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Unser Wunsch für das Jahr 2007

Beim Jahreswechsel ist es für die Leiter von Bürgerbewegungen üblich, Rück- und Ausblick zu halten. Bei Gigaherz war das in diesem Jahr aus 2 Gründen unterblieben.
Erstens wurden kurz vor den Feiertagen durch die Mobilfunkbetreiber eine riesige Flut von Baupublikationen gestartet, wohl in der Hoffnung das Volk hätte in dieser Zeit anderes tun als Einsprachen zu schreiben. So liefen bei Gigaherz über die Feiertage die Telefon- und die Faxleitungen heiss und alle riefen nach fachtechnischer Unterstützung. Als andere in die Ferien verreisten, wurden bei Gigaherz Ueberstunden geschuftet.
Und Zweitens fiel just über die Feiertage unser Internet-Server aus, so dass es nicht mehr möglich war, neue Artikel zu setzen. Wir übernehmen deshalb heute etwas verspätet, aber mit bestem Dank, die Neujahrsgedanken von

Peter Schlegel, Bürgerwelle Schweiz, 9. Januar 2007

Gestern, am 8. Januar 2007, bekam ich den Anruf eines Mannes, der mit seiner stark elektrosensiblen Frau im Wohnmobil lebt.
Auf der Suche nach Funklöchern durchstreifen sie Mitteleuropa. Ich musste ihn enttäuschen: Solche Funklöcher gibt es kaum mehr. – Ein Exote? Nein, einer der immer zahlreicher werdenden „modernen Nomaden“, ruhelos von der Antennenstrahlung vor allem des GSM- und UMTS-Mobilfunks durch das Land gejagt.
Diese „Nomaden“ aber sind nur die Spitze des Eisberges. Messtechnisch ausgebildete Baubiologen und Vertreter der Betroffenenorganisationen wissen es: Im selben Mass, wie der elektromagnetische Strahlungspegel von Jahr zu Jahr steigt, nimmt die Zahl der darunter leidenden Menschen und Tiere zu.
Wissenschafter prognostizieren, dass bei gleichbleibendem Trend im Jahr 2017 etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung (!) elektrosensibel wäre.

Würden alle von der Strahlung Betroffenen die Ursachen ihrer Beschwerden und Krankheiten kennen und sie auch äussern, dann entstünde längst ein ausreichender öffentlicher Druck, sodass die Behörden handeln müssten. Dann könnte man die Augen nicht mehr vor der Tatsache verschliessen, dass Elektromagnetismus vor allem auch in seiner periodisch gepulsten (getakteten) Form heute allgemein einer der stärksten Stressfaktoren für lebende Organismen ist. Aber diese Information dringt in der Öffentlichkeit nicht durch, denn:

* Viele Betroffene sagen nichts, solange sie über die Ursache keine Sicherheit haben. Und wenn sie sicher sind, sagen sie nichts, weil sie Angst haben, nicht ernst genommen oder gar ausgelacht zu werden.

* Die Ärzte hören in ihrer Ausbildung nichts vom Gesundheitsrisiko elektromagnetischer Strahlungen und Felder. Erst seit kurzem beginnen sie anhand der Praxiserfahrungen und unter dem Eindruck der Alarmrufe aus komplementärmedizinischen Kreisen allmählich zu reagieren.

* Die Bundes- und Kantonsbehörden betreiben Verharmlosung, oder sie sprechen sogar die Sprache der Mobilfunkbetreiber, so zum Beispiel der zuständige kantonalzürcherische Beamte in der heutigen NZZ (09.01.07), der vom Journalisten als „Experte“ bezeichnet wird. Seine halbwahren und falschen Aussagen bezüglich Strahlungseigenschaften und -immissionen verschiedener Funkdienste (zum Beispiel „weniger Elektrosmog als vor 50 Jahren“ – was für ein Unsinn!) fallen als solche leider nur dem Fachmann auf, nicht aber dem durchschnittlichen Zeitungsleser.

* Die Gerichte ziehen sich hinter die Mauer der für einen wirksamen Schutz viel zu hohen Strahlungsgrenzwerte zurück. Die kantonalen Verwaltungsgerichte verweisen auf das Bundesgericht. Das Bundesgericht verweist auf die zuständigen Bundesämter. Die Bundesämter verweisen auf die Wissenschaft. ? Und die Wissenschaft?

* Die Wissenschaft ist weitgehend korrumpiert durch die geldgebende Industrie. Den Begriff ?Korruption? übernehme ich wörtlich aus wissenschaftlichen Artikeln, die sich zum Teil auf interne, in gerichtlichen Schadenersatzprozessen bekanntgewordene Akten von Industriefirmen stützen, um deren Machenschaften zu entlarven.

