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Der Irrtum der Strategiegruppe

Mit einem Paket von Lügen lässt sich das Schweizerische Hochspannungsnetz bestimmt nicht erneuern.

von Hans-U. Jakob, 14.7.2011

Was uns die von der neuen Umweltministerin Doris Leuthard ins Leben gerufene Strategiegruppe „Netze und Versorgungssicherheit“ in der Sendung Echo der Zeit vom 2.7.2011 auftischte, führt eher in Richtung Volksaufstand, als zu einer Beschleunigung des Ausbaus von Hoch- und Höchstspannungsnetzen.

Was da in dieser Sendung der Bevölkerung innerhalb von 3 Minuten alles vorgelogen wurde, liess dem Fachmann und Kenner der Szene das Blut in den Adern gefrieren.




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Bild oben: Freie Fahrt für die Stromwirtschaft fordert die Strategiegruppe von Umweltministerin Doris Leuthard. Dieses „Musterbeispiel“ stammt aus Baar im Kanton Zug



Dass das Schweizerische Hochspannungsnetz teilweise bis zu 70 Jahre alt ist und dringender Erneuerungen und Ergänzungen bedarf, streitet niemand ab.

Wenn nun die Strombarone diese Erneuerung so billig wie nur irgendwie möglich und auf Kosten der Gesundheit der Anwohner und auf Kosten des Landschaftsschutzes durchpauken möchten, müssen sie sich nicht wundern, wenn sie auf erbitterten Widerstand der Anwohner von solchen Projekten stossen. Erst recht nicht, wenn sie glauben, in einer Art von Verschwörung gegen das Volk, jegliche unterirdische Leitungsführung aus reinem Profitdenken verhindern zu können.

Was da jetzt Doris Leuthards Strategiegruppe an Massnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus vorschlägt, zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, dass diese Leute weder lernfähig sind, noch die Zeichen der Zeit erkannt haben und immer noch glauben, mit ein paar plumpen Lügen, das dumme Volk übertölpeln zu können.

An der langen Verfahrensdauer von 10 bis 20 Jahren, bis so eine Leitung endlich gebaut werden könne, seien die unzähligen Einsprachen von Anwohnern schuld.

Dass dem nicht so ist mag das Beispiel der 230kV-Leitung der Bernischen Kraftwerke von Wattenwil nach Mühleberg, als ein typischer Fall von vielen aufzeigen.

Nach Ablauf der Einsprachefrist Ende Januar 2004, dauerte es geschlagene 2 Jahre bis das Eidg. Starkstrominspektorat die 300 praktisch gleichlautenden Einsprachen von 20 Parteien behandelt, resp. abgeschmettert hatte.

Daraufhin wurde den Einsprechenden eine Frist von nur 24 Tagen (!) gesetzt, um das 160 Seiten starke Dokument zu studieren, und dagegen eine Rekursschrift an die nächste Instanz, das Bundesamt für Energie zu verfassen.

Das Bundesamt für Energie (BfE) benötigte daraufhin sagenhafte 4 Jahre, das heisst bis Ende März 2010 um die noch verbliebenen 240 praktisch gleichlautenden, von juristischen Laien verfassten Beschwerden zu bearbeiten und abzuschmettern.

Die 4 Jahre hat allerdings nicht allein das BfE zu verantworten. Musste doch die BKW infolge gefälschtem Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) in 7 Gemeinden das Projekt 2 mal neu auflegen.

Seit 31.Mai 2010 liegt nun das Projekt beim Bundes-Verwaltungsgericht und hat von Seiten der Beschwerdeführenden wiederum 5 Bundesordner mit Beweismaterial über Unredlichkeiten der Projektverfasser gefüllt.

Die Beschwerdeführenden werden demnächst wiederum 30Tage Zeit erhalten, das Ganze an die letzte Instanz, das Bundesgericht weiterzuziehen, falls das Bundesverwaltungsgericht nicht die Konsequenzen zieht und das ganze total verfahrene Projekt zur Neubearbeitung an die Projektanten zurückschickt.

Wenn die ersten 2 Instanzen über 6 Jahre benötigen um mit von juristischen Laien verfassten Beschwerden fertig zu werden, welche diese innerhalb von jeweils 30 Tagen verfassen mussten, kann die Länge der Verfahrensdauer unmöglich den Einsprechern angelastet werden. Da ist der Wurm ganz woanders drin!

Zum Beispiel bei jenen Bundesstellen, die Gutachten verfassen, ohne die betroffene Landschaft nur aus der Ferne zu kennen. Geschweige denn Ausführungspläne und Kartenmaterial zu lesen im Stande sind. Bei solchen Lachnummern haben natürlich Einsprecher, auch ohne juristische Kenntnisse, ein leichtes Spiel.

Wenn es nach Doris Leuthards Strategiegruppe ginge, soll betroffenen Einzelpersonen nun das Einspracherecht entzogen werden.

Das kommt nicht gut Frau Leuthard! Wenn Sie der betroffenen Bevölkerung ihrer verfassungsmässig garantierten Rechte berauben wollen, könnte die Situation sehr rasch in Richtung Stuttgart 21 eskalieren.  Die Situation ist schon heute gespannt genug.

Wer die Einspracheverhandlungen vor dem BfE vom 10.6.2008 in Gurzelen miterlebt hat, kann ein Liedchen davon singen.

