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Missbrauch der Wissenschaft – ein weiteres Beispiel

Die Dänische Kohortenstudie als Beispiel für den Missbrauch der Wissenschaft im Interesse der Mobilfunkindustrie

von Prof. Dr. Franz Adlkofer, 24.7.2011

Dass die gegenwärtigen Grenzwerte für die Hochfrequenzstrahlung nur die Interessen der Mobilfunkindustrie, aber keineswegs die Gesundheit der Mobiltelefonnutzer schützen, ist seit langem bekannt.

Mit den Methoden institutioneller Korruption ist es der Industrie gelungen, deren Anerkennung durch zahlreiche europäische Staaten, darunter auch Deutschland, bis heute sicher zu stellen [1]. Dazu wird der Bevölkerung aus Gründen der Gewinnmaximierung der wahre Stand der Forschung vorenthalten und gesundheitliche Risiken, denen sie ausgesetzt ist, werden auf zynische Weise in Kauf genommen.

Ein Beispiel der besonderen Art für institutionelle Korruption stellt die so genannte Dänische Kohortenstudie dar. In dieser Studie wird das Hirntumorrisiko bei Personen mit Mobilfunkvertrag untersucht, wobei der Besitz eines solchen Vertrages mit der Nutzung des Mobiltelefons gleichgesetzt wird. Kohortenstudien haben den Vorteil, dass im Gegensatz zu Fall?Kontrollstudien keine statistischen Verzerrungen (Bias) durch Selektion, Erinnerungslücken der Teilnehmer und Verweigerung der Teilnahme vorkommen. Deshalb wird die Aussagekraft dieser Studien gegenüber derjenigen von Fall?Kontrollstudien als überlegen angesehen.

Aus der Dänischen Kohortenstudie sind inzwischen vier Publikationen hervorgegangen, die alle in international herausragenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen sind. In diesen Arbeiten wird ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und der Entstehung von Hirntumoren kategorisch ausgeschlossen [2,3,4,5]. Besondere Bedeutung kommt den letzten beiden Publikationen zu, mit denen offensichtlich etwas überhastet noch 2011 darauf reagiert wird, dass ein halbes Jahr zuvor die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der WHO die Hochfrequenzstrahlung als ‚möglicherweise karzinogen’ einstufte. Weiterhin sollte wohl den gerade publizierten NORDCAN?Daten für Dänemark entgegengewirkt werden, die zwischen 2001 und 2010 einen deutlichen Anstieg der Hirntumorrate zeigen.

Die schwedischen Wissenschaftler Fredrik Söderqvist, Michael Carlberg und Lennart Hardell haben sich nun die Mühe gemacht, die wissenschaftliche Qualität der Dänischen Kohortenstudie zu überprüfen [6].

Die Studie beruht auf 420.095 von 723.421 Mobiltelefonverträgen, die in der Zeit von Januar 1982 bis Dezember 1995 mit den in Dänemark tätigen Mobilfunkfirmen abgeschlossen wurden. Firmenverträge, insgesamt 200.507, wurden ausgeschlossen, da keine individuelle Zuordnung möglich war. Die Studienperiode umfasste den Zeitraum von 1990 bis 2007. Die Organisatoren gehen davon aus, dass alle 420.095 Vertragsunterzeichner auch Nutzer waren und dass somit die Dauer der Strahlenbelastung mit der Vertragsdauer gleichzusetzen ist. Belege dafür, dass diese Annahme zutrifft, und wenn, wie lange und wie stark die Nutzer der Mobilfunkstrahlung tatsächlich ausgesetzt waren, gibt es nicht. Diese gravierende Schwachstelle der Studie wurde billigend in Kauf genommen.

Söderqvist und Kollegen kommen bei ihrer Analyse nun zu dem Ergebnis, dass die Dänische Kohortenstudie ein Lehrbuchbeispiel für all die Fehler ist, die in der epidemiologischen Forschung gemacht werden können. Zahlreiche Einschränkungen entwerten die Ergebnisse der Studie in einem solchen Ausmaß, dass eine Aussage zu der untersuchten Fragestellung in Wirklichkeit gar nicht möglich ist:

Im Gegensatz zu den in der IARC?Entscheidung berücksichtigten Fall?Kontroll?Studien gibt es in dieser Studie keinerlei Angaben über die tatsächliche Nutzungsdauer des Mobiltelefons.

