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Private Einsprecher sind oft besser im Bild

Es sei Sache der Behörden, und nicht privater Einsprecher oder gar selbsternannter „Volksanwälte“, eine Baueingabe auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, sagen Swisscom-Anwälte grossspurig in einer Stellungnahme zu einer Einsprache. Wie gut die verantwortlichen Behörden das Metier beherrschen zeigt die nachfolgende Begebenheit aus dem Kanton Zug.

von Dr. André Masson, Baar, 30.7.06

Mobilfunkanlage Brauerei Baar:

Öffentliche Auflage des Messberichtes – eine kritische Stellungnahme

Eine komplizierte und lange Projektgeschichte

Das Verfahren dauerte lange, war heftig umkämpft; die verschiedenen Planungsstufen, Gerichtsverfahren und Ausschreibungen durchkreuzten und überholten einander. Es war sehr schwierig, den Überblick zu behalten. Das Standortdatenblatt (= Berechnung der Strahlung) wurde laufend verändert. Statt vor der Baubewilligung, liegt es in der definitiven Fassung erst nach der Betriebsaufnahme, sogar erst nach der Schlussmessung vor. Einige Details dazu:

Orange teilte gar nie mit, welche Antennentypen vorgesehen sind.

Die Strahlung liess sich deshalb nie genau berechnen, bis vor Bundesgericht nicht. Das BUWAL (heute BAFU) bestätigt, dass die genauen Antennentypen erforderlich sind zur korrekten Rechnung und Messung und empfiehlt dem Kanton Zug, die Rechtmässigkeit seiner Bewilligungspraxis darzulegen. Der Kanton schweigt dazu, es ist ihm keine Antwort zu entlocken.

Orange gab immer nur die kombinierte Leistung an in den beiden Frequenzbereichen 1800 MHz und UMTS, bezifferte aber nicht deren einzelne Werte. Schon im Jahre 2003 bezeichnete das BUWAL (heute BAFU) dieses Vorgehen als unzulässig, da die Messung resp. die korrekte Hochrechnung der Messwerte auf die maximale bewilligte Leistung nicht mehr möglich ist. Erst nach erfolgter Abnahmemessung (!!) gab Orange endlich die einzelnen Leistungen getrennt an. Wieso das alles toleriert wird, bleibt ein Rätsel. Die Hochrechnung musste fiktiv mit mehreren Leistungs-Kombinationen durchgeführt werden. Auch bei Sunrise waren zwei Versionen durchzurechnen: Will die Firma mit 1800 MHz senden oder nicht ? Diese Unsicherheit zwang den Messbericht zu weiteren Umwegen.

Die vom Bundesgericht vorgeschriebene Frist zur Abnahmemessung (drei Monate nach Betriebsaufnahme) wurde haushoch verpasst: Bis zur richtigen UMTS-Messung mit der vogeschriebenen Hochrechnung auf die bewilligte Leistung dauerte es 12 Monate minus wenige Tage, bis zur Publikation gut 17 Monate. Lange Zeit nach Sendebeginn gab Orange der Gemeinde immer noch an, der Sender stehe gar nicht in Betrieb ??? und meinte den kommerziellen Betrieb mit echten Gesprächen.

Nachträgliche Aenderungen

Im Standortdatenblatt wird angegeben, in welche Richtungen die Antennen strahlen dürfen. Die Baubewilligung der Gemeinde bezog sich auf bestimmte, feste Winkel der einzelnen Antennen. Nach dem ganzen Verfahren finden sich sowohl bei Orange wie bei Sunrise ganze Winkelbereiche auf dem Standortdatenblatt. Selbst nach der Baubewilligung sind also wichtige Betriebsgrössen nachträglich verändert worden.

Das komplizierte Verfahren mit jahrelangem Aufwand vieler Behörden wird durch die Mobilfunkfirmen mit der lächerlich geringen Bewilligungsgebühr von Fr. 500.-. nie und nimmer abgedeckt! Der Steuerzahler bezahlt die Differenz. In anderen Kantonen sind schon über Fr. 10’000.- für ein Baubewilligungsverfahren verrechnet worden.

Messverfahren

Die Messung geschieht in enger Zusammenarbeit der Mobilfunkbetreiber: Sie geben selber an, mit welcher Leistung die Sender arbeiten zum Zeitpunkt der Messung. Im Prinzip haben die Mobilfunkbetreiber einen direkten Einfluss darauf, wie hoch die Messwerte werden. Eigene Messungen haben gezeigt, dass (in zwei der drei Sektoren und ohne UMTS) die Sendeleistungen einige Tage vor und nach der Messung nicht verstellt worden sind. Solange die abgestrahlten Leistungen und alle Antennendaten nicht laufend im Internet publiziert werden, ist eine wirklich unabhängige Messung nicht möglich!

