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Bschiisse u chääre im Kanton Bärn

Man glaubt es kaum, zu welch grotesken Spielchen sich die Kantonsbehörden hergeben. Bei drei neu ausgeschriebenen Antennenprojekten in Langenthal verlangt die Fachbehörde des Kantons überraschenderweise keine Abnahmemessungen mehr an OMEN, bei denen die rechnerische Prognose über 4 V/m liegt – also im Widerspruch zu den bisherigen eidgenössischen Regeln.

Von André Masson
7.6.2023

Würden sie noch sagen «wir haben zu viel Arbeit», oder «wir haben zu wenig Personal», dann könnte man das verstehen, sich freuen, oder mehr Personal einstellen, ev. den Antennenbau verlangsamen. Noch nie hat es geheissen, auf die Messung sei zu verzichten, «damit es Swisscom einfacher geht». Nein, der Kanton gibt konkrete Begründungen, weshalb eine Messung gar nicht nötig oder nicht möglich sei. Das wollen wir uns genau ansehen und auch weitererzählen, falls in anderen Kantonen das auch schon beginnt.

Hier die Swisscom-Antenne in Langenthal, Wuhrgasse 21, direkt gegenüber der denkmalgeschützten alten Mühle (sie liegt im Nordstrahl – da wurde immerhin eine Messung verlangt, obgleich das Haus im Standortdatenblatt gar nicht gerechnet wurde).


Bild oben: Ausschnitt aus dem Plan, mit eingezeichneten Liegenschaften. Nach rechts steigt das Gelände etwas an. Bei den OMEN Nr. 3, 4, 6, 7, 8 liegen die Prognosen alle oberhalb 4.5 V/m, es müsste also überall gemessen werden. Der Kanton will dort überall keine Messungen. Wir schauen uns die Begründungen des Kantons genau an.


Bild oben: Das ist OMEN Nr. 7, zu messen ist im 2. OG. Das Fenster liegt auf der Nordseite und zeigt direkt zur Antenne. Das genaue Zentrum des eingezeichneten Messkreuzes liegt aber weiter westlich, also rechts im Bild, und dort hat es Ziegel auf dem Dach, dort kann ja kein Mess-Mann hinstehen. Also wird dieses Haus nicht gemessen. Prognose: 4.95 V/m.


Bild oben: OMEN Nr. 8: genau dieselbe Situation, aber die Räume sind höher. Die Dach-Lukarnen links zeigen direkt zur Antenne. Das Messkreuz liegt in der besonnten Fassade, oberhalb der Strassenlampe. Dort ist die etwas eckige Ründi, dort kann man nicht hinstehen und nicht messen. Bei der Lukarne weiter links wäre der Ort weiter entfernt vom Hauptstrahl, der Messwert wäre also geringer – deshalb wird das ganze Haus nicht gemessen. Die Prognose hier lautet auf 4.51 V/m.

OMEN Nr. 4: Ist ja durch OMEN 5 abgedeckt, im gleichen Winkel zur Hauptsenderichtung, Distanz geht vergessen. Bei OMEN 4 müsste der Messort gegenüber dem gerechneten Kreuz nochmals weiter weg vom Strahl verschoben werden, was zu einer Abnahme des Messwertes führen würde – deshalb wird Haus nicht gemessen (es ist das «Hodler-Stöckli»). Prognose: 4.88 V/m.

OMEN Nr. 3: Landwirtschaftl. Betrieb, im 1.OG auch etwa Ausstellungen der Designer. Das sei kein ständig besetzter Arbeitsplatz, deshalb gibt’s keine Abnahmemessung. Prognose: 4.95 V/m.

OMEN Nr. 5: Hier wird gemessen, sehr schön!

OMEN Nr. 6: Ist ja gleich abgedeckt durch OMEN Nr. 5, braucht deshalb nicht gemessen zu werden. Prognose: 4.47 V/m.