Zwei Personen, von denen die eine das Mobiltelefon einmal in der Woche lediglich 5 Minuten und die andere täglich 2 Stunden lang benutzt hat, werden bei gleicher Vertragsdauer derselben Expositionsgruppe zugeordnet. Ob fast nicht oder extrem stark der Mobilfunkstrahlung ausgesetzt, wird also gar nicht erst untersucht, obwohl dies über die Höhe des Hirntumorrisikos entscheidet.

Dass die Besitzer von Firmenverträgen, die das Mobiltelefon erfahrungsgemäß am stärksten nutzen, in die Gruppe der Nichtexponierten eingeordnet werden, führt zu einer Missklassifikation der Kontrollgruppe, mit der die Gruppe der Exponierten verglichen wird. Auf diese Weise wird die Strahlenbelastung in der angeblich nicht exponierten Kontrollgruppe erhöht und gleichzeitig wird ihr Abstand zur exponierten Gruppe vermindert. Aufgrund diese methodischen Fehlers wird das Hirntumorrisiko der exponierten Gruppe gesenkt und das Ergebnis der Studie verfälscht.

Diese Missklassifikation der Kontrollgruppe wird noch weiter verstärkt, da ihr die ab 1996 in der Studie nicht mehr berücksichtigten Vertragsunterzeichner von vornherein zugeordnet werden. Damit befindet sich eine Person mit Vertragsabschluss 1996, bei der 2007 ? also 11 Jahre nach Beginn der Mobiltelefonnutzung ? ein Hirntumor diagnostiziert wird, zu Unrecht in der Kontrollgruppe. Auch auf aufgrund dieses methodischen Fehlers wird das Hirntumorrisiko der exponierten Gruppe gesenkt und damit das Ergebnis der Studie verfälscht.

Weitere Mängel bestehen darin, dass im Gegensatz zu Fall?Kontrollstudien keine Angaben darüber vorliegen, welche Seite des Kopfes beim Telefonieren benutzt wurde.

Unberücksichtigt bleibt auch die Tatsache, dass es keinerlei Information über die zusätzliche Nutzung von Schnurlostelefonen gibt, deren Schädigungspotenzial mit dem von Mobiltelefonen durchaus vergleichbar ist. Ein unlösbares Problem besteht darin, dass die Entwicklung von Hirntumoren an die 10 bis 40 Jahre benötigt. Da aber nur bei sehr wenigen Vertragsunterzeichnern bis zum Abschluss der Studie eine Nutzungsdauer von 10 Jahren erreicht wurde, erscheint es schon deshalb fraglich, ob in der Studie insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen der Missklassifikation überhaupt ein Anstieg des Hirntumorrisikos erwartet werden kann.

Zum Schluss ihrer Analyse stellen sich Söderqvist und Kollegen die Frage, ob die Dänische Kohortenstudie nicht von vornherein so angelegt wurde, dass ein erhöhtes Hirntumorrisiko durch Nutzung von Mobiltelefonen gar nicht gefunden werden konnte.

Neben Art und Weise, wie die Studie geplant und durchgeführt wurde, steht dafür:

Die Organisatoren der Studie stellen bereits in der ersten Publikation 2006 fest, dass unter Berücksichtigung der berechneten engen Vertrauensintervalle ein deutlicher Zusammenhang zwischen Krebsrisiko und Mobilfunknutzung ausgeschlossen werden kann. Eine solche Aussage erscheint geradezu absurd, weil eine Langzeitnutzung, die als Voraussetzung dafür erforderlich ist, zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt.

Die Organisatoren sehen in den von ihnen errechneten Vertrauensintervallen, die mit zunehmender Laufzeit der Studie immer enger werden, eine Bestätigung ihrer Aussage, dass ein Krebsrisiko nicht besteht. Sie wollen offensichtlich nicht erkennen, dass dieser statistische Befund gänzlich mit systematischen Fehlern (Bias) erklärt werden kann.

Die Organisatoren der Studie versuchen die Rolle, die die internationale Telekommunikationsindustrie bei der Planung, Durchführung und Finanzierung gespielt hat, zu verschleiern. Dabei kann bei Berücksichtigung der vorliegenden Dokumente kein Zweifel bestehen, dass diese im Hintergrund entscheidend mitgewirkt und wohl auch ihren Einfluss bei der Verbreitung der Ergebnisse geltend gemacht hat.