* Unabhängige Wissenschafter, welche vor der Strahlung warnen, werden drangsaliert, diffamiert, an den Rand gedrängt oder zum Schweigen gebracht.

* Die Industrie entwickelt ihre Strategien zur Verheimlichung oder Verharmlosung der – ihr selber meist von Anfang an sehr wohl bekannten – Schädlichkeit ihrer Produkte. Auch diese Tatsache wird in den oben erwähnten Artikeln über die Korruption der Wissenschaft im Detail beschrieben.

So ist nachvollziehbar, wenn auch nicht zu rechtfertigen, dass die Zeitungen noch immer durchwegs schreiben: „Es ist nichts bewiesen“, obwohl die Beschwerden und Gesundheitsschäden längst evident sind. Obwohl viele wissenschaftliche Studien diese Evidenz stützen. Obwohl verantwortungsvolle Ärzte und Wissenschafter deutliche Warnungen aussprechen.

„Insgesamt herrscht ein politisches Klima, das immer weniger von gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung geprägt wird, dafür immer mehr von egoistischer Hemmungslosigkeit und gehässiger Hetze“, schreibt der Bundeshauskorrespondent des Tages-Anzeigers, Bruno Vanoni, in seinem heutigen Abschiedsartikel (TA vom 09.01.07). Er geisselt die Missachtung der Menschenrechtsgrundsätze unserer nunmehr siebenjährigen Bundesverfassung, zum Beispiel die Missachtung der „elementaren Einsicht, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. – In diesem politischen Klima des Egoismus aber gewinnt das „Recht des Stärkeren“ bedrohlich an Boden.

Die Demokratie ist ernsthaft in Gefahr, dies gerade auch auf dem Gebiet des Mobilfunkantennenbaus. Unter dem gesetzlichen Schutzschild des viel zu hohen Strahlungsgrenzwertes haben die Mobilfunkbetreiber freie Bahn. Einen Bedarfsnachweis für neue Antennen müssen sie nicht liefern. So bauen denn Swisscom, Sunrise und Orange landesweit ihre Antennen auf Vorrat, und zugleich wecken sie bei Jung und Alt mit allen Mitteln künstlich den Kommunikationsbedarf, der diese Antennen auslasten soll. Dass das Umweltschutzgesetz – verfassungsgemäss – im Artikel 13 den besonderen Schutz der Schwachen (Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere) fordert, kümmert niemanden. Gerade auch auf die Kinder und Jugendlichen zielen Werbung und Promotion der Betreiber.

Oft wird gespottet, dass Widerstand gegen den Mobilfunk immer nur gerade dort entstehe, wo eine neue Antenne gebaut werden soll.
Das ist ja gewiss vielerorts auch der Fall – aber warum? Eben darum, weil die unversehens von einem Antennenprojekt betroffenen Anwohner sich jetzt selber zu informieren beginnen. Und aufgrund der erhaltenen Informationen merken sie plötzlich: Diese Strahlung ist ja gar nicht so harmlos, wie man uns immer sagt. Sie ist ein Problem! Andere haben das zwar vielleicht geahnt, aber verdrängt, und jetzt droht es spürbare Wirklichkeit zu werden. Man beginnt sich gegen das Antennenprojekt zu wehren. Doch dann folgt die Desillusionierung bezüglich des Rechtsweges: Man erfährt, dass man juristisch kaum Argumente in der Hand hat. Denn das eigentliche Argument, dasjenige der Gesundheit, wird auf dem Rechtsweg systematisch ignoriert oder zurückgewiesen. Der Strahlungsgrenzwert ist eingehalten? In jüngster Zeit kommen dazu je nach Kanton massiv erhöhte Prozesskostenvorschüsse und Gerichtskosten, die das Weiterziehen nur noch vermögenden Anwohnern erlauben.

Was ist ein Rechtsstaat? Ist es ein Staat, in dem der Bürger in seinen Rechten geschützt wird? Oder ist es ein Staat, in dem geltendes Recht gegen das Wohlergehen der Bürger blind durchgesetzt wird? – Man wird antworten, wo das Letztere zuträfe, müsse das geltende Recht eben angepasst werden, denn so etwas dürfe ja nicht sein. Es trifft aber bezüglich der nichtionisierenden (elektromagnetischen) Strahlung tatsächlich doch zu. Die Durchsetzung des geltenden Rechts schadet der Volksgesundheit. Wo ist nun die parlamentarische Mehrheit, dank welcher die nötigen Änderungen zum Beispiel im Umweltschutzgesetz und im Fernmeldegesetz zum Schutz der Bevölkerung angebracht würden? Ist unseren National- und Ständeräten genügend bewusst, dass hier der Rechtsstaat ernsthaft gefährdet ist?

