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Mobilfunkpolitik und Demokratie im Widerstreit

Mobilfunkpolitik und Demokratie im Widerstreit

UMTS-Pflicht oder Bürgerrecht?

Vortrag anlässlich der Podiumsdiskussion „Mobilfunk, Mensch und Recht“
des Österreichischen Instituts für Menschenrechte in Salzburg, 16. Dezember 2005

von Karl Richter

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich komme aus dem Saarland, einem kleinen deutschen Bundesland am Grenzübergang von Deutschland nach Frankreich. Seine derzeitigen Regenten wollen endlich einmal ganz vorne mitmischen und das Land zu einem Musterland des Mobilfunks und unbegrenzter UMTS-Möglichkeiten machen. Hunderte von Antennen stehen deshalb bereits mitten in Wohngebieten und überlagern auf Krankenhausdächern gelegentlich so weit den klinikeigenen Funk, dass sich Rettungsfahrzeuge nur noch mit dem Handy verständigen können. Dank der Zusammenarbeit der UMTS-Protagonisten u.a. mit recht sorglosen Messtech-nikern und der Wissenschaft für künstliche Intelligenz können Sie bei uns in überfüllten Bussen und Restaurants auch schnurlos surfen oder sich von einem UMTS-Handy erinnern lassen, wann Sie Ihre Pillen einzunehmen haben. Dass die Schnurlosigkeit Vergesslichkeit und Alzheimer lt. unabhängiger Forschung fördert, wird dabei kommerziellen Interessen zuliebe geflissentlich ignoriert. Die Mobilfunkverantwortlichen des Landes leben als Kehrseite ihrer aggressiven Mobilfunkpolitik eine Sicherheitsphilosophie von trauriger Schlichtheit. Sie predigen den Segen der deutschen Grenzwerte und beweisen mit einem kostspieligen Messprojekt deren Einhaltung und Unterbietung. Dass sie den Erkenntnisstand der unabhängigen Forschung ignorieren und solche Reduk-tionen der Wahrheit als herausragendes Charakteristikum totalitärer Staaten gelten (vgl. z.B. Hannah Arendt), wird dabei offenkundig weder als Widerspruch zu christlichen noch zu demokratischen oder auch sozialen Partei-Etiketten gesehen.

Stolz präsentiert die Saarländische Regierung ihr Projekt „Saarland unwired“ im Internet. Übersetzen Sie den neudeutschen Terminus am besten mit „Land einer schnurlosen Kultur“ oder auch „Land der kulturellen Schnurlosigkeit“. Das kleine Land ist heute ohne Frage ein deutsches Modell- und Musterland des Mobilfunks ??? nur deshalb macht es Sinn, auch in Salzburg darüber zu reden. Aber das Land zeigt auch den hohen Preis solcher ???Musterhaftigkeit???. Es ist zu einem deutschen Spitzenland für die Leistungen künstlicher Intelligenz geworden, was ich gern neidlos anerkenne. Aber es droht mehr und mehr auch zu einem Entwicklungsland natürlicher Intelligenz zu werden. Das ist der Grund, warum ich hier in Salzburg auf Einladung des Österreichischen Instituts für Menschenrechte gerne über die Kehrseite einer neuartigen Diktatur kommerzieller Interessen spreche, an der die einen satt verdienen, während immer mehr andere verarmen ??? unsere Jugend in besonderer Weise. Wir brauchen der Zukunftsfähigkeit unserer gesundheits-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Entwicklung zuliebe keine kommerziell gesteuerten Feilandversuche am Menschen, sondern eine Politik, die sich in ihren Werten und Zielen wieder am Menschen und seinen unveräusserlichen Rechten orientiert.

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Die aufgeworfene Frage des Verhältnisses von Recht und Pflicht im UMTS-Staat gestattet zwei Interpretationen. Die regierungsamtliche glaubt an einen demokratischen Auftrag, allen Bürgern die UMTS-Kultur zu ermöglichen. Sie sieht es als logische Folge, dass jeder von uns Antennenabstände ab 10 Metern zu dulden hat. Als kritischer Bürger, der in seinem Wohngebiet von ca. 25 Antennen umstellt ist, gestatte ich mir ein freieres Denken. Ich nehme auch eine unabhängige Forschung zur Kenntnis, die unsere mobile Überversorgung für sehr bedenklich hält und nach dem Stand ihrer Erkenntnis Antennenabstände von 400 bis 500 m fordert. Ich erlaube mir die Frage: Warum werden wir und ca. ein halbes Tausend Mitbürger und Mitbürgerinnen meiner Umgebung rund um die Uhr zwangsweise der Wirkung einer von vielen Forschern als gefährlich eingestuften gepulsten Strahlung ausgesetzt, obwohl ich bisher nur einen Mitmenschen kenne, der den UMTS-Segen möglicherweise haben will. Gegen die harmonisierende amtliche Rhetorik zum Zusammenhang von Recht und Pflicht setze ich die kritischere Frage, ob das angebliche Recht der einen nicht mit Zwangsmassnahmen gegen andere erkauft wird, die Bürger- und Menschenrechte verletzen. Ich frage unseren Staat, der uns so oft mit der Versicherung seiner Bürgernähe beglückt, ob er nicht Bürgernähe in fataler Weise mit Antennennähe verwechselt.