In Dänemark haben die Tumoren des Gehirns und des zentralen Nervensystems von 2001 bis 2010 signifikant zugenommen, und zwar bei Männern um 40% und bei Frauen um 29%. Statt darauf einzugehen, wird in einem Leitartikel, von dessen zwei Autoren einer als Consultant der internationalen Mobilfunkindustrie tätig ist, mit Daten von anderswoher davon abgelenkt.

Trotz ihrer wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit wurden die Ergebnisse der Dänischen Kohortenstudie von den Medien zu der frohen Botschaft aufgewertet, dass die Mobilfunkstrahlung und damit die Nutzung von Mobiltelefonen unbedenklich sind. Industrie und Politik sehen sie als solide Begründung dafür, dass die Mobilfunkstrahlung das Hirntumorrisiko nicht erhöht und dass eine Senkung der Grenzwerte deshalb nicht gerechtfertigt ist. Die Bundesregierung kann sich auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und die Strahlenschutzkommission im BfS berufen, die die Dänische Kohortenstudie als weiteren Beleg für die von ihnen behauptete Harmlosigkeit der Mobilfunkstrahlung ansehen [6]. Ähnlich wie in Deutschland wurde auch in anderen Ländern der Eindruck erweckt, dass mit dieser größten aller Studien, noch dazu einer Kohortenstudie, endgültig die erforderliche Sicherheit geschaffen ist, um auf präventivmedizinische Maßnahmen von Seiten des Staates zu verzichten.

Dariusz Leszczynski, Professor bei der Radiation and Nuclear Safety Authority in Finnland, hat die Herausgeber des British Medical Journal öffentlich aufgefordert [8], die Publikation von Frei et al. aus ihrer Fachzeitschrift zurückzunehmen, weil die darin mitgeteilten Ergebnisse der Dänischen Kohortenstudie wissenschaftlichen Standards nicht annähernd genügten und von Politik und Mobilfunkindustrie trotzdem dazu benutzt würden, jegliches Risiko der Mobilfunkstrahlung zu verneinen. Wie Söderqvist und Kollegen stellt er sich die Frage, was die Herausgeber renommierter wissenschaftlichen Fachzeitschriften veranlasst haben mag, eine solch pseudo?wissenschaftliche Arbeit zur Publikation anzunehmen.

Institutionelle Korruption, das Krebsgeschwür der Gesellschaft, macht es möglich.

1

Adlkofer F. Die Grenzwerte zum Schutze der Bevölkerung sind das Ergebnis institutioneller Korruption. http://www.stiftung?pandora.eu/downloads/harvard_120311_dt.pdf

2

Johansen C, Boice J Jr, McLaughlin J, Olsen J. Cellulat telephones and cancer – a nationwide cohort study in Denmark. J Natl Cancer Inst 2001;93:203?7

3

Schüz J, Jacobsen R, Olsen JH, Boice JD Jr, McLaughlin J et al. Cellular cell phone use and cancer risk: update of a nationwide Danish cohort. Natl Cancer Inst 2006;98:1707?13.

4

Schüz J, Steding?Jessen M, Hansen S, Stangerup SE, Caye?Thomasen P, et al. Long?term mobile phone use and the risk of vestibular schwannoma: a Danish nationwide cohort study. Am JEpidemiol 2011;174:416?22

5

Frei P, Poulsen AH, Johansen C, Olsen JH, Steding?Jessen M, et al. Use of mobile phones and risk of brain tumors: update of Danish cohort study. Brit Med J2011;343:d6387.

6

Söderqvist F, Carlberg M, Hardell L. Review of four publications on the Danish cohort study on mobile phone subscribers and risk of brain tumors. RevEnvironHealth 2012;27(1):51?58

7

Fachliche Stellungnahme zu der dänischen Handykohortenstudie http://www.bfs.de/de/bfs/forschung/stellungnahmen/daenische_Kohorte.html

8

Leszczynski D. Why are epidemiologists (mis)leading us about cell phone radiation exposure? http://communities.washingtontimes.com/neighborhood/between?rock?and?hard?place/2011/dec/16/cellphone?epidemiologist?raditiation?danish?cohort/

© Pandora ? Stiftung für unabhängige Forschung 2012

Bitte vergleichen Sie mit:

/cefalo-studienkritik-zum-zweiten/

/leider-keine-verschwoerungstheorie/

/grenzwerte-und-institutionelle-korruption/

Von Hans-U. Jakob

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