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Ein Leserbrief zum Nachdenken

Wer leiht den von HF geplagten Menschen eine Stimme?

von A. Zurighese, 17.12.2011

Ganz harmlos fing die Sache für uns vor einigen Jahrzehnten an: In vielen Hotels wurden die Zimmer mit Klimaanlagen ausgerüstet. Diese summten mehr oder weniger laut. Aber sie liessen sich meist ausschalten. Dann hatte man Ruhe. Mühsamer waren die Küchenabzüge und die Hotelwäschereien. Sie konnten das ganze Zimmer zum Schwingen bringen. Dagegen half meist ein Zimmerwechsel. Dass seit den 90er Jahren auf dem Hotelzimmertisch ein Kabelende lag, störte niemanden. Im Gegenteil, man fühlte sich mit der grossen weiten Welt verbunden. Erst als die Netzwerk-Kabel wieder verschwanden, begann die Malaise für uns: Nun summte es Tag und Nacht im Hotelzimmer, ohne dass das Abschalten oder das Herausziehen von Steckern eine Wirkung zeigte. Das war jetzt sehr lästig, weil auch die Hotelleitung ratlos war und mit einem Zimmerwechsel die Situation nicht zu verbessern war. Immerhin blieb uns der Trost, nach den Ferien wieder in unserer schönen und ruhigen Wohnung, circa 600m von der nächsten Mobilfunkantenne entfernt, ausschlafen zu dürfen. Dass wir mit unserer «Elektrosmog-Empfindlichkeit» in Hotelzimmern den Scenenwechsel von Akustikemissionen zu Hochfrequenzemissionen (WLAN, DECT und Mobilfunk) hautnah erlebt hatten, ist uns erst viel später klar geworden.

In unserer eigenen Wohnung geschah dieser Szenenwechsel einige Jahre später, dafür dann aber viel dramatischer, nämlich als unser Wohnungsnachbar seine Computeranlage aufrüstete, mittels WLAN von verkabelt auf drahtlos wechselte und die Anlage Tag und Nacht als «Datenfabrik» betrieb. Zuerst meinten wir, im Hause seien neue elektrische Maschinen aufgestellt worden. Zum Eruieren der neuartigen Störungsquellen lauschten wir sämtliche Wände, Böden und Decken ab. Nur brachte das nichts gegen das fast ständige, hin und wieder von Taktschlägen, Luftzugpfeiftönen und Wasserkesselrauschtönen unterbrochene «Bienensummen», und auch nichts gegen die für uns zur Regel gewordenen schlaflosen Nächte.

Es brauchte Monate bis wir realisierten, dass wir uns wegen einer Hochfrequenz-Sensibilität in einer äusserst prekären Situation befanden, die unsere Lebensqualität seither stark begrenzt. All die vielen von uns oder in unserem Auftrag ausgeführten medizinischen, psychiatrischen, messtechnischen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Abklärungen erwiesen sich als ein Kampf gegen Windmühlen. Ebenso wenig fruchteten unsere Bitten an die Nachbarn, die WLAN- und DECT-Aktivitäten auf die Tagesstunden zu begrenzen und die entsprechenden Geräte wenigstens während ihrer Ferienabwesenheiten auszuschalten. Auf unsere Offerte, die Anlagen auf unsere Kosten zu verkabeln, wurde überhaupt nicht eingegangen.

Von allen Seiten erhielten wir vielleicht gut gemeinte Ratschläge, nämlich abzuklären, ob eventuell der eigene Herzschlag als Störung empfunden werde, ob die Störungen vielleicht im eigenen Kopf zu suchen seien, und ob es für uns nicht besser sei, überhaupt wegzuziehen. Aber auch Fachleute bedienten uns grosszügig mit ihrem Wissen, nämlich, dass die circa 25cm starke Stahlbetondecken über und unter unserer Wohnung viel zu dick seien, als dass HF-Emission sie durchdringen könne, oder dass die Leistungen der im Handel befindlichen HF-Quellen viel zu gering seien, um HF als ein Hörphänomen (Frey-Effekt) wahrnehmen zu können. Sie alle wollten uns mehr oder weniger direkt mitteilen, dass unsere Erlebnisse aller Realität entbehren oder noch schärfer auf den Punkt gebracht: Weder ein Hersteller noch ein Nutzer der HF-Quellen sondern ausschliesslich die HF-sensiblen Personen seien die Verursacher ihrer selbst eingebildeten Leiden. So sei schliesslich auch die öffentliche Meinung.

