News

Radio DRS-1 an Wahrheit nicht interessiert

Als die Redaktion des Schweizer Radios DRS im Vorfeld der Sendung „Sturm auf die Antennen“ [1] einen kompetenten Gesprächspartner zum Stand der Wissenschaft über gesundheitliche Auswirkungen von „Handystrahlung“ suchte, wurde sie von Sachverständigen an Dipl.-Ing. Lothar Geppert von der Umweltorganisation diagnose-funk verwiesen. Das Schweizer Radio DRS-1 interviewte Lothar Geppert daraufhin rund eine Stunde lang. Uebrig davon blieben knappe 2,5 Minuten.

mitgeteilt von diagnose-funk.ch am 1.12.06

In der später, am 28. November, über DRS- ausgestrahlten Sendung Doppelpunkt wurden jedoch die Kernaussagen, besonders diejenigen zum Stand der Stand der Forschung, leider weggeschnitten. Weil diese Aussagen jedoch ausserordentlich wichtig sind, um den Problemfall Mobilfunk in seiner Tragweite zu dokumentieren, möchten wir einige der unveröffentlichten Aussagen von Lothar Geppert publizieren. Das Interview fand bereits am 8. September 2006 in Zürich statt – 11 Wochen vor der Ausstrahlung:

DRS:
Was sind Ihre Berührungspunkte mit dem Thema Mobilfunkstrahlung? Insbesondere: Um was geht es bei den Organisationen „Kombas“, „Diagnose-Funk“ und „Gigaherz“?

L. Geppert:
Zunächst sollte man betonen, dass elektromagnetische Strahlung momentan die am schnellsten wachsende Umweltbelastung sein dürfte. Das Thema muss daher dringend bearbeitet werden.

Die diagnose-funk hat sich darum auf diese Strahlung spezialisiert und schliesst hiermit eine Lücke, die andere Umweltschutzvereine aufgrund der Komplexität des Themas bis heute offen lassen. Es ist so, dass sie EMF nicht riechen und hören können. Die permanente Funkberieselung, der wir alle ausgesetzt sind, wird überhaupt nicht wahrgenommen.

Wenn man Dreck ins Meer kippt, oder Urwälder abbrennt ist es jedem Bürger sofort klar, dass hier ein Problem besteht – und sofort hat ein Verein etliche Mitglieder. Ein Verein der sich aber mit Funkstrahlung beschäftigt, also Strahlung von Handys, Mobilfunkantennen, Schnurlostelefonen, Wireless LAN, Radar, usw., der muss erst einmal den Beweis führen, dass hier ein Problem besteht. Die diagnose-funk ist daher mehr ein wissenschaftlich orientierter Verein.

DRS:
Besitzen Sie selber ein Handy? Falls ja: Wie oft nutzen Sie es?

L. Geppert:
Ich besitze zwar kein Handy, aber für Notfälle finde ich es durchaus sinnvoll. Wenn ich eines hätte würde ich ein Headset benutzen, und Gespräche würde ich so kurz wie möglich halten. Die russische Strahlenschutzbehörde empfiehlt z. Bsp. nicht länger als 3 Minuten am Stück zu sprechen. Wissenschaftler, die sich mit Mikrowellen beschäftigen, benutzen Handys nur noch ungern.

Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Wir versuchen nicht den Mobilfunk abzuschaffen, sondern wir versuchen emissionsarme Funkkonzepte wie Inhouse Repeater oder Fixnet-Einspeisungen durchzusetzen. Solche Konzepte könnten sicherlich bald mit 100fach tieferen Feldstärken arbeiten, sind aber teurer. Ich möchte betonen, dass wir keine Technikfeinde sind. Wir suchen nach neuen Lösungen. Und die gibt es auch schon.

DRS:
Welche Hinweise/Beweise gibt es, dass Mobilfunk-Strahlung schädlich ist? Welche Gesundheitsschäden lassen sich auf die Mobilfunkstrahlung zurückführen?

L. Geppert:
Eine Antwort hierzu kann leicht einen Abend füllen. Zum Überblick:

Betrachten wir einmal nur alle Studien zum gesamten Hochfrequenz-Spektrum, d.h. UMTS und GSM Mobilfunk, Schnurlostelefone, Wireless-LAN, RADAR, usw.: Hier gibt es nach meiner Schätzung etwa 700 bis 1000 wissenschaftlich publizierte Studien zu Effekten der Strahlung auf gesundheitliche Parameter. Bisher hat das jedoch niemand so genau gezählt.

Vor dem Mobilfunkzeitalter zeigten etwa 80% dieser Studien Effekte. Wiederum 80% dieser „Positiv-Studien“ zeigten statistisch signifikante Ergebnisse. Im Mobilfunkzeitalter ist der Anteil der Studien, die Effekte finden, dann deutlich gesunken.

