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Der Antennenkrieg von Paris

Der Antennenkrieg von Paris

Mobilfunk sorgt in Frankreich für Streit – und zwingt die Regierung zum Handeln

Christoph Nesshöver, Paris
Handelsblatt v. 29.9.2003

Die Front steht: „Wir lassen euch nicht durch“, sagt Etienne Cendrier. Regungslos und entschlossen hat sich ein Dutzend Nachbarn aus der Rue Léon Jouhaux in Paris vor dem massigen Laster mit dem ausfahrbaren Kran aufgebaut. Dem Herrn im Blaumann mit dem Gerät im Schlepptau geht allmählich die Geduld aus: „Lasst uns endlich unsere Arbeit machen!“ Das klingt nach Eskalation. Doch Etienne spricht seiner Truppe Mut zu: „Sie können nichts machen, sonst gibt es noch Verletzte.“ Die jüngste Front im Pariser Antennenkrieg scheint vorerst festgefahren.

Etienne Cendrier ist Koordinator von „Priatem“, einem landesweiten Verband, dessen Name Programm ist: „Für eine Reglementierung des Aufstellens von Funkmasten und Mobiltelefonen.“ In der Rue Léon Jouhaux will der Mobilfunker Orange eine neue Antenne aufstellen, damit die Bürger im 10. Arrondissement, gleich hinter dem Canal Saint Martin, künftig einen besseren Handyempfang haben.

Anwohner Didier will das nicht. „Seit März wissen wir, dass hier eine neue Antenne hin soll. Ich bin dagegen. Wir wissen ja nicht, welchen Effekt die Wellen auf den menschlichen Organismus haben. Ausserdem verschandeln die Masten unsere Appartements“, meckert Didier. Deswegen bietet der dem Lastwagenfahrer Paroli – auch wenn er unsicher von einem Fuss auf den anderen tippelt.

Die Nachbarn fühlen sich im Recht. Denn als die Proteste gegen die Funkmasten zunahmen, schloss die rot-grüne Koalition im Rathaus von Paris einen Pakt mit den drei Mobilfunkern Orange (France Télécom) SFR und Bouygues. Die versprachen, die Anwohner zu konsultieren, ehe sie neue Antennen montieren. Das geschieht aber nur selten. Yves Contassot, stellvertretender Bürgermeister und zuständig für Umweltpolitik, warnt: „Ich kann nicht zulassen, dass hier Vereinbarungen einfach gebrochen werden.“

Der Politiker klagt, Etienne Cendrier und seine Freunde handeln. An vier weiteren Standorten blockiert „Priartem“ an diesem frühen Morgen Antennencrews der Mobilfunkfirmen. Die Protestler siegen vorerst 5:0.

Mehr als jeder zweite der 60 Millionen Franzosen hat längst ein Mobiltelefon. Doch die Furcht vor den Folgen der Technik wächst – inzwischen ist die Ablehnung so gross, dass auch die Regierung nicht umhin kann, sie zu berücksichtigen. So verfügte Industrieministerin Nicole Fontaine kürzlich, ab Herbst seien alle neuen Mobiltelefone in Frankreich mit Kopfhörer und Mikrofon auszuliefern. Schliesslich sei nicht erwiesen, ob häufiges Telefonieren mit dem Handy am Ohr nicht doch das Gehirn schädige.

In der Rue Léon Jouhaux entspannt sich die Lage erst, als Hervé Morel, stellvertretender Bürgermeister des Arrondissements, in blau-roter Amtsschärpe auftritt. Die Arbeiter wuchten sich kleinlaut ins Führerhaus ihres LKW. Als der Motor anspringt, applaudieren Etienne und die Seinen. „Wenn die Firmen weitermachen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn eines Tages ihre Antennen von den Dächern verschwinden,“ murmelt er noch, ehe er geht – eine Schlacht ist gewonnen, aber der Krieg noch nicht.

Von Hans-U. Jakob

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