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Wunderbar – unsichtbar – unbrauchbar

Ein Kurzbericht über einen von sämtlichen Gerichtshöfen der Schweiz gedeckten phantastischen Schwindel

von Hans-U. Jakob, 12.3.2012

 

Baugesuche für Mobilfunk-Basisstationen (Mobilfunkantennen) müssen ein sogenanntes Standortdatenblatt enthalten, in welchem sämtliche Senderichtungen, horizontal wie vertikal, alle dort abgestrahlten Sendeleistungen in Watt ERP und auch noch die Antennentypen inkl. Antennendiagrammen und die Montagehöhe der Antennen über Boden enthalten.

Damit kann der Fachmann die Strahlungsstärke an jedem beliebigen Ort rund um die Antenne genau berechnen. Insbesondere kann berechnet werden, ob die in der Schweiz gültigen Strahlungsgrenzwerte eingehalten sind.

Das Dumme an der Sache ist nur, dass die meisten der verwendeten Antennentypen eine 10mal höhere Sendeleistung zulassen, als von den Projektierenden in den Standortdatenblättern angegeben. Noch Dümmer ist es, dass diese Sendeleistungen und ebenso die vertikalen Senderichtungen von einer Zentrale aus fernsteuerbar sind und vom Betreiber beliebig verstellt werden können, ohne dass sich jemand vom Servicepersonal auf die Anlage begeben muss.

Da die umliegenden Häuser, gemäss Projektdaten, meist mit bis zu 98% des erlaubten Grenzwertes angestrahlt werden, hätte eine verdeckte Erhöhung der Sendeleistung und ein tiefer Stellen des vertikalen Sendewinkels für die Anwohner verheerende Folgen.

Anschauungsmaterial dazu finden Sie unter /mobilfunkstrahlung-sichtbar-gemacht/ und /ende-der-standardluege-nr2/

Das Schweizerische Bundesgericht hat deshalb im März 2005 verfügt, dass keine Mobilfunkantennen mehr betrieben werden dürfen, bei welchen das Übersteuern der im Standortdatenblatt deklarierten Parameter möglich sei. Dagegen wehrten sich die Mobilfunkanbieter mit allen nur erdenklichen Mitteln. Wie in der Schweiz üblich wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt um dieses Riesenproblem der Mobilfunker aus der Welt zu schaffen. Diese Expertengruppe, bestehend aus  Vertretern des Bundesamtes für Kommunikation, des Bundesamtes für Umwelt und der Kantonalen Umweltfachstellen erfand daraufhin ein sogenanntes softwareseitiges Qualitätssicherungssystem, welches bei Übersteuern der deklarierten Parameter in den Steuerzentralen Alarm auslösen sollte. Und die Ursachen für solche Alarme würden dann innert 24 Stunden beseitigt.

Alle 2 Monate (!) sei dann ein allfälliges Alarmprotokoll an die zuständigen kantonalen Ämter zu übermitteln. Selbstverständlich alles ohne Strafbestimmungen.

Daraufhin hob das Bundesgericht im September 2006 die Bausperre für Mobilfunkantennen auf, verpflichtete jedoch die kantonalen Umweltämter zu monatlichen Stichprobenkontrollen auf den Steuerzentralen der Mobilfunker, um das Funktionieren dieser softwareseitig eingebauten Systeme zu garantieren.


Steuerzentrale.jpg<<<Bild links: Ausschnitt aus dem Rechnerraum einer Steuerzentrale

Am 10.April 2008 veröffentlichten die kantonalen Umweltämter einen gemeinsamen Bericht mit dem Namen „Evaluation der Qualitätssicherungssysteme für Mobilfunksendeanlagen“ über ihre angeblich auf den Steuerzentralen der Mobilfunkbetreiber durchgeführten Stichprobenkontrollen. Ein Bericht, der allerdings mit den Erfahrungen der NIS-Fachstelle von Gigaherz.ch nicht übereinstimmte. Ein Bericht über den sich kantonale NIS-Verantwortliche immer mehr in katastrophale Widersprüche verstrickten. So kam zum Beispiel heraus, dass sich kantonale Vollzugsbeamte für eine sogenannt unangemeldete Stichprobenkontrolle 10 Tage zum Voraus anmelden mussten. Im Weiteren entstand auf Grund von Aussagen kantonaler Beamter anlässlich von Einspracheverhandlungen und Orientierungsveranstaltungen bei Gigaherz der Eindruck, dass solche Stichprobenkontrollen überhaupt nicht stattfanden, ja dass sogar das Vorhandensein solcher Systeme fraglich war.

