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Längenberg: Einspracheverhandlungen im Stil einer BKW-Verwaltungsratssitzung

Einspracheverhandlung im Stil einer BKW-Verwaltungsratssitzung geführt

GIL-Roehre.jpg

Ueber den Längenberg, von Wattenwil bis zum Atomkraftwerk Mühleberg soll, wenn es nach dem Willen der Einsprecher geht, der Strom in den Boden.
Eine neue Technologie, um selbst 400-Kilovolt-Leitungen über weite Strecken ins Erdreich zu verlegen, ist ausgereift und wartet auf ihre Anwendung.
Anstatt an bis zu 96m hohen Masten aufgehängt, verlaufen die 6 Stromleiter in Rohren, welche mit Isoliergas gefüllt sind, unter der Erde. Die Leitungsstücke sind in Längen zu 120m geschottet, damit bei einem allfälligen Leck nicht mehrere Kilometer auslaufen. Die Stahlrohre sorgen für eine ausserordentlich gute Abschirmung der Magnetfelder. 10mal besser als bei einer Freileitung.
Wenn wir hier den Einsprechern nachgeben, bauen wir in diesem Land nie mehr eine oberirdische Hochspannunsleitung, sagt das eidg. Starkstrominspektorat und hat gleich jede Menge an Ausflüchten bereit. Ganz im Sinn der Bernischen Kraftwerke AG.-

Am Dienstag, 7.9. 04 fanden zum Projekt neue Hochspannungsleitung Wattenwil-Mühleberg der Bernischen Kraftwerke AG.- erste Verhandlungen mit den insgesamt ca 450 Einsprechern statt.

Hans-U.Jakob, 10.9.04

Für die Gemeinden Mühleberg und Frauenkappelen am Vormittag von 9 bis 12 Uhr und für die Gemeinde Köniz von 13 bis 16 Uhr.

Als erste Instanz hatte das eidg. Starkstrominspektorat ESTI die Federführung und Gesprächsleitung. Da das ESTI im Auftrag des Bundes von der Elektrosuisse, bestehend aus verschiedenen Elektroindustrieverbänden geführt wird, schimmerte von Zeit zu Zeit doch immer wieder eine Parteinahme zu Gunsten der BKW durch.
Die Vertreter der Bernischen Kraftwerke AG.- fanden laut Presseberichten, die Verhandlungen seien „sachlich“ geführt worden. „Sachlich“ heisst ja bekanntlich, der Sache dienend, das heisst also der Sache der BKW dienend.
Zum grossen Glück für die Einsprecher waren sowohl Vertreter der IG UHWM (Umweltfreundliche Hochspannungsleitung Wattenwil-Mühleberg) und von der Dachorganisation Gigaherz.ch anwesend und konnten die Falschinformationen der BKW zu Magnetfeldern, Grenzwerteinhaltung und Verkabelungsmöglichkeiten immer rasch richtigstellen.
Die beiden Organisationen waren zwar offiziell nicht teilnahmeberechtigt, wurden aber von vielen Einsprechern, die an der Teilnahme verhindert waren, mit schriftlichen Vertretungs-Vollmachten versehen.
Dies sehr zum Aerger der BKW-Vertreter, die die Ausführungen ihrer Gegner besonders gegen Schluss der Verhandlungen mit immer grösserer Gehässigkeit quittierten.

Strittige Punkte waren:
-Grenzwerte an und für sich
-Ausdehnung der Magnetfelder
-Verkabelungsmöglichkeiten
-Gefahren von GIL

Obschon der Verhandlungsleiter gleich zu Beginn jegliche Grenzwertdiskussion untersagen wollte, wurde es dem Gigaherz-Vertreter auf Anfrage erlaubt, einen vom Verhandlungsleiter „vergessenen“ Nachsatz zum Gesetzestext vorzulesen. Dieser lautete nämlich:
Nicht berücksichtigt in den Anlage-Grenzwerten von 1uT (1Mikrotesla) sind die epidemiologisch begründeteten, statistischen Hinweise auf eine Erhöhung des Leukämierisikos bei Langzeitbelastungen oberhalb von 0.1 bis 0.3uT.
Damit brauchte tatsächlich nicht mehr darüber diskutiert werden, ob die Anwendung solcher Grenzwerte nun als fahrlässig oder als kriminell eingestuft werden müssen.

