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Die REFLEX-Studie bleibt ein Stachel im Fleisch der Mobilfunkindustrie

Ein weiterer operativer Eingriff, diesmal mit neuem Team, ebenso zum Scheitern verurteilt

von Prof Dr. Franz Adlkofer

Koordinator der REFLEX-Studie

pupliziert bei Gigahgerz am 30.9.3013


Adlkofer_2.jpg<<<Bild links: Prof. Dr. Franz Adlkofer von der Stiftung Pandora, der Stiftung für unabhängige Forschung

Im Juni 2013 erschien in Mutation Research eine Publikation von Speit, Gminski und Tauber mit dem Titel „Gentoxische Wirkungen nach Exposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern sind in HL-60-Zellen nicht reproduzierbar“ (1). Mit dieser kategorischen Feststellung werden die an der Freien Universität  Berlin im Rahmen der REFLEX-Studie erhaltenen Forschungsergebnisse nicht etwa angezweifelt, sondern für ungültig erklärt. Ähnlich, wenn auch in knapper Form, wird mit den REFLEX-Ergebnissen der Arbeitsgruppe an der Medizinischen Universität Wien (MUW) umgegangen, die in isolierten menschlichen Fibroblasten nach Exposition gegenüber GSM-Signalen gentoxische Veränderungen gefunden hatte (2). Günter Speit, den ich als Koordinator der REFLEX-Studie in der Endphase des Projektes um eine Überprüfung der Wiener Ergebnisse gebeten hatte, war damals nicht in der Lage, diese zu reproduzieren (3). Neun Jahre nach Abschluss des REFLEX-Projektes unternimmt er nun den Versuch, die für die Mobilfunkindustrie so lästigen REFLEX-Ergebnisse ein für alle Mal zu entsorgen. Diesem Versuch kommt besonderes Gewicht zu, weil sich just die Berliner Arbeitsgruppe, die selbst zur REFLEX-Studie beigetragen hat, daran beteiligt!

1) Speits Untersuchung der gentoxischen Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf menschliche Fibroblasten ist ohne Bezug zu den Forschungsergebnissen der Wiener Arbeitsgruppe

In der von Speit kritisierten Publikation der Wiener Arbeitsgruppe wurden kultivierte menschliche Fibroblasten mit unterschiedlich modulierten 1.800MHz GSM-Signalen bei einer SAR von 2 W/kg intermittierend bestrahlt (2). Im Gegensatz dazu führte Speit in seiner unabhängigen Überprüfung damals alle Experimente bei sonst gleichen Bedingungen ausnahmslos mit der unmodulierten Hochfrequenzstrahlung durch (3). Zu Unrecht wiederholt er jetzt seine bereits früher aufgestellte Behauptung – wie ich vermute wider besseres Wissen –, dass die Exposition der Fibroblasten in Wien sowohl mit als auch ohne Modulation der hochfrequenten elektromagnetischen Felder erfolgt ist (1). Wenn es so gewesen wäre, hätte er das Misslingen der Reproduktion in seinem Labor zumindest auf den Teil der Wiener Ergebnisse, der angeblich ohne Modulation der 1.800-MHz-Strahlung zustande kam, beschränken müssen, was er jedoch nicht tat. Entweder war er sich des Unterschieds zwischen nichtmodulierter und modulierter Hochfrequenzstrahlung nicht bewusst oder er ignorierte dies, um auch die mit GMS-Signalen durchgeführten Wiener Experimente in Zweifel zu ziehen. Der Mangel an Logik scheint ihm bei seinem Vorgehen nicht aufgefallen zu sein.

Speit hätte wissen müssen, dass  alle Experimente in der Publikation, die er jetzt kritisiert (2), mit Fibroblasten unter Verwendung von GSM-Signalen durchgeführt wurden und dass die unmodulierte 1.800-MHz-Strahlung dabei ohne Wirkung war. Dies hat Hugo W. Rüdiger, Leiter der Wiener Arbeitsgruppe, dem Herausgeber von Mutation Research 2006 in einem Leserbrief zu Speits Publikation (3) mitgeteilt. Dabei hat er im Detail beschrieben, wie in seinem Labor bei der Exposition der Fibroblasten vorgegangen wurde. Es kann als sicher gelten, dass der Herausgeber Speit diesen Leserbrief zur Kenntnis gebracht hat. Ob Speit seine Bedeutung nicht erkannt hat oder nicht erkennen wollte, kann nur er selbst beantworten. Dass zwischen der modulierten und der unmodulierten Hochfrequenzstrahlung Unterschiede in der Wirkung bestehen, steht inzwischen außer Frage. Franzellitti et al. haben dieses in Wien beobachtete Phänomen in ihrer 2010 erschienenen Publikation bestätigt. Sie haben gezeigt, dass menschliche Trophoblasten auf die GSM-Strahlung – wie die menschlichen Fibroblasten in Wien – mit der Bildung von DNA-Strangbrüchen reagieren, während die unmodulierte Hochfrequenzstrahlung wie in Speits Wiederholungsexperimenten ohne jede Wirkung blieb (4).