Der IG-UHWM (Interessengemeinschaft umweltfreundliche Hochspannungsleitung Wattenwil-Mühleberg) wurden, um die Interessen von 300 Einsprechenden zu vertreten lediglich 20 Minuten Redezeit eingeräumt. Das heisst, rund 4 Sekunden pro Einsprecher. Es konnten im Eilverfahren nur knapp die Hälfte der wichtigsten Anliegen vorgebracht werden. Bei der Vorstellung der verschiedenen möglichen Boden-Verkabelungsvarianten wurde dem Vortragenden, von der Verhandlungsleiterin des BfE, kurzerhand das Wort entzogen. Die Verhandlungsleiterin wollte die Verhandlungen spätestens nach 2 Stunden, um 11.30 Uhr schliessen, da sie für den Nachmittag (nach ihren eigenen Angaben) einen Motorradausflug geplant hatte.

Die Verhandlungsleiterin wollte anfänglich der IG-UHWM sogar den Gebrauch der eigens mitgebrachten Leinwand, Beamer und PC verbieten, während die BKW ihre ganze Präsentation auf dem PC und Beamer des BfE vortragen konnten.

Die Strategiegruppe wartet mit weiteren, längst enttarnten Lügen auf.

So behauptet sie, der noch allerorts bekannte Stromausfall in ganz Italien, sei auf das, infolge Einsprachen ungenügend ausgebaute Schweizer Hochspannungsnetz zurückzuführen gewesen. Das ist absoluter Mumpitz!

Italien hat keine Atomkraftwerke und bezieht jede Menge sehr billigen Atomstrom via Höchstspannungsnetze über die Westalpen direkt aus Frankreich, welches 58 AKW’s besitzt und notfalls halb Westeuropa mit Strom beliefern kann.

Nur etwa ein Viertel des Stromimports Italiens erfolgt von Frankreich her über das Schweizer Hochspannungsnetz. Wenn nun in den französischen Westalpen 1 Höchstspannungsleitung wegen Reparturarbeiten unterbrochen ist und sich eine weitere wegen heftigen Gewittern abmeldet, liegt das nicht am Schweizerischen, sondern am italienisch/französischen Netz.

Die Italiener hätten übrigens vor dem Ausfall der Anspeisung aus der Schweiz, die sich infolge Überlast später automatisch abschaltete, eine volle halbe Stunde Zeit gehabt, eigene teurere Wasser- Gas- und Oelkraftwerke anzuwerfen oder über die Brennerleitung von Oestereich her teureren Wasserkraftstrom anzufordern. Versagt haben nicht die Schweizer Hochspannungsleitungen, sondern das diensthabende Management in den italienischen Schaltzentralen.

Ähnlich gelagert ist auch der totale Blackout der SBB vom 22. Juni 2005, welchen die Strategiegruppe auf hinterhältigste Weise auch den Einsprechern gegen oberirdische Hochspannungsleitungen anhängen will.

Die SBB beziehen ihren Strom über 3 annähernd parallel verlaufende Hochspannungsleitungen via Urnerland vom Gotthard her. Am Morgen dieses Tages wurden infolge Bauarbeiten 2 dieser Leitungen bewusst abgeschaltet. War die Stromversorgung der SBB vorher gleich doppelt abgesichert, lief diese nun ohne Reserve auf nur noch einer Leitung.

Das SBB-Strommanagement in Zollikofen bei Bern wusste haargenau, was es aus Strompreisgründen tat. Statt die 5 Umformerwerke im ganzen Land verstreut anzuwerfen, welche 50Hz-Netzstrom der andern Kraftwerke in 16.6Hz-Bahnstrom wandeln kann, um das SBB-Netz zu stützen, vertraute man lieber auf den lieben Gott, dass er seine schützende Hand über der letzten im Betrieb stehenden Leitung in Uri halten möge.

Es passierte halt doch. Nicht wegen dem lieben Gott, sondern weil sich das SBB-Strommanagement verrechnet hatte. Die noch verbleibende Leitung hatte nicht die erwartete Transportleistung und erhitzte sich derart, dass sich diese in der Hauptverkehrszeit um 17.15 Uhr auch noch abmeldete.   

Die ganze Story und wie sich SBB-Chef Weibel bei den Umweltorganisationen wegen falschen Anschuldigungen entschuldigte, lesen Sie auf /sbb-luegen-geht-auch-ohne-strom/ und /sbb-geben-luegerei-auf/

Lügen geht auch ohne Strom, titelte Gigaherz damals. Daran scheint sich leider nichts geändert zu haben.

Nur einer hat’s begriffen:

Dr. Ing. Roberto Pronini, Direktor der AET (Tessiner Kraftwerke) hat der Welt vorgezeigt, wie man eine Höchstspannungsleitung ohne eine einzige Einsprache realisiert.

Um nicht 30 Jahre lang Gerichtshändel mit Anwohnern und Umweltorganisationen führen zu müssen, hat er die für den Kanton Tessin lebensnotwendige, internationale 380kV-Verbundleitung von Mendrisio (CH) nach Cagno (I) gleich von Beginn weg als Bodenkabel geplant und innerhalb von nur 8 Jahren (inkl. Planung) realisiert.  Die Leitung ist jetzt seit 3 Jahren im Betrieb. Siehe auch /hochspannungsleitungen-unter-den-boden/

Und über das jüngste Bundesgerichtsurteil, welches der jahrzehntelangen Lügerei der Strombarone endlich ein Ende bereitete, berichtet /auslaufmodell-hochspannungs-freileitung/

Von Hans-U. Jakob

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