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56 Hochspannungsleitungsprojekte und die Folgen für die Anwohner

Hans-U. Jakob, 14.7.08


Hochspannungsleitung.JPG Wenn eine Gittermasten-Leitung ihre Lebenserwartung von 50 Jahren überschritten hat, wird es brenzlig.  Nicht nur für die Betreiber der Leitung, sondern auch für die unmittelbaren Anwohner.   Die Stahlkonstruktionen weisen oft grossflächige, irreparable Rostschäden und die Isolatoren Haarrisse auf.  Fundamentsockel sind gespalten und können da, wo die Leitung ihre Richtung ändert, dem Seitwärtsdruck nicht mehr genügend Sicherheit entgegen bringen.


Wie ist der Zustand der Seil-Muffen? Das sind die Stellen wo die Transportlängen der Stahl-ALU-Seile einst zusammengesetzt wurden.  Halten diese nach 50 Jahren den enormen Zugkräften noch mit genügender Sicherheit stand?

Eine „Sanierung“ ist deshalb angesagt

Doch halt!  Wenn die Leiterseile herausgezogen, die Stahlmasten abgebrochen und die Fundamente abgetragen werden um einer neuen Leitung Platz zu machen, ist das nach dem Gesetz und nach der Gerichtspraxis keine Sanierung mehr, sondern ein Neubau.  Besonders dann, wenn die Leitungsbetreiber mit der sogenannten „Sanierung“ noch gerade die Transportkapazität, das heisst die Leistungsfähigkeit der Leitung erhöhen. Was sie logischerweise immer tun, denn der Stromkonsum steigt und steigt und die Leitung sollte wiederum 50 Jahre halten.

Sie können die Transportleistung erhöhen indem sie die Betriebsspannung der Leitung heraufsetzen.  Zum Beispiel von 230 auf 400kV (kV=Kilovolt) oder indem Sie die Stromstärke zum Beispiel von 600Ampère auf 1500 Ampère erhöhen.  Die erste Lösung bedingt grössere (längere) Isolatoren und grössere Abstände zwischen den Stromleitern und die zweite Variante bedingt dickere Stromleiter (Stahl-ALU-Seile) oder oft sogar Doppelseile.

In den meisten Fällen werden beide Varianten gleichzeitig angewendet.  

Dickere Seile mit grösseren Isolatoren und Ausleger mit mehr Spannweite sind die Folge. Dickere Seile haben mehr Gewicht und erfordern grössere Durchhänge zwischen den Masten, wodurch diese höher gebaut werden müssen als die alten.

Ist das jetzt eine Sanierung oder ein Neubau?

Warum ist diese Frage so wichtig?  Bei einer Sanierung gelten für das Magnetfeld, welches jede Hochspannungsleitung erzeugt, die alten fast 100-jährigen Grenzwerte und Abstände zu den Wohnhäusern und bei einem Neubau eben die neuen, im Februar 2000 in Kraft getretenen.  Die alten, höchstzulässigen Magnetfeldwerte betrugen 100Mikrotesla und der seitliche Abstand vom äussersten Stromleiter zur Hausfassade maximal 5 Meter, so dass ein herunterfallendes Seil nicht im Dachkännel hängen blieb.

Seit dem Februar 2000 sieht das ganz anders aus.  Die höchstzulässigen Grenzwerte für das Magnetfeld betragen dort wo sich Menschen längere Zeit aufhalten können, noch 1 Mikrotesla.  Dadurch ergeben sich minimale Seitwärtsabstände (radial) von zum Beispiel knapp 50m bei einem vorgesehenen Stromfluss von 1500Ampère und etwas über 60m bei einem vorgesehenen Stromfluss von 2000Ampère.  Was einen unüberbauten Korridor von 100 bis 150m Breite für eine solche Leitung erforderlich macht.

Weshalb mussten die Grenzwerte so massiv herabgesetzt und die seitlichen Abstände dermassen heraufgesetzt werden.

Wissenschaftliche Studien hatten Ende der 80er und Anfangs der 90er Jahre ein bis zu 4-fach erhöhtes Leukämierisiko und ein bis zu 5-faches Hirntumorrisko vor allem für Kinder ergeben.  Und dies bei Magnetfeldern von nur gerade 0.3Mikrotesla!  Siehe Schriftenreihe Nr.214 des Bundesamtes für Umwelt von 1993.  Auch die internationale Krebsagentur IARC erklärt im Jahr 2000 Niederfrequente Magnetfelder  von über 0.4Mikrotesla als kanzerogen.