Wie im Anhang I-B des REFLEX-Abschlussberichtes gezeigt, hat Speit als Nichtmitglied des REFLEX-Konsortiums den Anstieg der Mikrokerne und damit die gentoxische Wirkung der GSM-Strahlung in menschlichen Fibroblasten bei einem der in Wien durchgeführten Experimente, in dem die Zellen 15 Stunden lang einer GSM-Strahlung von 2 W/kg ausgesetzt waren, im Verlauf der Endphase der REFLEX-Studie mit überzeugenden Daten bestätigt (5). Dieser Tatbestand ist nur aus der Welt zu schaffen, wenn man der Wiener Arbeitsgruppe bewussten Betrug durch Manipulation der Versuchsbedingungen unterstellte!

2) Speits Untersuchung der gentoxischen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf HL-60-Zellen lässt zwar Zweifel an den Forschungsergebnissen der Berliner Arbeitsgruppe aufkommen, kann diese aber nicht widerlegen

Zu Recht stellt Speit in seiner aktuellen Publikation (1) fest, dass an den Ergebnissen der Berliner REFLEX-Arbeitsgruppe wegen des Fehlens einer Dosis-Wirkungsbeziehung und wegen der Begrenzung der Wirkung auf einen definierten SAR-Bereich Zweifel aufkommen. Bei den Experimenten an der Freien Universität wurden HL-60-Zellen nicht der unmodulierten 1.800-MHz-Strahlung ausgesetzt. Zweifel mögen der Berliner Arbeitsgruppe auch selbst gekommen sein, die ihre Ergebnisse zwar für den Abschlussbericht der REFLEX-Studie zur Verfügung stellte (5), diese aber bis heute trotz wiederholter Aufforderung durch den Koordinator der REFLEX-Studie, also durch mich, in keiner wissenschaftlichen Zeitschrift publizierte. Der Freien Universität Berlin wurde für die Mitwirkung an der REFLEX-Studie immerhin ein Betrag von mehr als 300.000 Euro aus­bezahlt, der in Gänze von den europäischen Steuerzahlern aufgebracht wurde, was nach meinem Empfinden eine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Ergebnisse beinhaltet hätte.

Zweifel an der eigenen Arbeit mögen auch der Grund gewesen sein, warum sich die Berliner Forscher anfänglich weigerten, Speit HL-60-Zellen für die Überprüfung der gentoxischen Wirkung der Hochfrequenzstrahlung zur Verfügung zu stellen, die nach meiner Vorstellung durch einen unabhängigen Wissenschaftler außerhalb des REFLEX-Konsortiums erfolgen sollte. Im Gegensatz zu ihnen war die Wiener Arbeitsgruppe sofort bereit, mit menschlichen Fibroblasten auszuhelfen, so dass Speit ohne wesentliche Verzögerung mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Verum mit der Untersuchung beginnen konnte. Warum es dann 2005, ein Jahr nach Abschluss der REFLEX-Projektes, doch zu einer Zusammenarbeit zwischen Speit und der Berliner Arbeitsgruppe kam (1), entzieht sich meiner Kenntnis. Speits Behauptung, dass er die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit im August 2005 dem REFLEX-Koordinator, also mir, zugeschickt habe, ich diese aber nicht berücksichtigt hätte, entspricht nicht der Wahrheit. Jedenfalls gibt es dafür keinen Eingang bei der Stiftung Verum in München, deren Geschäftsführer ich damals war. Außerdem hätte ich Speit aus bereits damals gegebenem Anlass die möglicherweise für ihn unangenehme Frage nicht erspart, wer denn die Kosten für diese weitere Unter­suchung übernommen hat.

