beschwerde an das Bundesgericht:

Die Beschwerdeführerinnen bestreiten, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Beschränkung von Mobilfunkstandorten in Wohnzonen bestehe. Ihres Erachtens verursachen gesetzeskonform betriebene Mobilfunkanlagen weder ideelle Immissionen noch wirken sie sich wertmindernd auf Liegenschaften aus. Jedenfalls aber sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich allfällige ideelle Immissionen trotz ähnlicher Aufenthaltszeiten in reinen Wohnzonen ungleich stärker auswirken sollten als in den Arbeitsplatzzonen. Ideelle Immissionen rührten von Immissionsängsten, die abschliessend – via Vorsorgeprinzip – in der NISV berücksichtigt seien; insofern bestehe keine Zuständigkeit der Gemeinde. Es sei auch widersprüchlich zu verlangen, dass Mobilfunkantennen der Quartierversorgung dienen (Ziff. 2.11.3 BZO), sie aber aus den Wohnzonen zu verbannen, in denen eine grosse Nachfrage an Mobilfunkdiensten bestehe.

Umso erstaunlicher die Antwort des Bundesgerichts. Entspricht doch die von Swisscom, Sunrise und Co dargelegte Sachlage weitgehend der bisherigen von ihnen gekauften Rechtssicherheit, für welche sie erst im Februar dieses Jahres, eine Milliarde Franken an sogenannten Konzessionsgebühren in die Staatskasse abgeliefert haben. Und jetzt verkündet das Bundesgeicht dies:

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf bei der Ortsplanung grundsätzlich berücksichtigt werden, dass bestimmte Nutzungen oder Anlagen in der Bevölkerung (oder Teilen davon) unangenehme psychische Eindrücke erwecken und dazu führen, dass die Umgebung als unsicher, unästhetisch oder sonst wie unerfreulich empfunden wird (BGE 136 I 395 E. 4.3.2 und 4.3.2 S. 401 mit Hinweisen). Erfahrungsgemäss wird vor allem die Installation von Mobilfunkanlagen in Wohngebieten von Teilen der Bevölkerung als Bedrohung bzw. als Beeinträchtigung der Wohnqualität empfunden, wie zahlreiche Einsprachen, Petitionen und Initiativen belegen. Dass es sich um ein Anliegen der Bevölkerung handelt, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die neue Regelung der Gemeinde Hinwil an der Gemeindeversammlung vom 15. März 2010 mit offensichtlichem Mehr angenommen wurde.

Einsprachen und Beschwerden von Personen, deren Arbeitsort in der Nähe projektierter Antennen liegen, sind deutlich seltener, obwohl auch sie zur Beschwerde legitimiert wären.

Mobilfunkantennen als Bedrohung

Jetzt ist die Botschaft nach über 10 Jahren unermüdlicher Arbeit – allein die NIS-Fachstelle von Gigaherz war an über 700 Gerichtsverfahren beratend und unterstützend beteiligt – auch am Bundesgericht in Lausanne angekommen. Die Schweizer Bevölkerung empfindet also Mobilfunkantennen in Wohnzonen mehrheitlich als Bedrohung, wie die zahlreichen Einsprachen, Petitionen und Initiativen sowie die in Hinwil stattgefundene Abstimmung belegen. So deutlich hat sich noch kein schweizerischer Gerichtshof zu äussern gewagt.

Warnende Worte vom Bundesgericht an die Adresse der Mobilfunker und ihrer Hintermänner, welche den Widerstand gegen den Antennenwildwuchs immer noch einer einzigen Hand voll durchgeknallten, sektiererischen  Schreibtischtätern und psychisch gestörten Einzelpersonen zuschreiben möchten.

Nicht gefruchtet hat offensichtlich die millionenschwere Propagandamaschinerie der Mobilfunklobby mit ihrem ebenso millionenschweren Sponsoring an die universitären Verharmlosungsinstitute. Ebenso versagt haben offensichtlich alle staatlichen Verharmlosungskonzerte, wie etwa das nationale Forschungsprogramm NFP-57 oder dasjenige des Verharmlosungsbeauftragten des Bundesrates mit seinem ELMAR-Programm. Siehe unter /nfp-57-die-oeffentliche-informationsveranstaltung/ und /der-neue-bafu-bericht-ueber-elektromagnetische-hypersensibiliaet-ehs/

Swisscon, Sunrise und Co lassen denn auch bereits in der Klageschrift ihren Befürchtungen freien Lauf:

Die Beschwerdeführerinnen machen schliesslich geltend, dass ihnen eine grosse Belastung drohe, wenn sie künftig beim Aufbau und Betrieb ihrer Netze u.U. Hunderte von unterschiedlichen kommunalen Regelungen ohne jegliche Abstimmung untereinander beachten müssten.

Dazu meint das Bundesgericht lakonisch:

Dieser Zustand ist jedoch in der Schweiz der Normalzustand: Wer eine Baute oder Anlage innerhalb der Bauzone errichten will, muss nicht nur die einschlägigen bundes- und kantonalrechtlichen Bestimmungen, sondern auch die Bau- und Zonenordnung der jeweiligen Gemeinde respektieren. Grundsätzlich obliegt es den Gemeinden, im Rahmen der gesetzlichen und richtplanerischen Vorgaben über Art und Mass der Nutzungen im verfügbaren Raum, die Bedürfnisse von Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt möglichst konfliktfrei zu befriedigen (VLP-ASPAN, Einführung in die Raumplanung, Bern 2011, S. 35).

Wie diese konfliktfreie Regelung, bei den tausenden von zusätzlichen Antennen, welche die neue Mobilfunkgeneration LTE erfordert, vor sich gehen soll, lässt das Bundesgericht (noch) offen.

Einen Dämpfer setzt das Bundesgericht den Strahlungsbekämpfern dennoch auf:

Die Kaskadenregelung, wie in Hinwil bewilligt, soll nur für sichtbare und nicht für versteckte Antennen gelten. Das hinterlistige Verstecken von Mobilfunkantennen in Kirchtürmen, künstlichen Kaminen usw. soll also weiterhin erlaubt bleiben…..

Das Bundesgericht glaubt also immer noch an die Mär, dass nur der Anblick einer Antenne krank mache und dass die Bevölkerung durch willkürlich festgelegte Grenzwerte genügend geschützt sei. Immerhin werden jetzt aber visuelle, oder wie sich das Gericht ausdrückt, ideelle Immissionen ohne wenn und aber zugegeben. Da bleibt für uns (Gigaherz) und unsere Verbündeten weiterhin Etliches an Überzeugungsarbeit zu tun. Also packen wir’s an. Zum Beispiel mit einem weiteren wissenschaftlichen Kongress im nächsten Frühjahr.

Helfen sie mit und werden Sie Mitglied bei uns. Anmelden können Sie sich gleich hier: https://gigaherz.ch/pages/DCber-uns/beitrittsformular.php

Wie das jüngste Bundesgerichtsurteil aufzeigt, ist die Sache nicht hoffnungslos. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Von Hans-U. Jakob

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