Weshalb denn nicht gleich 0.1 Mikrotesla?

Weshalb wurden die amtlichen Grenzwerte denn nicht gleich auf 0.1Mikrotesla zurückgestuft, wenn man doch so genau weis was da passiert?

Computersimulationen und exakte Messungen ergeben für 0.1Mikrotesla notwendige seitliche Abstände von 280 bis 300m.  Was in der dicht besiedelten Schweiz wohl das Aus für jede Hochspannungsleitung bedeuten würde. Also einigte man sich mit den Leitungsbetreibern auf den Kompromiss von 1Mikrotesla.

Die oben aufgeführten Krebsrisiken sind übrigens keine Hirngespinste, sondern, wie die Geschichte zeigt, bittere Realität.  Dabei ist zu berücksichtigen, dass Krebs eine Latenzzeit von 5 bis 15 Jahren aufweist.  (Bei Kindern geht es etwas schneller)  Die Latenzzeit ist diejenige Zeit von der Entstehung eines Krebses, bis zur Möglichkeit einer Entdeckung durch den Arzt.  Es fällt also niemand sofort tot vom Stuhl.  Wer exakte Zahlen haben will, muss deshalb unbedingt  über die letzten 50 Jahre ermitteln.   Kurzzeitbeobachtungen sagen da nicht viel.  Besonders deshalb nicht, weil ein totes Leukämiekind in der Regel nach 3 Jahren von der breiten Bevölkerung vergessen ist.

Das Beispiel der Hochspannungsleitung von Küsnacht am Rigi nach Morschach im Kanton Schwyz.

Dies ist ein 27 km langes Teilstück der Hochspannungsleitung von Mettlen nach Amsteg und weiter über den Gotthard bis nach Italien. 

Darüber , ob dieses Teilstück rechtlich als Neubau oder bloss als Sanierung einzustufen ist, streiten sich zur Zeit die Fachleute.  Denn als Neubau hätte das Projekt kaum eine Chance.

Die ATEL als Leitungsbetreiberin will oder muss unbedingt auf dem bisherigenTrassee bleiben.  Ausweichmöglichkeiten in dieser Gebirgslandschaft am Lauerzersee gibt es nur sehr wenig bis gar keine.

Weil für dieses Teilstück vom Bundesamt für Umwelt ein Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) verlangt wurde, ist rechtlich eher auf einen Neubau mit den neuen Grenzwerten von 1 Mikrotesla zu schliessen.  Denn bei einer blossen Sanierung wäre ein solcher Aufwand gar nicht erforderlich gewesen.

In Bezug auf die Grenzwerteinhaltung sieht die Sache jetzt aber gar nicht gut aus.

Es sind folgende Anzahlen von Liegenschaften mit Magnetfeldstärken von über 5 Mikrotesla, also mit 5-Facher Grenzwertüberschreitung rechnerisch festgestellt worden.

In Küsnacht = 6

in Arth = 9

in  Lauerz = 2

in Ingenbohl = 13

in Morschach = 5

Und es sind zusätzlich noch folgende Anzahlen von Liegenschaften mit Magnetfeldstärken von über 1.5 Mikrotesla, also mit 1.5-Facher Grenzwertüberschreitung festgestellt worden.

In Küsnacht = 9

in Arth = 3

in  Lauerz = 2

in Ingenbohl = 9

in Morschach = 3

Betroffen von diesen Grenzwertüberschreitungen sind insgesamt 244 Anwohner.

Nimmt man die 0.4Mikrotesla Werte als kanzerogen, so wie das die internationale Krebsagentur IARC auch macht, finden wir auf der gesamten Strecke von Küsnacht bis Morschach über 1000 Leute mit einem stark erhöhten Krebsrisiko.

Interssiert haben diese Zahlen nur gerade die verantwortlichen Behördemitglieder  der Gemeinde Lauerz.  Denjenigen der übrigen Gemeinden war das offensichtlich egal.

Dies trat zum Mindesten an den Einspracheverhandlungen vor dem Bundesamt für Energie  (2. Instanz) vom 10.Juli 08 im Rathaus von Arth zu Tage, wonach sich nebst 2 arg betroffenen Anwohnern nur gerade der Gemeinderat von Lauerz für die Bevölkerung einsetzte.  Dies dafür umso vehementer.  Die übrigen glänzten durch Abwesenheit, resp. hatten es von Anfang an vorgezogen gar keine Einsprache zu deponieren.  Eine Einigung konnte unter diesen Umständen in Arth nicht gefunden werden.  Entscheiden  müssen wird wohl das Bundes-Verwaltungsgericht oder später sogar das eigentliche Bundesgericht in Lausanne

Was könnte getan werden.