In über 100 Fällen von Einsprachen und Baubeschwerden gegen Mobilfunkantennen wurde daraufhin der Beweisantrag gestellt, dass auf einer Steuerzentrale ein gerichtlicher Augenschein vorzunehmen sei, anlässlich welchem vorerst einmal das Vorhandensein eines solchen Qualitätssicherungsystems vorgeführt werden müsse und falls vorhanden, auch dessen Funktionieren nachzuweisen sei. Auch seien Arbeits- und Kontrollrapporte kantonaler Vollzugsbeamter über die angeblich hunderten von durchgeführten Stichprobenkontrollen vorzulegen. 

Mit dem Resultat, dass in allen Fällen auf solche Beweisanträge von den Gerichten entweder nicht eingetreten wurde oder dass diese mit billigsten Argumenten abgeschmettert wurden. Nicht einmal die beantragten Arbeits- und Kontrollrapporte wurden eingefordert, was doch für jeden Gerichtshof ein Kinderspiel gewesen wäre.

Fazit: Der Schwindel mit den Qualitätssicherungssystemen wurde von sämtlichen Gerichtshöfen der Schweiz gedeckt. Zuletzt sogar noch vom Bundesgericht mit Urteil 1C_193/2011 vom 24. August 2011. Hier wurde der Präsident des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden von den Beschwerdeführenden mittels einer Checkliste zum sogenannten Qualitätssicherungssystem derart in die Enge getrieben, dass dieser die Augenscheinverhandlung auf dem Amt für Umwelt in Chur (nicht in einer Steuerzentrale) schleunigst abbrechen liess und versprach, alle Fragen dazu schriftlich zu beantworten. Statt einer schriftlichen Antwort in Form des sonst üblichen Augenscheinprotokolls, kam dann wenige Tage später das Urteil mit der unwahren Behauptung das Qualitätssicherungssystem hätte einwandfrei funktioniert. Dem Bundesgericht blieb wohl nichts anderes übrig, als auch diesen Schwindel noch zu decken. Zu gross wäre die Blamage für die gesamte Schweizer Justiz wohl gewesen.

Dem Bundesgericht war es offensichtlich schon lange nicht mehr ganz wohl bei der Sache. Bereits im Frühjahr 2010 erhielt das Bundesamt für Umwelt (BAFU) den Auftrag, einen neuen Bericht zum Stand der Qualitätssicherungssysteme bis Herbst 2010 vorzulegen. Das BAFU musste dann aber um eine Fristverlängerung bis Frühling 2011 und dann wiederum bis Herbst 2011 nachsuchen. Herausgekommen ist der Bericht schliesslich mit fast 18 Monaten Verspätung im Januar 2012.

Woher diese Verzögerung? Offensichtlich war die Sache den kantonalen Vollzugsbeamten, die am ersten Bericht von 2008 noch mit Begeisterung mitgemacht hatten, doch etwas zu heiss geworden. Wegen der unterdessen bekannten Aufsässigkeit von Gigaherz, konnte jeden Moment eine gerichtliche Vorladung zu einer Augenscheinverhandlung in eine Steuerzentrale ins Haus flattern. Und da wäre so Mancher fürchterlich ins Schleudern geraten. Ergo musste das BAFU eine andere Institution suchen, welche bereit war, des „Kaisers neue Kleider“ zu beschwören.

Fündig wurde das BAFU in Form der Arbeitsgemeinschaft Schaffner Ecosens ASEB in Wallisellen, kurz ASEB genannt. Einem sogenannten Kompetenzzentrum für nichtionisierende Strahlung. ASEB ist in Fachkreisen als supra-neutral bekannt. Das heisst, ASEB macht für die Mobilfunkbetreiber Standorte für Mobilfunk-Antennen ausfindig, ASEB erstellt für die Mobilfunkbetreiber Projekte für Mobilfunk-Basisstationen, ASEB wirkt gleichzeitig auch noch gleich selber als akkreditierte Messfirma für amtliche Abnahmemessungen und ASEB liefert Gemeinde- und Kantonsverwaltungen, die in Sachen Mobilfunk nicht ganz sattelfest sind, pfannenfertige Abschmetterungstexte gegen Einsprecher und Beschwerdeführer von Mobilfunk-Antennen. Dies hat der Firma in Kreisen der Mobilfunkkritiker die schmeichelhafte Bezeichnung „Seelenverkäufer“ eingetragen. Fazit eine Firma die so neutral ist, dass sie sich gleich selber neutralisiert.

Auch diese Auftragserteilung durch das BAFU muss den kantonalen NIS-Vollzugsbeamten suspekt vorgekommen sein. Denn gleich im Vorspann zum neuen Bericht der ASEB über „Stichprobenkontrollen von Mobilfunksendeanlagen und deren Qualitätssicherungssystemen“ vom 18.1.2012 steht geschrieben: „Für den Inhalt ist allein der Auftragnehmer verantwortlich.“ Voilà. Kantons- und Bundesbehörden sind somit aus dem Schneider.

Wer jetzt glaubt, ASEB hätte verschiedene Steuerzentralen inspiziert, irrt sich gewaltig. Konnten sie ja auch gar nicht. Weshalb lesen sie am Schluss.