Und die Reflexionen ??

Spiegelungen werden im Bewilligungsverfahren nicht berücksichtigt, man rechnet nur die Distanz zur Antenne und die Winkel zum Direktstrahl. Dass ab Bergrücken, ab Schulhausfassade, ab Hochhaus und ab niedrigem Blech-Dach oder vom See her weitere Strahlung dazu gespiegelt wird, das wird in der Rechnung nie berücksichtigt.

Kommen die 5G-Gegner und verlangen, die Reflexionen seien zu berücksichtigen, so erzählt neuerdings das Bundesgericht, das komme ja später in den Messungen aus: 1C_100/2021. Die Messungen würden unzulässige Reflexionen ans Tageslicht bringen – aber der Kanton Bern verzichtet neuerdings auf diese Messungen, er weiss nichts von Reflexionen.

Hier zeigen wir die Reflexionen!

Herrgott nochmals, so ein Durcheinander. Gezeigt wird hier, zur Erinnerung an alle Reflexions-Blinden, Rechnungs-Schwachen und Vergesslichen: Zwei Mess-Beispiele zur Strahlung des diAx-Senders in Zug (das war der Vorläufer von Sunrise) an der Lauriedhofstrasse, im Januar 2001, als es noch viel weniger Sender gab. Gemessen wird die Strahlung 2.3 km vom Sender entfernt in meiner Wohnung in Baar, bei 944.6 MHz, und zwar die zeitlich konstante BCCH-Strahlung (ohne Gespräche). Das Messgerät horcht nur auf diese Frequenz. Untersucht wird die Schwankung der Strahlung bei Bewegungen innerhalb der Wohnung.


Bild oben: Das Messgerät bleibt unbeweglich auf dem Tisch. Ich stehe seitlich daneben, drücke mit ausgestrecktem Arm auf den Knopf «Start», dann ziehe ich den Arm zurück und bewege mich langsam vom Tisch weg, quer zur Einfallsrichtung, um gut 2 m. Dann alles wieder exakt gleich rückwärts, zum Tisch gehen, Arm ausstrecken und «Stop» drücken. Der Sender ist dabei nie verdeckt worden! Wir befinden uns 2.3 km vom Sender weg.


Bild oben: Das Messgerät wird langsam und ruhig über die ganze Länge meines Bettes geführt, tief über den Kissen gehalten, in gerader Linie und quer zum Sender, auf einer Länge von 2m.

Die Schwankungen der Strahlung sind enorm. 10 dB / 15 dB / 20 dB mehr oder weniger (Skala links) entsprechen in der Feldstärke (in V/m) einem Faktor 3.1 / 5.6 / 10. Diese Schwankungen werden durch die unterschiedlichen Reflexionen anderer Häuser, von mir selber, oder durch Abschirmung anderer Reflexionen verursacht. Kommen beim Messgerät die Wellen aus zwei Richtungen so zusammen, dass Wellenberg genau auf Wellental fällt, so fressen sie sich gegenseitig auf, d.h. schwächen sich ab. Kommt an einem anderen Punkt Wellenberg auf Wellenberg, so verstärken sie sich. Die amtlich gerechneten 4.95 V/m vom direkten Strahl her plus etwas Reflexionen ergeben dann über 5 V/m, und das ist eben nicht erlaubt. «Es kommt ja bei der Messung aus», ist die offizielle Logik, aber der Kanton Bern streicht jetzt die Messungen, und die Logik ist dahin.

Die Behörden erlauben im Verfahren eine berechnete Strahlungsstärke von 99% der erlaubten Limite, vergessen die Reflexionen ganz, welche die Strahlung erhöhen werden, und glauben sich auf der sicheren Seite – das stimmt einfach nicht, das ist naiv oder Betrug.
Sind sehr viele Frequenzen in der Luft, so haben nicht alle am selben Ort ihr Maximum oder Minimum, die Intensitäten mitteln sich deshalb etwas aus. Der Unterschied zwischen Max und Min wird etwas geringer.