Im ständigen Kampf gegen unseren Schlafmangel, aber auch in der Absicht, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen HF-Quellen und den von uns empfundenen Störungen zu erfassen, suchten wir viele externe Schlafplätze auf. Dies natürlich jeweils erst nach ausgiebigen Abklärungen zu den am jeweiligen Schlafplatz zu erwartenden HF-Quellen. Es zeigte sich bei unseren Untersuchungen, dass die von uns empfundenen HF-Störungen nicht allein von den emittierenden Geräten oder Gerätetypen abhängig sind, sondern wenigstens ebenso stark von den Benutzereinstellungen an den Geräten und vor allem vom Benutzerverhalten, also von der Art, wie die Benutzer mit den Geräten oder Anlagen umgehen. Als  besorgniserregend empfinden wir die ständige Zunahme, Erweiterung und Leistungserhöhung von drahtlosen Kommunikationsanlagen innerhalb von Gebäuden (DECT, WLAN und speziell Wireless TV Link) und gleichermassen im öffentlichen Raum (Mobilfunk, Hot Spots, drahtloser Internet-Zugang und 3G/UMTS-Mobilfunk-Verstärker in SBB-Zügen, Polycom und andere Funksysteme).

Zur Abklärung, ob wir überhaupt irgendwo in der Schweiz von HF unbelästigt schlafen können, schickte uns unser Facharzt für Elektrosmog-Probleme in ein abgelegenes inneralpines Tal. In Zusammenarbeit mit einem Fachmann für HF-Messungen konnte er uns dort sogar ein Hotel empfehlen. Der erste Augenschein nach unserer Ankunft war äusserst aufstellend. Mobilfunkantennen waren nicht auszumachen. Im Dorf war SMS-Kontakt nur auf den Zehen stehend mit dem in die Höhe gestreckten Handy möglich. Das Hotel schmückte sich mit einem «Zertifikat». Es war erst kürzlich umgebaut und modernisiert worden und im Hotelgarten befanden sich die Sonnenkollektoren der neuen thermischen Solaranlage. Nach der ersten unruhigen Nacht wurde auf unseren Wunsch hin das DECT-Telefon älteren Baujahrs für die nächsten Nächte stillgelegt. Ab der zweiten unruhigen Nacht diskutierten wir ausgiebig darüber, ob von der unmittelbar unter unserem Zimmer befindlichen Heizungsanlage (Solarregler, Wärmepumpe, Ventile u.a.) während gewisser Nachtstunden Stromausschalt-Impulse oder sogar WLAN-Steuerimpulse ausgingen, die dann von einer HF-sensiblen Person als den Schlaf behindernde Taktschläge empfunden werden könnten. Diese Störung liess sich von der dritten Nacht an mit einem Zimmerwechsel geringfügig verbessern. Da wir damals noch keine eigenen HF-Messgeräte auf unseren Reisen mitführten, liess sich keine definitive Abklärung durchführen. Aber in den herrlichen Wäldern an den Talhängen fühlten wir uns sehr wohl. Dass wir auch dort – weitab von allen Gebäude und und öffentlichen Mobilfunkantennen – das von der heimatlichen Wohnung her bekannte nicht-akustische «Bienensummen» schwach vernahmen, war irritierend. Erst später erfuhren wir, dass sich im Tal eine Polycom-Antenne für das der Öffentlichkeit nicht zugängliche nationale «Sicherheitsnetz Funk» befindet.

