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Kein Handy dabei? Dann sind sie ein Terrorist!

ein Artikel aus der TAZ Berlin

VON SASKIA SASSEN / RICHARD SENNETT

gekürzte Wiedergabe

„Terrorismus“ hat zwei Gesichter. Es gibt wirkliche Bedrohungen und echte Terroristen, und dann gibt es da noch eine Sphäre namenloser Ängste, vager Verdächtigungen und irrationaler Reaktionen. In Letzterer scheint sich derzeit das deutsche Bundeskriminalamt zu bewegen: am 31. Juli durchsuchte es die Wohnräume und Arbeitsplätze von Dr. Andrej H. und Dr. Matthias B. sowie von zwei anderen Leuten, allesamt in höchst verdächtige Aktivitäten verstrickt – in das Verbrechen der Soziologie.

Dr. Andrej H. wurde festgenommen und zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen, seitdem sitzt er in einem Berliner Gefängnis in Einzelhaft und wartet auf sein Verfahren. Natürlich kann es sein, dass die Polizei über handfeste und nachvollziehbare Beweise verfügt, die sie bislang zurückhält; ihre öffentlichen Verlautbarungen dagegen deuten eher auf eine Farce hin.

Dr. B. wird vorgeworfen, er habe in seinen akademischen Veröffentlichungen „Formulierungen und Schlüsselworte“ verwendet, die auch von einer militanten Gruppe benutzt würden, darunter solche Worte wie „Ungleichheit“ und „Gentrifizierung“. Die Polizei hält es für verdächtig, dass es zu Treffen mit deutschen Aktivisten kam, zu denen die Soziologen ihre Mobiltelefone nicht mitbrachten; die Polizei betrachtet dies als Zeichen „konspirativen Verhaltens“.

Das Handy als elektronische Fussfessel

Ein Kommentar von Hans-U. Jakob von 25.8.07

Wer nicht regierungskonform funktioniert, erschien den Staatsschützern  seit jeher suspekt und überwachungsbedürftig.  Man denke nur an die Verfolgung der Täufer in der Schweiz, nur weil diese vor 200 bis 300 Jahren die Idee vertraten, die Regierung sei gar nicht etwa von Gott eingesetzt worden.   Das ist ihnen ganz schlecht bekommen.  Etliche wurden gar um einen Kopf kürzer gemacht, Frauen meist als Hexen verbrannt.

Vorbei sind nun die Zeiten, wo die, während des kalten Krieges zum Staatsschutz abkommandierten Dorfpolizisten, an der Rückseite der Dorfbeiz eine Leiter anstellen mussten, um durch die Fenster zu spähen, wenn Oppositionelle dort ihre Sitzungen abhielten.

Vorbei auch das mühsahme Notieren der 12-Stelligen Versicherungsnummern von Fahrrad-Kontrollschildern vor der Dorfbeiz und vorbei das mühsame Herumstapfen im tiefen Schnee, wenn nicht-konforme „Grüne“ ihre Versammlungen gar in einem abgelegenen Gehöft abhielten.

Vorbei auch das als Liebespaar, Biker, Jogger oder Hündeler verkleidete Herumschleichen um die Antennen des Kurzwellensenders von Schweizer-Radio-International, um dort einem oppositionellen Messtechniker abzupassen, hinter dem gar ein KGB-Agent vermutet wurde.

(Quellen: Fichen-Aufzeichnungen aus dem Schweizer Staatssschutz-Archiv 1987-1997)

Heute geht das, dank dem Handy, alles viel einfacher.

Voraussgesetzt, das Subjekt (so werden Verdächtige genannt) trägt ein solches auf sich. Heute werden suspekte Persone auch nicht mehr als KGB-Agenten verdächtigt, sondern als Terroristen.  Schliesslich ist man(n) als Staatsschützer ja anpassungsfähig und hat mit der Zeit zu gehen.

Per Staatsschutzcomputer lässt sich per Bildschirm und Tastatur rasch und mühelos feststellen, auf welcher Basisstation das Subjekt, respektive dessen Handy eingebucht, das heisst, temporär angemeldet ist.  Was die wenigsten Handybesitzer wissen, ist, dass sie eine elektronische Spur durch das ganze Land hinterlassen.  Ihr geliebtes Handy meldet sich nämlich automatisch immer auf der derjenigen Mobilfunkantenne (Basisstation) an, welche die beste Verbindung anbietet.  Und das ist logischerweise diejenige die dem Subjekt am nächsten liegt.

So lässt sich nicht nur die ungefähre Distanz des Subjektes zur entsprechenden Basisstation, sondern auch noch die ungefähre Richtung zu dieser ablesen.

Trägt nun ein Subjekt  kein Handy auf sich, bedeutet das für jeden rechtschaffenen Staatsschützer Alarmstufe rot.  Solche Subjekte wollen sich doch nur verstecken und sich der zeitgemässen Ueberwachung entziehen!

Steuereinheit.jpg



Dabei wäre gerade das Gegenteil zu vermuten  


Denn die meisten Sprengladungen werden heute per Handy, das heisst per SMS fern-gezündet.  Steuereinheiten mit 2 oder 4 Ausgangskontakten, die per SMS einzeln geschlossen oder geöffnet werden können, sind heute im Fachhandel frei erhältlich und werden wahllos an jedermann verkauft.  Bombenbastler benötigen, dank dem Handy, überhaupt keine Fachkenntnisse mehr.

Bild links: Im Fachhandel frei erhältliche mit einem Handy, per SMS steuerbare Elektronik-Einheit.  Passend für jeden Schaltschrank oder für jede Rucksackbombe.

Von Hans-U. Jakob

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