Um die Einhaltung dieses 1uT-Wertes ging es in der Folge. Während BKW und das Starkstrominspektorat behaupteten, dieser Wert sei in einem Abstand von 47m eingehalten, legte Gigaherz eine Folie von Siemens auf, welche in einem horizontalen Abstand auf der Grundlinie von 50m gar den Wert von 3uT zeigte. (50m Horizontal heisst hier ca 60m radial)
Sofort wollte der BKW-Projektleiter dem Publikum weismachen, es handle sich auf der Folie halt um eine 400Kilovolt-Leitung und nicht bloss um 230kV wie im Projekt. Wohlwissend, dass das Magnetfeld überhaupt nicht von der Spannung in Kilovolt abhängig ist sondern lediglich vom Strom in Ampère oder Kiloampère und dieser Strom ist mit 1500 Ampère projektiert.
Diese Episode steht nur hier, um aufzuzeigen, wie wichtig es ist, dass sich Einsprecher durch kritische Fachleute vertreten und unterstützen lassen, sonst werden sie von einer gigantischen Desinformationsmaschinerie förmlich plattgewalzt.

Schlichtweg nichts wissen wollte der Verhandlungsleiter, ganz im Sinne der BKW, von einer unterirdischen Verkabelung.
Diese erzeuge noch höhere Magnetfelder erläuterte der BKW-Projektleiter. Dass es sich dabei jedoch um eine kunststoffisolierte und nicht um gasisolierte (GIL) Verkabelung handelte, wie von vielen Einsprechern explizit gefordert, musste wiederum der Gigaherz-Vertreter anhand von Werksdaten von Siemens belegen. Diese Daten zeigen bei GIL klar ein Magnetfeld mit 10mal niedrigeren Werten.

Auch die Mehrpreisangaben liefen diametral auseinander. Während Verhandlungsleiter und Projektleiter dauernd von 10 bis 12 mal höheren Kosten sprachen, legte der Gigaherz-Vertreter wiederum eine Folie mit Preisangaben von Siemens vor, die lediglich 4 mal höhere Kosten aufwiesen.

In die Enge getrieben, wurde zum Schluss vom Verhandlungsleiter und von den BKW noch das Isoliergas als grösste Gefahr für die Anwohner verteufelt. Hier wusste der Vertreter der IGUHWM aber bestens zu kontern. Er zitierte aus den Werksdaten von Siemens:
Es ist ein ungiftiges, nicht brennbares Gas, das weder Erdreich noch Wasser gefährdet und nach neueren Erkenntnissen sogar in der Natur vorkommt. Es wird seit 25 Jahren eingesetzt und ist in Hoch- und Mittelspannuns-Schaltanlagen in der Schweiz bereits in einer Menge von 250 Tonnen als vorzügliches Isoliermaterial im Gebrauch.
Zudem wird es von den Militärs in grossen Mengen in grosser Höhe versprüht, um Flugzeugverbände im Radar unsichtbar zu machen.

(Anmerkung von Gigaherz: Das eröffnet möglicherweise neue Möglichkeiten in der Bekämpfung von Mobilfunksendern?)

In der nachmittäglichen Verhandlung in Köniz wurde das Thema Magnetfeld bei GIL-Leitung vom Verhandlungsleiter fallen gelassen wie eine heisse Kartoffel.
Dafür wartete der BKW-Vertreter mit einer neuen Ueberraschung auf indem er behauptete, das Magnetfeld der neuen Leitung werde sich gegenüber der alten Leitung nur um 10Meter vergrössern, weil die alte Leitung bereits mit 2x670Ampère betrieben werde, was vom Gigaherz-Vertreter aufs heftigste dementiert wurde, da dieser selbst bei höchsten Mittagsspitzen nur gerade 200Ampère messen konnte und die neue Leitung für 2x1500Ampère ausgelegt ist. Das heisst 7mal mehr Strom in Ampère bedeutet auch 7 mal höhere (weiterreichende) Magnetfelder als heute.

