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Wieso man die TNO-Studie replizierte (und keine andere)

Wieso man die TNO-Studie replizierte (und keine andere).

Als die Industrie gemeinsam mit den Behörden am 6. Juni 2006 zu einer Pressekonferenz einlud, um die Ergebisse der TNO-Replikationsstudie mit grossem „Trompetenschall“ zu publizieren, war es den Insidern bereits klar: Die Befunde der holländischen Studie, welche damals Befindlichkeitsstörungen und objektive Symptome nach Bestrahlung mit GSM- und UMTS-Signalen fand, konnten nicht bestätigt werden.

Von dipl. Ing Lothar Geppert, Diagnose Funk, 3.7.06

Zum Vergleich: Die wenige Wochen zuvor in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlichte Nachfolgestudie zum Radiosender Schwarzenburg („Shut Down Study“), welche nochmals Schlafstörungen und Absenkungen des Melatoninpegels durch Kurzwellenbestrahlung bestätigte, wurde von den Behörden und der Industrie nirgendswo erwähnt. Denn wenn eine Studie einen Effekt findet, gibt es keine Pressekonferenz. Dann sitzt man sie einfach aus.

Daher wissen sie wahrscheinlich auch nicht, dass es heute bereits über 600 Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen von Funkstrahlung gibt (wobei 75% davon Effekte fanden). Nur:

Wieso reproduzierte man ausgerechnet die „TNO-Studie“? Hierfür gibt es 4 Gründe:

1. Grund: Die zu untersuchenden Effekte sind gering und daher politisch fast irrelevant

BAKOM-Chef Marc Furrer bestätigte bereits letztes Jahr im „Beobachter“, dass der Ausgang dieser Studie keinen Effekt auf die Strategie des Bundesamtes für Kommunikation haben wird, da die in Holland gefundenen Effekte minimal wären. (Anm. der diagnose-funk: Dauernde Übelkeit bei 24-stündiger Bestrahlung von Antennen-Anwohnern ist eben der Preis des Fortschrittes.)

Die Studie lässt ohnehin keine Rückschlüsse auf die mittel- und langfristigen Folgen einer 24-stündigen Bestrahlung zu . Sie lenkt ab von den wirklichen Problemen der Funkstrahlung: Der Öffnung der Blut-Hirn-Membran (Alzheimer, Parkinson), der Störung der Zell-Kommunikation (Krebs), den Erbgutschäden (Krebs), den kardiovaskularen Effekten und Stressreaktionen (Herzinfarkt), den „Geldrollenbildungen“ im Blut (Hirnschlag), den Schlafstörungen und vielen anderen Effekten.

2. Grund: Bei Laborstudien mit diesem Design (kurzzeitige Provokation) kann das Ergebnis leicht durch das Studiendesign beeinflusst werden:

Aus der Erfahrung um Antennen weiss man, dass nur sehr wenige elektrosensible Personen eine kurzzeitige Bestrahlung empfinden können (=“Elektrosensitivität“). Rund 5% der Bevölkerung sind Elektrosensibel, wesentlich weniger spüren Felder in dem hier untersuchten Zeitraum von 45 Minuten. Die Elektrosensibilität nimmt mit dem Alter der Person erheblich zu, und das erste Anzeichen einer solchen Sensibilität sind meist Schlafstörungen.

Die schweizerische TNO-Replikation wurde nun folgendermassen angelegt (z.T. zitiert von Bürgerwelle Schweiz):

– Die Probanden waren im Durschnitt 20 Jahre jünger als bei der holländischen TNO-Studie,

– Probanden mit Schlafstörungen wurden zur Studie nicht zugelassen.
(Dies ist jedoch gerade der sensiblere Anteil der Bevölkerung.)

– Der Anteil der Elektrosensiblen war 2.5fach kleiner als der Anteil der Unsensiblen.
(In der Originalstudie war dieser Anteil etwa 1:1).

Streng genommen kann man daher nicht von einer „Replikation“ der TNO-Studie sprechen.

Dem Studienleiter wird durch die Auswahl der Probanden ein grosser Spielraum gegeben („Selektions-Bias“). Er wurde offenbar genutzt. Dass trotzdem einzelne sensible Personen heftig auf die Strahlung reagierten, wissen wir durch direkte Kontakte zu den Betroffenen. Im aktuellen K-Tipp Nr. 12 finden Sie Aussagen solcher Personen im Artikel „Mir wurde schwindlig – ?Keine kurzfristigen Auswirkungen auf das Wohlbefinden?, sagt die neue Schweizer UMTS-Studie. Studienteilnehmer erlebten das Gegenteil.“ In der Publikation zu dieser Studie erfuhr man hiervon jedoch nichts.