Im Zusammenhang mit den hier beschriebenen HF-Elektrosmog-Situationen darf man sich zeitweise als von allen Menschen und von allen guten Geistern verlassen fühlen. Sich an Shakespeares Ausspruch «Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen lässt» erinnernd, zweifelt man dann an Schulweisheit und öffentlicher Meinung. Um keine Abklärung ausgelassen zu haben, wurden wir in der Hohen Schule bei den Experten für Hochfrequenz vorstellig und befragten sie um ihre Meinung zu unseren Erlebnissen. Ganz verwundert schauten sie uns mit grossen Augen an und verwiesen uns an den Mitautor eines wenige Monate später international publizierten Forschungsberichts, der am 4. Oktober 2010 von der Schweizer Presse unter den die Öffentlichkeit beruhigenden Titeln «Handystrahlen verursachen keine Schlafprobleme» und  «Entwarnung – Gesunder, tiefer Schlaf trotz Handy-Strahlen» zusammenfassend publiziert wurde. Eine von diesen Schlafproblemen dann doch betroffene Person braucht viel Grösse, um das nicht als Hohn zu empfinden.

Neben dem gegenwärtigen, speziell mit Nationalfondsmitteln unterstützten Forschungziel, den Nachweis erbringen zu wollen, dass «die Bevölkerung» mit HF ohne gesundheitliche Probleme leben kann, gäbe es für bewusste Forscher auch ein wertvolleres Forschungsziel. Sie könnten sich mit den HF-Problemen der Menschen auseinandersetzen, die in ihrer Not – meist erfolglos – Ärzte, Apotheker, Bauämter, Bundesämter, Juristen, Gerichte und Anbieter von HF-Messungen oder von HF-Abschirmungen ansprechen. Sie suchen dort Hilfe, weil die HF-Immissionen ihnen  – mit starken individuellen Unterschieden – Schlaflosigkeit, störende Höreffekte, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Muskelkrämpfe, extreme Schweissausbrüche, Inkontinenz und andere Leiden bereiten. Nach unseren Beobachtungen und Vorstellungen handelt es sich in der Schweiz um grössenordnungsmässig einige tausend Menschen, deren Lebensqualität wegen der HF erheblich begrenzt ist. Es stünden den Forschern damit genügend viele Versuchspersonen zur Verfügung, ohne dass sie sich bei der Auswertung der Versuchsergebnisse hinter der Forscherarbeitsplätze sichernden Aussage «das Ergebnis sei wissenschaftlich noch immer nicht gesichert» verstecken müssten.

Kein Mensch in Europa kann sich von den modernen HF-basierten Kommunikationsmitteln distanzieren, ohne dadurch wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile eingehen zu müssen. Selbst 70jährige Grossmütter müssen sich mit einem als Geburtstagsgeschenk erhaltenen i-Pod arrangieren. Die Werbemedien sind übervoll von günstigen Angeboten zu Handy, i-Pod, iPad, DECT und WLAN-gestützten Elektronik-Geräten. Gemessen an den vielen Verkaufsläden, scheint der Umsatz zu florieren. Um den Käufern und Nutzern dieser Geräte gerecht zu werden, müssen überall, wo Menschen sich im privaten oder öffentlichen Raum bewegen, vorhandene Basisstationen (Mobilfunkantennen, Access Points, DECT-Basisstationen) erweitert  und ergänzt werden. Alle sich in diesen Räumen aufhaltenden Menschen werden ständig zunehmenden Strahlungsintensitäten ausgesetzt. Natürlich gibt es Ärzte, die sich zu den gesundheitlichen Auswirkungen dieser Entwicklung Gedanken und Sorgen machen. Aber es sind ihnen in doppelter Hinsicht die Hände gebunden. Einerseits haben sie von HF und ihren Auswirkungen nicht viel mehr Kenntnisse als der Rest der Bevölkerung. Anderseits müssen sie sich überall dort, wo sie ihren eigenen Gedanken und Worten zum Thema HF Gewicht geben wollen, vorgängig bei den Fachleuten für HF-Technologie absichern. Und das sind nun einmal die Vertreter der modernen Kommunikationstechnik, die kaum ein Interesse daran haben können, den Ärzten Informationen zuzuspielen, mit denen man der boomenden Kommunikationstechnik Zügel anlegen könnte. Viel Hilfe beim Kampf gegen die unbegrenzte HF-Durchstrahlung dieser Welt ist von den Ärzten vorerst also kaum zu erwarten. Ihren jahrzehntelangen Kampf gegen das unbegrenzte Rauchvergnügen haben sie noch immer nicht gewonnen.