Selbstverständlich stellen die Ergebnisse von Speit, die er 2005 und ein weiteres Mal zu einem späteren Zeitpunkt – der  jedoch ebenso wie der Name des Förderers dieser Untersuchung in der aktuellen Publikation (1) weitgehend im Dunklen bleibt – erhalten hat, die Daten der Berliner REFLEX-Arbeitsgruppe ernsthaft in Frage. Noch stärker sind jedoch die Zweifel, die sich aus der bis jetzt nicht geklärten Frage ergeben, ob der unmodulierten Hochfrequenzstrahlung ebenso wie der modulierten überhaupt eine gentoxische Wirkung zukommt. Die Ergebnisse der Wiener Arbeitsgruppe und die von Franzellitti et al. (4) stehen einer solchen Annahme sicherlich im Wege. Da die Bevölkerung vor allem der Mobilfunkstrahlung, also den modulierten Hochfrequenzsignalen, ausgesetzt ist, kann getrost festgestellt werden, dass die Untersuchung der unmodulierten 1.800-MHz-Trägerfrequenz durch Speit und die Berliner Arbeitsgruppe wohl mehr von theoretischem Interesse als von praktischer Bedeutung ist. 

Trotz berechtigter Zweifel gibt es auch Gründe, die der von Speit vertretenen Vorstellung wider­sprechen, dass die REFLEX-Ergebnisse an der Freien Universität Berlin Produkte des Zufalls und nicht der wissenschaftlichen Forschung sind. Speit könnte nämlich ihre Reproduktion – wie von ihm selbst erwähnt, aber sofort wieder verworfen (1) – deshalb misslungen sein, weil er bei seinen Experimenten HL-60-Zellen und Zellkulturmedien verwendete, die im Vergleich zu denen in Berlin aus anderen Quellen stammten. Den Ergebnissen wegen der nicht vorhandenen Dosis-Wirkungsbeziehung die Anerkennung zu verweigern, erscheint bei dem dürftigen Stand des Wissens um die molekularen und submolekularen Mechanismen, die durch die Hochfrequenz-strahlung ausgelöst werden, jedoch nicht zulässig. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Berliner REFLEX-Ergebnisse zwar in die richtige Richtung weisen, aber – wie so häufig in noch jungen Forschungsbereichen – mangels zuverlässiger Beherrschung der Untersuchungstechniken Präzision vermissen lassen.

Die stärkste Stütze für ihre Richtigkeit erhalten die Berliner REFLEX-Ergebnisse zweifellos durch eine Doktorarbeit, die im selben Forschungslabor wie die REFLEX-Studie, aber unabhängig von ihr, unter der Verantwortung von Rudolf Tauber, Mitautor der aktuellen Publikation (1), durchgeführt wurde. Diese Arbeit, in der HL-60-Zellen auf die Exposition gegenüber einer unmodulierten 2.450-MHz-Strahlung bei einer SAR von 1,114 W/kg mit einem signifikanten Anstieg von DNA-Strangbrüchen reagierten, war 2011 von einem – wie es aus­sieht – mobilfunkindustriehörigen Wissenschaftler als gefälscht verleumdet worden. Aufgrund dieser Unterstellung wurde sie aus der im Internet zugänglichen Liste aller an der Freien Universität Berlin abgeschlossenen Doktorarbeiten zunächst entfernt, dann aber, als sich der Fälschungsvorwurf als halt­los erwiesen hatte, nach geringfügiger Modifikation wieder in die Liste aufgenommen (6).

3) Schlussfolgerung

Es ist ein fürwahr seltsames Phänomen, dem die Forschung, die sich mit den biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder beschäftigt, seit Jahrzehnten gegenübersteht, dass nämlich von einer Konsistenz ihrer Ergebnisse nicht die Rede sein kann. Andrew Marino erklärt in seinem Buch Going Somewhere, warum Inkonsistenz bei biologischen Tests im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern geradezu erwartet werden muss (7). Während die Untersuchung von Festkörpern, Flüssigkeiten, Gasen und den von Menschen hergestellten Gegenständen nach den Regeln der Physik immer zu gleichen Ergebnissen führt, versagen diese Regeln bei der Untersuchung von Lebewesen und ihren Organen. Diese müssen sich im Kampf ums Überleben ständig neuen Situationen anpassen, was nicht voraussagbare Änderungen intra- und interzellulärer Prozesse zur Folge hat. Das Ergebnis ist ein ständiger Wechsel der experimentellen Bedingungen. Dieses bis heute ungelöste und vielleicht gar nicht lösbare Problem dürfte einer der wesentlichen Gründe für die seit Jahren unbefriedigenden Fortschritte bei der Erforschung der biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder sein. Von dieser Tatsache macht die Mobilfunkindustrie mit ihren Zuarbeitern aus der Wissenschaft rigoros Gebrauch, um mit stark überhöhten Grenzwerten ihre ökonomischen Interessen uneingeschränkt durch­zusetzen.