Die Chefs der drei grossen Telekommunikationsanbieter der Schweiz äusserten sich im Tages-Anzeiger vom 04.01.07 zur Frage nach ihren Vorstellungen über das Telefon des Jahres 2017. Ihre Antworten liessen durchwegs von Technikfaszination und Technikgläubigkeit geprägte Weltbilder ahnen. – Gewiss hat jeder die Freiheit zu einem individuellen Weltbild. Aber im Fall des Mobilfunks darf die Technikfaszination ihre „Träume“ mit gesetzlichem Schutz, ja sogar mit staatlicher Förderung ohne jegliche Rücksicht auf die Volksgesundheit verwirklichen. Wer sich für den Gesundheitsschutz und für eine Kultur der direkten Kommunikation von Angesicht zu Angesicht statt für eine all-elektronische Telekommunikationszivilisation einsetzt, wird als technikfeindlich belächelt. Um Technikfeindlichkeit geht es jedoch nicht. Die heutige Technik ist nun einmal da, und es wäre realitätsfern, sich gegen sie zu stellen.
Man kann ja von gewissen technischen Möglichkeiten durchaus beeindruckt sein. Doch die heutige Technik enthält eine grosse, ja epochale Herausforderung: Entweder nutzen und beherrschen wir diese Technik bewusster und umsichtiger denn je – oder sie beherrscht uns. Im zweiten Fall aber bezahlen wir für unsere Technikfaszination oder auch nur für unsere Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit einen hohen Preis, nämlich den Preis der Menschlichkeit.
Die „moderne“ Technik wird auf vielen Gebieten im wahrsten Sinne des Wortes immer un-menschlicher. In dieser Gefahr stehen wir nun auch auf dem Gebiet der Telekommunikation ganz konkret.

Unser Wunsch für das Jahr 2007 ist deshalb ein Wunsch nach mehr Bewusstsein. Die Menschen mögen sich bei der öfteren Benutzung von Funkdiensten immer wieder bewusst machen, dass sie damit andern Menschen Lebensqualität wegnehmen oder sie gar krank machen. Als Handytelefonierer zum Beispiel (wenn ich eins hätte) müsste ich daran denken, dass die Antenne da drüben, über die mein Gespräch gerade läuft, die für mich ankommenden Gesprächsdaten mit der 100- bis 1000-fachen Strahlungsleistung eines Handys aussendet, dies aber nicht etwa gezielt zu mir herüber, sondern wahllos in die ganze Nachbarschaft, in die Wohnungen und Büros hinein, wo Menschen leben und arbeiten, und manche dieser Menschen leiden wissentlich oder unwissentlich an der Strahlung, die gar nicht für sie, sondern für andere, auch für mich, bestimmt ist. – Jeder von uns, der ein Handygespräch führt, trägt dazu bei, andere Menschen in ihrem Wohlbefinden oder gar in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen. Und er liefert den Mobilfunkbetreibern den Bedarfsnachweis für ihren Netzausbau. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen.

Dies ist der Beitrag jedes Einzelnen. Daneben ist auch der gemeinsame Widerstand gegen den Weiterausbau der GSM- und UMTS-Netze notwendig und legitim. Da gibt es ab und zu Erfolge. Doch selbst dort, wo dieser Widerstand die Realisierung eines Antennenprojektes nur verzögern, aber nicht verhindern kann, erhöht er doch den Druck aus der Bevölkerung „nach oben“.
Erfreulicherweise beteiligen sich jetzt immer mehr Gemeindebehörden verantwortungsbewusst an diesem Widerstand. Dem wollte die Zürcher Baudirektion denn auch prompt den Riegel schieben. In einem Rundschreiben vom 17. November 2006 wies sie die Gemeindebehörden an, von der Nichtbehandlung von Antennen-Baugesuchen Abstand zu nehmen. Einzelne Gemeindebehörden, hatten sich nämlich mit diesem Mittel für den Schutz ihrer Bevölkerung eingesetzt, weil ihnen kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht?

Möge unser Wunsch nach mehr Bewusstsein in der Mobilfunkfrage im Jahr 2007 seiner Erfüllung näher kommen – aber nicht durch unfreiwilliges Leiden, sondern durch freiwillige Einsicht.

Von Hans-U. Jakob

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