Die Palette von Effekte die in solchen Studien gefunden wurde, ist sehr breit, z. Bsp. Erbgutschäden bis hin zu Krebserkrankungen, hormonelle Reaktionen, oder Veränderungen im Blutbild. Es gibt Studien zu Zellveränderungen im Gehirn oder Veränderungen der Gehirnströme und der Konzentrationsfähigkeit. Man fand Befindlichkeitsstörungen wie z. Bsp. Kopfschmerzen, Stressreaktionen, Schlafstörungen usw.

Nach einigen Jahrzehnten Forschung ist die Liste recht lang geworden. Sehr viele Studien zeigen auch Effekte unterhalb der Grenzwerte. Einen guten Überblick zu diesen Verhältnissen findet man in der Zeitung EMF Monitor vom ECOLOG-Institut.

DRS:
Gemäss namhaften Wissenschaftlern gibt es keine Beweise/Hinweise, dass Mobilfunkstrahlung (unter Einhaltung der Grenzwerte) gesundheitliche Schäden hervorruft. Wie ist Ihre Meinung dazu?

L. Geppert:
Die Top-Wissenschaftler der Bioelectromagnetic Society warnen recht deutlich vor Langzeitfolgen, obwohl es auch viele Studien mit Nulleffekten gibt. Aber für einen Nulleffekt kann es jedoch verschiedene Gründe geben:

Man muss zum Beispiel berücksichtigen, dass die Effekte der Strahlung auf biologische Systeme insgesamt sehr komplex sind. Nehmen wir z. Bsp. Untersuchungen an Zellkulturen: Effekte hängen hier von diversen Faktoren ab, wie Zelltyp, Alter des Spenders, Wachstumsphase, Teilungsaktivität, u.s.w. Bei bestimmten Parametern findet man hier eben Effekte der Strahlung, bei anderen nicht.

< Das steht jedoch nicht unbedingt in einem Widerspruch. Es sei denn, es handelt sich um eine echte Reproduktionsstudie. Zu diesem Thema der mehr oder weniger exakten Replikationsstudien oder „Gegenstudien“ gibt es seit kurzem auch eine interessante Auswertung von Dr. Slesin und Prof. Lai:

Am Beispiel von neueren Studien zu Erbgutschäden hat man untersucht, ob die Herkunft der Gelder mit denen die Studie finanziert wurde einen Einfluss auf das Ergebnis der Studie hat. Das Ergebnis war ernüchternd: Von den 43 Studien, die Effekte der Strahlung auf genetische Schäden gefunden hatten, waren lediglich 3 von der Industrie oder dem Militär bezahlt. Von den 42 Studien, die keine Effekte fanden, waren aber mindestens 76% von Industrie oder Militär finanziert. Bei 11% war die Finanzierung unklar.

Durch all diese Zusammenhänge ist die Situation recht unübersichtlich. Wer Interesse am Mobilfunk hat, kann daher leicht behaupten, es wäre nichts bewiesen, oder alles nur ein Zufallsergebnis.

DRS:
Viele namhafte Wissenschaftler sagen, die von den Mobilfunk-Gegner zitierten Studien, die die Gefährlichkeit der Strahlung untermauern sollen, seien wissenschaftlich nicht haltbar. Stimmt das?

L. Geppert:
Nehmen wir die epidemiologischen Studien um Mobilfunkantennen als aktuelles Beispiel: Es fällt auf, dass alle 8 wissenschaftlich publizierten Studien statistisch signifikante Effekte auf gesundheitliche Parameter fanden, d.h. das Bild ist insgesamt sehr konsistent. Dazu zeigen 5 von den 8 Studien sogar signifikante Dosis-Reaktions-Beziehungen, d.h. zum Beispiel je höher die gemessene Feldstärke war, desto häufiger sind die Symptome aufgetreten.

Auch wenn die Qualität mancher dieser Studien noch zu wünschen übrig lässt: Die Risikofaktoren, die hier gefunden wurden sind definitiv viel zu hoch, um sie mit Qualitätsmängeln einfach wegdiskutieren zu können. Auch weil diese Studien in der Regel Effekte unterhalb der Schweizer Vorsorgegrenzwerte zeigen – sofern die Feldstärken gemessen wurden – ist das Gesamtbild daher längst alarmierend.

DRS:
Ist das Risiko, das von der Mobilfunkstrahlung aus geht (insbesondere von Antennen) verglichen mit anderen Lebens-Risiken (schlechte Luft, Lärm, UV-Strahlung, Unfall-Risiken etc.) nicht verschwindend klein?

L. Geppert:
Hierzu gibt es viele Beispiele. Nehmen wir Luftverschmutzung. Wenn Sie an einer stark befahrenen Strasse wohnen, dann haben Sie ein etwa 30% höheres Risiko an Lungenkrebs zu erkranken, als wenn Sie auf dem Land wohnen.