Verwirrend und unpassend

Der Kanton bringt noch etwas ganz Verwirrendes ins Spiel: Die Reflexionen seien ja bereits berücksichtigt, weil im Antennendiagramm keine Dämpfungen von mehr als 15 dB erlaubt seien.

Das passt überhaupt nicht zum Problem. Bei diesen 15 dB geht es um Orte, die sehr tief unter der Antenne liegen (vielleicht bei einem hohen Silo). Der direkte Strahl nach unten ist dort immer sehr schwach – aber es könnte ja ein starker Horizontal-Strahl irgendwo gespiegelt werden zum Ort unter der Antenne, und dann wäre die Reflexion sogar stärker als der direkte Strahl selber.

Die Überlegung mit den 15 dB ist richtig, aber der Kanton braucht das für ganz falsche Orte, die sich nicht tief unter der Antenne befinden.

So liegen etwa bei den OMEN 6 die Dämpfungsfaktoren in den drei Frequenzbereichen bei 2.4 / 0.6 / 1.0 dB, das ist horizontale und vertikale Dämpfung zusammengezählt: alles andere als tief unter der Antenne! Weit weg von 15 dB! Bei OMEN 8 lauten die Zahlen: 1.6 / 1.9 / 1.4 dB. Das ist eine arglistige Verdrehung, die Gemeinden werden es schon nicht merken, oder das Problem ist durch die kantonale Fachstelle gar nicht verstanden. Die Reflexionen sind mit diesem Erklärungs-Trick überhaupt nicht berücksichtigt. An allen Orten, auch ganz nahe beim Hauptstrahl, gibt es Reflexionen! Bitte nicht derartigen Käse erzählen. Das echte Problem ist: 99% und wenig Reflexionen gibt eben über 100%, und das ist nicht erlaubt. Aber im ganzen Verfahren merkt diese Überschreitungen niemand.

Am Anfang war das Verfahren in der Regel «konservativ», d.h. man war auf der sicheren Seite – was man rechnete, wurde in der Realität kaum erreicht. Heute wird dies und jenes angenommen, vermutet, die Gesetze gelten nicht mehr immer, sondern nur noch im Mittelwert, «Bagatellsachen» werden erfunden, die Korrekturfaktoren sind in der Wohnung über dem Rohstoffhändler mit viel Funkverkehr völlig illusorisch und in falscher Richtung, die Abnahmemessungen sind dubioser denn je, man darf sie offenbar gar nicht mehr zeigen, und anlässlich der Messung kann der Rechenoperateur von Swisscom, Salt oder Sunrise die Winkel und Sendeleistungen einstellen, wie er gerade will, das ändert dann das Messresultat. Die Antennendiagramme glaube ich schon lange nicht mehr – niemand widerlegt meine Beweise. Und so weiter. Die Unsicherheiten von Rechnung und Messung werden nicht berücksichtigt. Das Qualitätssicherungsystem ist ein Witz. Wir haben gar keine Ahnung mehr, ob die Grenzwerte eingehalten werden oder nicht. Wir sind völlig blind. Und stets kommt alles zusätzlich, von rechts hinten auch noch, wenn schon von links vorne das Maximum erreicht worden ist.

Bitte schafft endlich ein einfaches, robustes Verfahren, bei dem man nicht immer betrügen muss. Es ist heute unhaltbar, es strotzt vor Widersprüchen. Die Mängel dürfen nicht bei jeder Technologie mit Mittelwerten und Hoffnungen, neuen Korrekturfaktoren überspielt und wegkorrigiert werden. Zeigt Swisscom endlich die Schranken, sonst hört das nie auf. Und die Behörden sollen nicht ihre eigene Autorität untergraben, denn das bekommt ihnen nicht gut.

 

Von Hans-U. Jakob

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