Die Medien Fernsehen und Presse geben im Zusammenhang mit dem Thema Elektrosmog – aus auch was immer für Gründen – ein äusserst schwaches Bild ab. Entweder schleichen sie sich um das heikle Thema herum oder sie klammern sich an Slogans der Art  «Mobilfunk macht gesund» ohne dabei auch nur mit einem einzigen Wort auf den damit verbundenen Elektrosmog einzugehen (NZZ, 22. September 2011). Dass eine andere Tageszeitung (FAZ, 24. Mai 2011) einer unter HF-Immissionen extrem leidenden Person rund eine halbe Druckseite einräumt, verdient zwar hervorgehoben zu werden, ist aber noch immer nicht das Ende des Tunnels. Es ist und bleibt die Aufgabe unserer Medien, auch der Minderheit, die wegen der in der NIS-Verordnung (NISV) zu hoch angesetzten HF-Immissionsgrenzwerten leidet, eine Stimme zu leihen. Es geht schlicht und einfach darum, diese Minderheit zusammen mit ihren Anliegen ernst zu nehmen. Und dies selbst dann, wenn die von den gegenwärtigen NIS-Grenzwerten profitierende Bevölkerungsmehrheit dies nicht unterstützt.

Wir wollen die Betrachtung der HF-basierten Kommunikationstechnologie nicht nur aus dem Blickwinkel der unter HF-Elektrosmog leidenden Minderheit dargestellt haben. Es muss auch hervorgehoben werden, dass die Entwicklung der Kommunikationstechnologie während der letzten Jahrzehnte in allen Ländern zu erheblichenVeränderungen wichtiger Lebensbereiche geführt hat. Die neuen HF-technischen Möglichkeiten werden von den Bevölkerungen fleissig genutzt und mehrheitlich unterstützt. Ein Zurückschrauben der damit verbundenen HF-Elektrosmog-Situation auf die Werte in früheren Zeiten ist daher kaum mehrheitsfähig. Denkbar ist jedoch bereits jetzt die Einrichtung elektrosmogfreier Gebiete oder Lebensräume, um den von HF-Elektrosmog Geplagten ein menschenwürdigeres Leben zu ermöglichen. Bereits seit circa 100 Jahren werden den vom Aussterben bedrohten Pflanzen und Tieren Schutzgebiete eingerichtet und seit vielen Jahren baut man Fussgängerinseln für vom Fahrverkehr bedrohte Menschen. Warum nicht HF-freie Zonen für die von HF Geplagten? Um aber derartige Projekte mehrheitsfähig und somit realisierbar zu machen, müsste die Bevölkerung zuerst einmal aufgeklärt werden, was HF ist, dass HF neben vielen positiven Anwendungsmöglichkeiten leider auch negative Auswirkungen hat und – vor allem –  dass HF-Sensible keine Spinnner sind.

Anmerkung:

Dieser Bericht ist keine Anklage. Er soll darauf hinweisen, dass in der Folge des Fortschritts auf dem Gebiet der Komunikationstechnologie eine Minderheit der Bevölkerung ohne eigenes Verschulden von einer um die Hintergründe wenig oder nichts wissenden Mehrheit in sehr missliche Lebenssituationen getrieben wird.

Die für den Leser unklaren Bezeichnungen und Abkürzungen werden bei Wikipedia erklärt

Von Hans-U. Jakob

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