Gut unterstützt wurden die Einsprecher durch Vertreter des Berner Heimatschutzes und der Stiftung für Landschaftsschutz. Die geschützten Ortsbilder der Weiler Mengestorf und Herzwil würden auf diesem Teilstück unnötig gestört bis zerstört.
Auch das Aufsplittern des Projektes in Teilstücke wurde gerügt, weil auf der Hälfte Gasel-Mühleberg weniger Widerstand eingetreten war als auf der Hälfte Wattenwil-Gasel.
Während man nun auf der Hälfte Wattenwil-Gasel offenbar bereit ist, eine gewisse Linienführung durch die Schutzgebiete anzupassen, hofft die BKW, auf der Seite Gasel-Mühleberg rasch mit dem Bau beginnen zu können.

Das werde man sich nicht bieten lassen, sagte ein anwesender Gemeinderat von Köniz. Ihnen seien Landschaft und Menschen auf der unteren Seite ebensoviel wert, wie auf der oberen Seite und kündete unter Applaus unverzüglich eine härtere Gangart gegenüber den BKW an.
Die Gemeinderäte von Mühleberg und Frauenkappeln dagegen fanden es leider nicht für notwendig, in den vormittäglichen Verhandlungen zu erscheinen und ihren Bürger/innen die nötige Rückendeckung zu geben.

FAZIT:
Die Verhandlungen sind gescheitert. Keine einzige Einsprache wurde zurückgezogen.

Die Verhandlungen wurden im Stil einer Verwaltungsratssitzung der BKW geführt und der Gigaherz-Vertreter von der Verhandlungsleitung wie von den BKW als Lügner beschimpft, an was sich dieser aber seit 18 Jahren bereits gewöhnen konnte und nun gegen solche Anwürfe unterdessen völlig immun geworden ist.

Die BKW sagten, sie würden sich weder von Gruppierungen noch von Einzelpersonen etwas vorschreiben lassen. Die Grenzwerte und Gesetze würden von Bundesämtern gemacht und nur daran werde man sich halten. Punkt.

Wie weiter:
Der hinterlassene Scherbenhaufen, geht nun an das Bundesamt für Energiewirtschaft, welches mit den Verhandlungen nochmals von vorne beginnen darf. Es bleibt der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass diese etwas sensibler ans Werk gehen werden. Die Verhandlungen haben gezeigt, dass Hochspannung nicht nur in Stromleitungen der BKW herrscht, sondern in der gesamten betroffenen Bevölkerung.

Wichtig für Einsprecher:
Die Verhandlungen sind auch in der 2.Instanz gratis und kosten ausser Zeitaufwand gar nichts. Die Mitgliedschaft bei der IG UHWM und bei Gigaherz.ch ist mit keinerlei finanziellen Risiken verbunden. Mitglieder haften ausdrücklich nur mit einem einzigen offiziellen Jahresbeitrag. (Fr.20.00 resp. Fr.50.00) Alle anderen Versionen sind von den BKW frei erfunden.

Anmerkung:
Sowohl IG.UHWM-Vertreter und Gigaherz-Vertreter wurden nach den Verhandlungen von vielen Teilnehmern umringt, welche ihren persönlichen Dank aussprechen wollten. Man wäre ohne diese Hilfe ganz schön verschaukelt worden, war der Grundtenor.

Und Verwaltung,Regierung und Interessenpolitiker sprechen offensichtlich so unterschiedliche Sprachen, dass sie das Volk nicht mehr verstehen. Das Bundesamt für Energiewirtschaft wäre gut beraten, bei künftigen Verhandlungen entweder einen Simultandolmetscher mit Zusatzausbildung in Psychologie zu engagieren oder vorher einen ausgiebigen Sprachkurs in Längenberger-Berndeutsch zu absolvieren. Ein neuer Turmbau zu Babel ist im Anrollen.

GIL-Magnetfeld.jpg

Magnetfeldkurven, aufgenommen knapp über Boden
dunkelblau=Freileitung, 2 Stränge à 1500Amp
rosa=kunstsoffisolierte Bodenkabel, 2 Stränge à 1500Amp
grün=gasisolierte Bodenverlegung, GIL, 2Stränge à 1500Amp

Vorgeschichte dazu unter:

Längenberger Hochspannungskrimi (unter Historisches)

Von Hans-U. Jakob

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