Messresultate

Alle Messresultate liegen klar unterhalb der erlaubten Limiten. Die Strahlung liegt auch beim Ort mit der stärksten Belastung (Bu.) knapp unter 50% des Grenzwertes für Wohnungen. Bei den Wohnungen mit den höchsten Messwerten (Bu. und Bi.) gab es allerdings Pannen, welche eine Interpretation der Messresultate erschweren (siehe unten).

An welchen Orten soll gemessen werden ?

Schon mehrfach wurde gefordert, dass der Kanton die Stellen sorgfältiger auswählt, wo gemessen wird. An einem Ort zu messen, wo es nichts zu messen gibt, hat einfach keinen Sinn. Der Punkt Re., wo die höchste errechnete Strahlung prognostiziert wurde, steht viel zu nahe beim Brauerei-Turm, die ganze Strahlung geht hoch oben durch. Das BUWAL (heute BAFU) hat diesbezüglich sehr unglückliche Regelungen aufgestellt, und der Kanton hält sich strikte daran.

Die Gemeinde hat an drei zusätzlichen Orten Messungen gefordert ??? auf Grund der Reaktion von Bewohnern, nicht auf Grund einer Strahlungs-Prognose. Zwei dieser „neuen“ Orte haben mehr Strahlung, als die „offiziellen“, zur Messung bestimmten Wohnorte. Im Südsektor wurde bei Bu. viermal mehr Strahlung gemessen als am offiziellen Mess-Ort (Re.). Der Wert bei Bu. wäre nochmals höher, wenn man dort die UMTS-Strahlung korrekt erfasst hätte, vgl. unten.

Auf dem Dach des Brauerei-Silos, d.h. unmittelbar unter den Antennen, hat man bei der Messung in 1.5 m Höhe die Vollzugsverordnung, Punkt 2.2.2 verletzt: Die Wartung und Reinigung der 3.5 m hohen Leuchtreklamen muss durch die Messung auch abgedeckt sein.

Schwerverständliches, Irrtümer und Kunstfehler

In den vielen, schwer überschaubaren Tabellen und Computerausdrucken gibt es viele Ungereimtheiten, Widersprüche, auch ganz Unmögliches. Es bleibt ein Unwohlsein, wie es zu diesen Fehlern gekommen ist, die von blossem Auge als solche zu erkennen sind. Beispiele:

Steigt man vom obersten Stockwerk (6.OG) des Brauerei-Silos auf das Dach hinaus, so nimmt gemäss dem Messprotokoll die Strahlung von zwei der drei Sunrise-Antennen (900 MHz) um den Faktor 2.5 resp. 7.6 zu. Die Feldstärke der dritten Antenne dagegen nimmt um den Faktor 42 ab, wenn man näher zur Antenne kommt und kein Dach mehr über sich hat: das ist ganz unmöglich.

Am Ort mit der stärksten Strahlung (Bu.) hat man die UMTS-Strahlung „verpasst“ oder nicht messen können: es werden 0.00 V/m angegeben. Die viel schwächere UMTS-Strahlung, die in die „falsche“, entgegengesetzte Richtung abgegeben wird, hat man dagegen gesehen. Dass man mitten im Hauptstrahl auf so kurze Distanz die UMTS-Strahlung nicht erkennt, ist vollständig ausgeschlossen! Da ist ev. ein Computer-Chabis passiert???

Nachdem sich das ganze juristische Verfahren bis vor Bundesgericht immer darum gedreht hat, dass UMTS nicht messbar sei, konnte bei der Abnahmemessung ausgerechnet die stärkste UMTS-Strahlung nicht gemessen werden ??? und niemand hat es gemerkt!!

Abstrahlwinkel der Antennen waren während der Messung nicht richtig eingestellt.

Bei Bi. und Bu. wurden die Abstrahlwinkel der Antennen während der Messung nicht richtig und wie vom Bund gefordert eingestellt. Bei Bi. hätte man den Strahl im Westsektor um 4°, im NE-Sektor um 6° tiefer einstellen müssen, was dann höhere Messwerte ergeben hätte. Bei Bu. hätte man im Südsektor die Orange-Antenne bis 2°, bei Sunrise sogar bis 9° tiefer stellen müssen, als sie tatsächlich waren – das sind sehr grosse Unterschiede! Neben dem verpassten UMTS-Anteil sorgen also auch noch falsche Abstrahlwinkel dafür, dass die echte Strahlung höher ist als der ausgewiesene Messwert.