Beim Mobilfunk haben erste Pilotstudien um Mobilfunkantennen ein über 300-prozentiges Risiko für diverse Krebsarten im Umkreis von 400m um die Antenne gefunden. Dies ist ein Faktor 10 im Risiko gegenüber Luftbelastungen. Beim Mobilfunk ist die Palette der Krebsarten zudem recht breit, im Gegensatz zu Luft oder Asbest.

DRS:
Die Mobilfunk-Betreiber sprechen von Angst-Kampagnen der Gegner. Ihre Meinung dazu?

L. Geppert:
Die Probleme bei Kühen welche nach der Installation einer Antenne auftraten haben wahrscheinlich wenig mit Angst zu tun. Zudem melden viele Bürger Beschwerden einige Wochen nach Installation einer neuen Antenne. Und genau die sind es, die sich nachher wehren. Mit einer Kampagne könnte man die nicht vom Sofa hoch holen. Dieser Vorwurf ist definitiv eine „Verzweiflungstat“ der Betreiber.

Was blieb übrig ?

Zur Dokumentation der gesundheitlichen Auswirkungen der Strahlung (im Bereich der geltenden Grenzwerte) wurden im Vorfeld der Sendung eine tabellarische Studien-Übersicht, eine Präsentation diverser, hoch signifikanter Dosis-Reaktions-Beziehungen, sowie eine Auswertung der Universität Wien [53 KB] schriftlich überreicht. Die schwere der Beweislage wurde in der Sendung jedoch nicht angesprochen. Ganz im Gegenteil: Der von der Mobilfunkindustrie (damals per Inserat) angeheuerte Forscher Dr. Dürrenberger erläuterte ausgiebig, dass all diese Studien als ein riesiges statistisches Zufallsereignis anzusehen wären.

Im Interview am 8. September legte die diagnose-funk besonderen Wert darauf, mögliche Lösungen zum Problem aufzuzeigen. Aus diesem Grund wurden emissionsarme Funkkonzepte wie das „Fusion Phone“ von Motorola erläutert, welches in England von der British Telecom bereits lanciert wurde. Ein ähnliches Konzept, welches das Signal auch ins Festnetz einspeisen kann, bietet Ericsson seit kurzem an. Dem Zuhörer der Sendung wurde jedoch (auch über den Schlusssatz) eine gewisse Ausweglosigkeit suggeriert: Lässt sich das Risiko vermeiden ohne das Handy abzuschaffen? Dass die Netzbetreiber solche Konzepte vermeiden wollen dürfte klar sein: Durch die aufwändigeren Netze wären die Profitmargen kleiner.

In der Sendung „Sturm auf die Antennen“ wurden die unterschiedlichsten Meinungen gegenübergestellt. Dies ist sicherlich der korrekte Ansatz für die Eröffnung einer Reportage. Der Zuhörer wurde jedoch am Ende der Sendung vor diesem „Puzzle“ stehen gelassen. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, dem Bürger die reale Gefahr einen Schritt näher zu bringen? In den USA wurde die Asbestkatastrophe durch Wissenschaftsredakteure wie Paul Brodeur zum stoppen gebracht. Ist die Industrie heute schon so mächtig, dass man sich nach Abschluss seiner Recherchen kein Urteil mehr erlauben darf? Und darf man heute den unabhängigen Organisationen nicht etwas mehr glauben schenken als der profitierenden Lobby? Soll etwa jeder Bürger selber die wissenschaftlichen Datenbanken recherchieren?

Gibt es überhaupt noch den investigativen Journalismus, der die Zusammenhänge aufzeigt und sich eine Meinung erlauben darf? Ein Journalismus, der dem realen Risiko ein Stück näher rückt und zum Schutz der Bevölkerung darüber berichtet?

Die ehrenamtlich arbeitende Umweltorganisation diagnose-funk, welche sich für eine Aufklärung zum Schutz der Bürger einsetzt, hat sich bemüht, die Zusammenhänge von unabhängiger Seite zu vermitteln. Vielleicht ist doch noch das ein oder andere zum Bürger durchgedrungen – falls es die jeweils nachfolgenden Kommentare der Lobby noch überdauert hat.

Anmerkungen

[1] „Sturm auf die Antennen“, Schweizer Radio DRS1, 28. November 2006

DRS-1 weigerte sich leider, das ungeschnittene Teilinterview mit Lothar Geppert der diagnose-funk zur Auswertung zu überlassen. Die hier aufgeführten Aufzeichnungen entsprechen dem vor und nach dem Gespräch geführten Skript der diagnose-funk und stimmen daher inhaltlich, jedoch nicht unbedingt wörtlich mit dem Originalinterview vom 8. September 2006 überein. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde der Interview-Stil beibehalten.

Von Hans-U. Jakob

Kommentare sind ausgeschaltet