3. Grund: Vorgängerstudien zeigen (aus obigen Gründen) kaum Effekte. Das Risiko für die Industrie ist kalkulierbar:

Laborstudien zeigen ohnehin seltener Effekte als epidemiologische Studien („im Feld“). Am seltensten finden Provokationsstudien an Elektrosensiblen (wie die TNO-Studie) einen Effekt:

Von 9 Studien zur Felderkennung hochfrequenter Felder durch Elektrosensible fand keine einzige einen signifikanten Effekt. (Johansson 1995, Sjöberg & Hamnerius 1995, Andersson et al. 1996, Radon & Maschke 1998, Barth et al. 2000, Flodin et al. 2000, Lonne-Rahm et al. 2000, Raczek et al. 2000, Hietanen et al. 2002) In 2 dieser Studien konnten einige Elektrosensible die Felder häufiger erkennen als Nicht-Sensible, dies jedoch nicht signifikant.

Von 11 Studien zum Auftreten von subjektiven Symptomen bei hochfrequenter Befeldung von Elektrosensiblen fand man nur in 4 Studien Zusammenhänge. (Swanbeck & Bleeker 1989, Sandström et al. 1993, Oftedal et al. 1995, Andersson et al. 1996, Oftedal et al. 1999, Lonne-Rahm et al. 2000, Flodin et al. 2000, Barth et al. 2000, Hietanen et al. 2002, Zwamborn et al. 2003, Spegel et al. 2005)

Diese waren jedoch bei einer Studie z. T. invers, und bei einer Studie sehr unerwartet: Die subjektiv (d.h. selbsterklärten) Symptome waren bei Bestrahlung geringer als ohne Bestrahlung. (Siehe auch EMF-Monitor 11. Jahrgang Nr. 5, www.ecolog-institut.de)
Provokationsstudien mit kurzzeitiger Befeldung eignen sich daher exzellent, wenn man möglichst keinen Effekt finden möchte.

Ganz anders sieht die Situation bei Langzeitbelastungen aus: In epidemiologischen Studien z. Bsp. um Mobilfunkantennen (Exposition mind. 1 Jahr lang 24 Std. pro Tag) findet man in allen 5 Publikationen, welche die Befindlichkeit untersuchten einen signifikanten Zusammenhang zur Feldstärke oder zum Abstand der Antenne. (Santini et al. 2002, Santini et al. 2003, Navarro et al. 2003, Oberfeld et al. 2004, Hutter et al. 2006.) Und dies nicht bei der Untersuchung von sensiblen Personen, sondern in der Allgemeinbevölkerung!

4. Grund: Die Industrie sitzt in der Schweiz fest im Sattel und hat von ihren Forschern wenig zu befürchten:

Besonders in der Schweiz ist es mit der Unabhängigkeit der Forschung nicht weit her. Jeder kennt jeden, und wer unangenehme Ergebnisse liefert fällt sehr unangenehm auf. Dass Geldgeber solcher Studien generell einen beträchtlichen Einfluss auf die Ergebnisse haben, zeigt eine Analyse von Prof. Henry Lai (University of Washington at Seattle) vom letzten Jahr: Er untersuchte die Finanzierung von 308 Studien über elektromagnetische Auswirkungen, publiziert seit 1994: Effekte auf den Organismus fanden 70% der unabhängig finanzierten Studien, aber nur 29% der von der Industrie geförderten Studien.

Zum Vergleich die Lage bei der schweizerischen TNO-Replikation:
Finanzierung der Studie: 723’000 CHF, 40% von der Industrie, 60% vom Steuerzahler.

Auftraggeber der Studie: Dr.Gregor Dürrenberger, Elektro-Ingenieur (Mikrowellenelektroniker, angestellt von der Mobilfunkindustrie), Leiter der Forschungssstiftung Mobilkommunikation an der ETH (kein Institut der ETH). Die Stiftung wurde von der Mobilfunkindustrie gegründet, und wird heute massgeblich von der Industrie finanziert.

Leiter der Studie: Dr. Peter Achermann, Elektro-Ingenieur, „Neurowissenschaftler“ (dennoch kein Mediziner), Privatdozent am Institut für Pharmakologie der Uni Zürich.

Sagen Sie ehrlich: Hätten Sie hier einen Effekt auf die Gesundheit erwartet?

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