Eine Verlegung der Leitung in den Boden wäre möglich.  Aber aufgepasst! Mit herkömmlichen Konststoff-isolierten Kabeln, werden die Magnetfelder noch grösser als bei einer Freileitung.  Eine solche Alternative würde nur dem Landschaftsbild etwas bringen, nicht aber der Gesundheit der Anwohner.  Zudem wird bei Kunststoff-isolierten Verkabelungen die Wärmeabfuhr und die kapazitive Phasenverschiebung zu einem grossen Problem.  Stand der Technik im Jahre 2008 sind sogenannte Gas-isolierte Leitungen (GIL) welche diese Probleme nicht kennen.  Der Stromleiter verläuft hier in einem ALU-Rohr von ca 70 cm Durchmesser.  Der Zwischenraum zwischen Leiter und Mantelrohr ist mit dem Isoliergas Schwefelhexafluorid (N2SF6) gefüllt.  Tönt fürchterlich.  Ist es aber nicht!

N2SF6 ist ungiftig, unbrennbar, explodiert nicht und vor allem ist es 5 mal schwerer als Luft. Das heisst es kann gar nicht von selber in die obere Atmosphäre aufsteigen und dort als Treibhausgas wirken und das Klima aufheizen wie die Leitungsbetreiber als unwahre Schutzbehauptung immer wieder ins Feld führen.



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Die Alternative auf dem Stand der Technik sind seit 2004 unterirdiche Gas-Isolierte-Leitungen (GIL).  Wie die Werkaufnahme von Siemens zeigt, sind diese sogar in felsigem Gelände möglich.

Diese Schutzbehauptung wird vor allem wegen dem Preis aufgestellt.

Eine GIL-Leitung mit 6 Stromleitern  (6Mantelrohren) in einem unterirdischen begehbaren Stollen verlegt, ist rund 10 mal teurer als eine herkömmliche Freileitung.  Rechnet man jedoch die hohen Transportverluste an elektrischer Energie , welche einer Freileitung über die Zeitdauer von 40 Jahren anhaften und die frappant  geringeren Unterhaltskosten einer GIL vom Gestehungspreis ab. Kommt man auf einen Mehrpreis von noch dem 4.5-Fachen.  Der Kilometerpreis liegt dann statt bei 1.5Millionen sfr. bei ca 6.7Mio.

 

Fragt sich, ob dieser Mehrpreis 10 Leukämietote Kinder zwischen Küsnacht und Morschach über die Zeitdauer von 40 Jahren aufwiegt.  Für die Eltern dieser Kinder ganz sicher. Ebenso für den Steuerzahler.  Denn ein Rettungsversuch bei Kinderleukämie können die wenigsten Eltern selber bezahlen.  Das geht bald einmal in die Hunderttausende.  Die Kosten fallen bei den Krankenkassen und in den Gemeinden als allgemeine Sozialhilfekosten an und sicher nicht in der Gewinn/Verlustrechnung der Leitungsbetreiber.  Solch makabere Berechnungen werden heute leider angestellt.  Sogar beim Bundesamt für Umwelt in Bern.  Sagte doch dort der neue Direktor Oberle bei seinem Amtsantritt im Januar 02, ein totes Leukämiekind pro Jahr auf dem schweizerischen Hochspannungsnetz sei kein Problem grösseren Ausmasses.  Vielleicht ist aber Herr Oberle selbst ein Problem grösseren Ausmasses.

Nach der seit 2 Jahren gültigen Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung des Bundesrates ist das Isoliergas N2SF6 in elektrischen Versorgungsanlagen gestattet, wenn dieses in hermetisch verschlossenen Gasräumen verwendet, oder dauernd überwacht wird.  Art. 4.2 Abs. 2c.

GIL-Leitungen erfüllen gleich beide Kriterien. Die Mantelrohre der GIL sind alle 120m geschottet und mit Drucksonden fernüberwacht.  Ein Leck würde innert Sekunden in die Zentrale gemeldet und es würde erst noch genau angezeigt, wo sich dieses Leck befindet.

Da GIL zur Zeit die mit Abstand verlustärmste und praktisch magnetfeldfreie Variante für den Stromtransport darstellt ist auch die gesetzliche Forderung, dass N2SF6 nur dort verwendet werden darf, wo es nach dem Stand der Technik keine Alternative dazu gibt, erfüllt.

Siehe auch /falsche-toene-aus-dem-buwal/

Von Hans-U. Jakob

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