Die Publikation von Speit et al. (1), mit dem ich einst die Zusammenarbeit suchte, weil ich von seiner Qualifikation als Wissenschaftler überzeugt war, muss wohl als Unterstützung für die von der Mobilfunkindustrie eingenommene Position angesehen werden. Dass dem Autor im Verlauf der Jahre die Ausgewogenheit abhandengekommen ist, ergibt sich bereits aus seinem ersten Zitat, welches sich auf eine Übersichtsarbeit bezieht, die an Einseitigkeit kaum zu überbieten ist (8). Die darin vorgenommene Auswertung von Studien stammt von Wissenschaftlern, die in der Mehrzahl seit Jahren offen oder verdeckt mit der Mobilfunkindustrie eng zusammenarbeiten und die mögliche gesundheitliche Risiken der Hochfrequenzstrahlung leugnen oder zumindest verharmlosen (9). Dass sich Speit diesen Zuarbeitern der Mobilfunkindustrie inzwischen zugesellt hat, zeigt er auch damit, dass er die Arbeiten unabhängiger Autoren, die solchen Vorstellungen widersprechen, schlichtweg ignoriert (10,11). Was wundert es dann noch, wenn er sich zur Absicherung seiner Position sogar auf den Beitrag eines ganz besonderen „Experten“ beruft (12), der sich bei der Mobilfunkindustrie durch verharmlosende Pseudoforschung im Deutschen Mobifunk-Forschungsprogramm und Verleumdung mobilfunkkritischer Wissenschaftler große Verdienste erworben hat?

Da die aktuelle Publikation von Speit et al. (1) zum Erkenntnisgewinn kaum etwas beiträgt, stellt sich natürlich die Frage, warum sie gerade jetzt, neun Jahre nach dem Abschluss des REFLEX-Projektes, erscheint. Dafür gibt es sicherlich Gründe, die jedoch vorerst das Geheimnis der Autoren und wohl auch der Mobilfunkindustrie bleiben.

1) Speit G, Gminski R, Tauber R (2013) Genotoxic effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields (RF-EMF) in HL-60 cells are not reproducible. Mutat Res 755(2):163-6.

2) Diem E, Schwarz C, Adlkofer F, Jahn O, Rüdiger HW (2005) Non-thermal DNA breakage by mobile-phone radiation (1800 MHz) in human fibroblasts and in transformed GFSH-R17 rat granulosa cells in vitro. Mutat Res 583:178- 83.

3) Speit G, Schutz P, Hoffmann H (2007) Genotoxic effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields (RF-EMF) in cultured mammalian cells are not independently reproducible. Mutat Res 626:42-7.

4)Franzellitti S, Valbonesi P, Ciancaglini N, Biondi C, Contin A, Bersani F, Fabbri E (2010) Transient DNA damage induced by high-frequency electromagnetic fields (GSM 1.8 GHz in the human trophoblast HTR-8/SVneo cell line evaluated with the alkaline comet assay. Mutat Res 683:35-42.

5) http://www.itis.ethz.ch/assets/Downloads/Papers-Reports/Reports/REFLEXFinal-Report171104.pdf

6) http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000002394

7) Marino A: Going Somewhere. Truth about a Life in Science. Cassandra Publishing, Belcher, LA. Epilogue:444-5.

8) Verschaeve L, Juutilainen J, Lagroye I, Miyakoshi J, Saunders R, de Sèze R, Tenforde T, van Rongen E, Veyret B, Xu Z (2010) In vitro and in vivo genotoxicity of radiofrequency fields. Mutat Res 705:252-68.

9) http://www.diagnose-funk.org/downloads/brennpunktdnabrichtjenachsponsor20061029.pdf

10) Rüdiger HW (2009) Genotoxic effects of radiofrequency electromagnetic fields. Pathophysiology 16:89-102.

11) Lai H (2012) Evidence for genotoxic effects. In: BioInitiative Report 2012, Section 6. http://www.bioinitiative.org/report/wp-content/uploads/pdfs/sec06_2007_Evidence_For_Genotoxic_Effects.pdf

12) Lerchl A, Wilhelm F (2010) Critical comments on DNA breakage by mobile-phone electromagnetic fields [Diem et al., Mutat Res 583 (2005) 178-83]. Mutat Res 697:60-5.

© Pandora    Stiftung für unabhängige Forschung 2013

Von Hans-U. Jakob

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