Das Sunrise- und Orange-Netz in der Schweiz  wird von der Firma Alcatel-Lucent gebaut, betrieben, gesteuert und unterhalten. Deshalb fand die Überprüfung von Sunrise und Orange in den Geschäftsräumen von Alcatel-Lucent in Zürich statt und für Swisscom in deren Geschäftsräumen in Zollikofen bei Bern. Hier konnten die ASEB-Leute nicht etwa selber auf ihren PC’s beliebig Einblick in die Funktionen der QS-Systeme nehmen. Nein, sie wurden in ein Sitzungszimmer verbannt, wo ihnen die gewünschten Daten über das hausinterne Netzwerk auf eine Leinwand projiziert wurden. Hier durften sie vergleichen ob die Daten der Mobilfunker in den Steuerzentralen draussen, mit denjenigen in den amtlichen Standortdatenblättern der Baueingaben übereinstimmten. Ob ihnen dabei wirklich die Parameter der Steuerzentralen oder eine Fantasietabelle eingespielt wurde, muss offen bleiben. (Vergleiche mit Bericht Seite 4 Mitte)

Angeblich wurden auf diese Art 383 oder 2.4% von insgesamt 16‘000Anlagen überprüft. 14 oder 4.65%  der Anlagen liefen fehlerhaft. 11 von Orange, 4 von Sunrise und Null von Swisscom. Die Fehler hätten angeblich auf keiner der geprüften Anlagen zu Grenzwertüberschreitungen führen können.

Warum wurden nicht die Steuerzentralen inspiziert?

Die Weigerung sämtlicher Gerichtshöfe der Schweiz, einen gerichtlichen Augenschein auf einer dieser Zentralen vorzunehmen auf welchen kantonale Vollzugsbeamte angeblich ungehindert nach Belieben einmarschieren konnten und angeblich hunderte von Stichproben gemacht haben wollen, kam mobilfunkkritischen Fachleuten von je her spanisch vor. Ein gerichtlicher Augenschein wäre doch wirklich das Einfachste der Welt gewesen.

Nun, das Rätsel löste sich Anfangs 2012 anlässlich einer amtlichen Abnahmemessung durch eine aufmerksame Zuschauerin/Zuhörerin. Der Messtechniker musste dazu die Alcatel-Lucent Antennen ferngesteuert vertikal in die messtechnisch schlimmste Position fahren lassen. Das heisst, in diejenige Position bei welcher unsere Zuschauerin/Zuhörerin die höchstmögliche Strahlendusche abbekam. Und was denken Sie, wohin musste dieser Messtechniker telefonieren um dem Operator in der Steuerzentrale seine Anweisungen bekanntzugeben. Ja, wo befindet sich denn diese Steuerzentrale nun? Sie werden es nicht für möglich halten. In Rumänien. Im Zeitalter interkontinentaler Glasfaser- oder Satellitennetze gar nicht etwa unmöglich.

Wenige Tage später wurde anlässlich einer Einsprache-Verhandlung ein kantonaler Vollzugsbeamter von den Einsprechern ins Kreuzverhör genommen um herauszubekommen, wo sich denn die Steuerzentrale von Swisscom befinde. Antwort: „Wahrscheinlich in Indien.“

Gigaherz konfrontierte darauf dieser Tage per e-mail den Sektionschef Nichtionisierende Strahlung vom Bundesamt für Umwelt mit der Frage, wo zum T…… sich denn diese Steuerzentralen jetzt befinden würden. Die Antwort erfolgte postwendend und ungewohnt prompt mit Brief vom 2.3.2012 kurz und bündig: Das alles geht sie nichts an! Diese Kontrollen sind den zuständigen Behörden vorbehalten, das Umweltschutzgesetz sieht nicht vor, dass Private oder Organisationen der Zivilgesellschaft solche Anlagen kontrollieren. Und wo die zugehörigen Rechner und Speichermedien stehen ist für das Funktionieren der QS-Systeme nicht von Belang. Punkt. Alles höchst aufschlussreich.

Nun, das Umweltschutzgesetz sieht auch nicht vor, dass private und Organisationen der Zivilgesellschaft solche Anlagen nicht kontrollieren. Und vielleicht interessiert sich dann auch noch eine Organisation der Militärgesellschaft, zB. die Armeeführung dafür, wo die Steuerzentralen der Schweizer Mobilfunknetze stehen. Indien oder Rumänien wären für die Sicherheit der Schweiz höchst bedrohlich…..

Link zur Pressemitteilung des Bundesamtes für Umwelt

http://www.bafu.admin.ch/dokumentation/medieninformation/00962/index.html?lang=de&msg-id=43535

Link zum Untersuchungsbericht ASEB

http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/26021.pdf

Von Hans-U. Jakob

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