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Bundesgericht schützt Wahrsager und Kaffeesatzleser

Hans-U. Jakob, 11.4.08

Am 21. Februar 2007 wollte der Regierungsrat des Kantons Aargau der seit 4 Jahren andauernden Bastlerei des Bundesamtes für Metrologie und Akkreditierung (METAS) und des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) betreffend der Messung von UMTS-Strahlung ein Ende setzen.

Wegen der sagenhaften Ungenauigkeiten der verfügbaren Messgeräte, welche eher an Kaffeesatzlesen als an Messtechnik erinnerte, beschloss der Aargaur Regierungsrat  damals, auf den berechneten Werten in den Baueingaben der Mobilfunkbetreiber einen Sicherheits-Abzug von  15% zu machen.    Das hiess zum Beispiel, wenn UMTS-Anlagen an einem Ort empfindlicher Nutzung (OMEN) berechnete Werte über 5.1V/m aufwiesen, durfte die Baubewilligung nicht mehr erteilt werden, weil die Einhaltung des Anlage-Grenzwertes von 6V/m messtechnisch nur noch höchst unzuverlässig nachweisbar war.

Mit Urteil 1C 132/2007 vom 30. Januar 2008 (Fall Wohlen) macht das Bundesgericht der Praxis des Regierungsrates des Kantons Aargau auf seine stets mobilfunkfreundliche Art, den Garaus.

Als erstes fällt auf, dass an diesem Urteil nicht wie gewohnt 3 Bundesrichter mitwirkten, sondern gleich deren 5.  Offenbar eine kleine Demonstration gegen das Volk.   Wie immer dabei: Der Lobbyist der Telcom-Branche, Bundesrichter Heinz Aemisegger.

Als Zweites fällt auf, dass das Bundesgericht diesen Entscheid fast  ein Jahr lang vor sich her geschoben hat.  Offensichtlich um die heisse Kartoffel vorerst etwas abkühlen zu lassen, bevor man diese zur Hand nimmt.  Und wenn man sie unter 5 Richtern hin und her gibt, verbrennt sich der Einzelne auch weniger die Finger, als wenn es nur 3 wären.

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Als ersten Höhepunk
stellte das höchste Gericht fest, dass die gesamte Messunsicherheit bei der Feststellung des Immissionsgrenzwertes, das heisst für den Wert, welcher nur für kurzfristigen Aufenthalt gilt, plus/minus 45% betragen dürfe.

Das heisst, dass bei einem gemessenen (beurteilten) Immissionswert von 58V/m könnten dies ebensogut  nur 32 oder aber ebensogut 84V/m  sein.   Solche Streuungen verdienen nicht einmal mehr die Bezeichnung „Kaffeesatzlesen“ sondern viel eher „Wahrsagerei“.

Das mache nichts, stellte das höchste aller Gerichte fest, denn diese Werte würden rechnerisch im Aufenthaltsbereich von Menschen sowieso nur höchst selten erreicht und wenn, dann könne man diesen Bereich ja absperren oder mit einer Hinweistafel versehen.

Die gesamte Messunsicherheit beruht indessen auf 2 Teilen. Teil 1 beinhaltet die Ungenauigkeit des Messgerätes und Teil 2 beinhaltet die Messmethode, das heisst die eventuell falsch ausgewählten Messorte durch Vergabe von Sympathie- oder Antipahiepunkten durch den Messtechniker.  Mogeleien, die immer wieder mal vorkommen, wenn es knapp wird.

Diese Erwägungen treffen jedoch im Vorsorgebereich dh. für Anlagegrenzwerte, nicht zu, schreibt das Bundesgericht wörtlich und weiter Zitat „Hier muss es deshalb beim allgemeinen Grundsatz bleiben, wonach der gemessene Wert massgeblich ist und die Messunsicherheit weder dazugerechnet noch abgezogen wird“ Ende Zitat.

Für Uneingeweihte:  Der Anlagegrenzwert gilt nur für Orte empfindlicher Nutzung (OMEN).

Das heisst er gilt nur dort wo sich Menschen dauernd aufhalten wie in Wohn- Schlaf- oder Innenarbeitsräumen.   Dieser Wert hiess früher einmal Vorsorgewert, wurde dann aber sehr schnell in „Anlagewert“ umgetauft, als klar wurde, dass dieser Wert mit Vorsorge nicht viel zu tun hat, sondern eher mit Volksbetrug.

An sogenannten OMEN ist also der rund 10mal tiefere Anlagegrenzwert einzuhalten.  Und hier gelte, so das Bundesgericht die Ablesung am Messgerät ohne Zu- oder Abschlag der Messunsicherheit.  Sehr schön wird da Otto Normalbürger denken.  Solche Messgeräte sind doch sicher sehr genau.  

Falsch gedacht Otto.

Nach den an 8 verschiedenen Messgeräten vorgenommenen „Ausbesserungen“ durch das Bundesamt für Metrologie und Akkreditierung im Sommer 06, auf dessen Bericht sich das höchste aller Gerichte immer noch abstützt, beträgt die Ungenauigkeit dieser Geräte immer noch sagenhafte plus/minus 30%.  Je nach Temperatur sogar plus/minus 33%

Das heisst, ein durch eine akkreditierte Messfirma festgestellte UMTS-Strahlung von 6V/m (Grenzwert eingehalten),  könnte ebensogut nur 4V/m sein aber ebensogut auch 8V/m betragen.  Das ist ein Unsicherheitsfaktor von 2 und hat mit seriöser Messtechnik nichts zu tun..

Wenn für einen OMEN also 5.8/Vm berechnet wurden, brauche ich als kritischer Messtechniker gar nicht mehr hinzugehen.  Ich kann dem Aufraggeber einfach sagen: „Hören Sie, messen hat gar keinen Sinn,  wahrscheinlich wird die amtlich festgestellte Strahlung irgendwo zwischen 3.6 und 6.8V/m liegen,  je nachdem welches Gerät die Akkreditierten gerade aus dem Gestell nehmen.“

FAZIT:

Zu der Problematik, Messung von UMTS-Strahlung bei OMEN, gibt das Bundesgerichtsurteil 1C 132/2007 vom 30. Januar 2008 keine klare Antwort.   Es heisst lediglich, die gemessenen Werte ohne jeden Zuschlag oder Abzug, seien massgebend.   Ueber die erforderliche Genauigkeit der Geräte schweigt sich das Bundesgericht nach wie vor in vornehmer Zurückhaltung aus. 

Das heisst, wir müssen das Bundesgericht erneut zwingen, zu den von METAS festgestellten Abweichungen von plus/minus 30% ganz klar Stellung zu beziehen. Denn auch hier ist die Bezeichnung „Wahrsagen statt Messen“ angebracht

Die Vorgeschichte finden Sie unter /ende-des-kaffeesatzlesens-im-aargau/ und /umts-weiterhin-kaffeesatzlesen-statt-messen/

Von Hans-U. Jakob

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