Das Dach dämpft fast gar nicht

Aus der Erinnerung, leider ohne Beleg: Noch vor November 2004 ist festgestellt worden, dass das Dach der Brauerei nicht aus Beton besteht, sondern aus Holz. Im neuen Standortdatenblatt vom 28.4.06 wird immer noch mit Beton gerechnet, der viel stärker abschirmen würde. Die Dämpfung des Daches im Bereich 1800 MHz ist gemäss der Messung sehr gering: im Mittel der drei Orange-Frequenzen ist eine Dämpfung um den Faktor 1.8 gemessen worden (allein die veränderte Distanz ergibt schon Faktor 1.3). Das Dach dämpft also fast gar nicht – im Standortdatenblatt ist ein Faktor 31 angenommen worden.

Vergleich zwischen Rechnung und Messung:

Der Vergleich hinkt auf allen Vieren und kann nicht wirklich gemacht werden. Der Bund hat eine an sich sinnvolle Vorsichtsmassnahme erlassen hat, die sich bei solchen Standorten (Strahlung geht hoch über den Köpfen durch) widersinnig auswirkt. Die gerechneten Werte für Orte tief unterhalb der Antenne werden unrealistisch hoch.

Vergleich zwischen der Abnahmemessung und zwei früheren Messungen

Es gibt eine frühere Kontrollmessung (ohne richtige Hochrechnung), in Auftrag gegeben durch die Gemeinde, sowie eine private Messung bei Bu. Beide Messungen noch ohne UMTS. Wenn man die Messwerte vergleicht, gibt es trotzdem meistens eine recht schöne, gelegentlich eine sehr schöne Übereinstimmung.

UMTS: Das immer bemängelte Messprinzip bleibt nach wie vor schwer verständlich.

Das Bundesgericht hat den Betrieb des Senders zwar erlaubt, wobei zur Abnahmemessung noch viel mit „Ersatzstrahlung“ usw. argumentiert wurde. Selbst nach „unserem“ Bundesgerichtsurteil hat der Staatsrat des Kanton Wallis entschieden, dass auf dem ganzen Kantonsgebiet keine UMTS-Antenne mehr bewilligt wird – weil man UMTS nicht richtig messen kann, was genau das Thema war des Prozesses um die Brauerei-Antenne. Die Messfehler der decodierenden UMTS-Messgeräte scheinen sehr hoch zu sein.

Zusammenfassung:

Standorte für die Messung

Es hat sich bestätigt, was schon lange klar war: Der Kanton sucht sich zur Messung Orte aus, die – von blossem Auge erkennbar – nicht die stärkste Strahlung erhalten. Er stützt sich dabei auf die Bundes-Regeln ab. Wenn sich der Kanton bei der Frage der Antennentypen schon nicht an die Bundes-Vorschriften hält (zugunsten der Mobilfunkbetreiber), so müsste er sich im heiklen Bereich der Messungen ebenfalls zu sinnvolleren Lösungen durchringen (hier zu ungunsten der Mobilfunkbetreiber) – oder endlich in Bern vorstellig werden, damit die Orte sinnvoller ausgewählt werden. Eine Messung ist wertlos, wenn man genau weiss, dass es an anderen Stellen im selben Abstrahlsektor wesentlich stärker strahlt. Zum Glück hat die Gemeinde an drei weiteren Orten eine Messung verlangt.

Es ist unbedingt auf einem Computer vorgängig zu simulieren, an welchen Stellen die höchste Strahlung zu erwarten ist. In anderen Kantonen ist das gängige Praxis.

Pannen im Bewilligungsverfahren

Die Mobilfunkbetreiber schleusen im undurchsichtigen Gestrüpp des Bewilligungsverfahrens neue Abstrahlwinkel ein, die so nie bewilligt worden sind.

Pannen bei der Messung

An beiden (Wohn-)Orten mit der stärksten gemessenen Strahlung (Bu., Bi.) gab es Pannen, die einer akkreditierten Messfirma nicht unterlaufen dürfen. Die ausgewiesenen Messwerte sind deshalb zu tief geraten. Bei Bu. ist der Hauptteil der UMTS-Strahlung überhaupt nicht registriert worden (0.00 V/m), und an beiden Orten sind die Abstrahlwinkel der Antennen nicht wie vorgeschrieben eingestellt worden. Es ist trotzdem nicht anzunehmen, dass die gesetzlich

Von Hans-U. Jakob

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