1. Mobilfunktäter und ???opfer. Ein Fallbeispiel
Lassen Sie mich von einem konkreten Fall ausgehen. Die Völklinger Familie von Baronowitz wusste bis vor kurzem nichts von elektromagnetischen Wirkungen oder Elektrosensibilität. Ein plötzlich einsetzender schockierender Verfall aller drei Familienmitglieder blieb Ärzten vor Ort zunächst unverständlich. Ein Gutachten einer bayrischen Ärztin, die mit der Wirkung elektromagnetischer Felder vertraut ist, bescheinigt inzwischen schwerste gesundheitliche Schädigungen infolge der Aufstellung neuer Mobilfunkantennen. Die drei Mitglieder der Familie sehen sich gezwungen, ihr Haus ganz oder wenigstens zeitweise zu verlassen. Gemeinsam mit anderen Sprechern und Sprecherinnen eines saarländischen Bündnisses von Bürgerinitiativen frage ich: Wer gibt Regierenden von heute das Recht, mit Bürgern in dieser Weise umzugehen – kaum besser als in Zeiten der Leibeigenschaft? Die stereotypen Versicherungen der eingehaltenen Grenzwerte und der vermuteten ???psychischen Wirkungen??? werden in solchen Fällen zu einer verlogenen und grenzenlos inhumanen Praxis.

Die Mobilfunkpolitik hat in Regierungen, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft den neuen Typus des grenzwertberuhigten Schreibtischtäters hervorgebracht. Er stellt rechnerisch und/oder instrumentell fest, was gesetzlich erlaubt und eingehalten wird, um sich fortan alle Skrupel zu ersparen. Dass seine Grenzwerte einen 10-Meter-Abstand zulassen, wo angesehene Wissenschaftler den 40- bis 50fachen Abstand fordern, weiss er nicht oder will er nicht wissen. Er tut sich dann leichter, gesundheitliche Wirkungen als Hervorbringung von Psychikern, Simulanten oder Panikmachern einzuordnen und sich die Prüfung der faktischen Wirkungen vor Ort zu ersparen. Regierung und Parlamentarier des Saarlandes glaubten sich kürzlich durch unseren kritischen „Saarland-Appell“ in ihrer Würde verletzt. Wer aber schützt Gesundheit und Würde von Bürgern, die durch das Handeln von Regierung und Parlamentariern geschädigt und entwürdigt werden?

2. Pseudowissenschaftliche Denkformen als verschleierte Ideologie
Fälle dieser Art werden möglich auf der Grundlage eines argumentativen Zirkels, der etwas von der Stabilität, aber auch der intellektuellen Anspruchslosigkeit einer Gebetsmühle hat: Wir sind durch Grenzwerte wunderbar geschützt; verlässliche Nachweise der Gefährdung gibt es nicht; gesundheitliche Beschwerden können also nur psychischer Natur, eingebildet oder simuliert sein. Doch eine pseudowissenschaftliche Argumentation verschleiert dabei nur notdürftig ihre ökonomischen Ziele. Ich versuche einige ihrer typischen Denkformen etwas näher zu erläutern.

Der Umgang mit der Wahrheit
Niemand bestreitet, dass sich in der Mobilfunkforschung Aussagen höchster Bedenklichkeit und ziemlicher Unbedenklichkeit gegenüberstehen, welch letztere zuweilen nur etwas misstrauisch machen, weil schätzungsweise drei Viertel der Mobilfunkforschung auch von der Industrie bezahlt werden. Forschungslücken gibt es auf beiden Seiten. Blinde Panikmache ist nicht am Platze. Doch Verharmlosung erscheint uns bei dem Stand der Forschung als gesundheits- und gesellschaftspolitisches Verbrechen. Genau diese Verharm-losung aber hat unsere Landesregierung bis in die höchsten Etagen des Gesundheitsministeriums hinein zum Programm angeblicher ???Aufklärungs-arbeit??? erhoben. Die Wahrheit wird auf den politisch und wirtschaftlich brauchbaren Teil reduziert, selbst die landeseigene kritische Forschung ignoriert. Man verfährt nach der Logik: Zwei Halbwahrheiten, drei Drittel- oder meinetwegen auch zehn Zehntelwahrheiten addieren sich stets zu einer hundertprozentigen Wahrheit. Mathematisch mag das auf den ersten Blick so aussehen. Erkenntnistheoretisch und moralisch aber ist es industriegefälliger Unfug.

Der theoretische Schutz
Wenn Bomben gebaut werden, wird ihre Wirksamkeit theoretisch berechnet, aber auch praktisch überprüft. Das gilt auch für die verheerende Wirkung von Mikrowellenwaffen, die als wichtiger Stützpfeiler der waffentechnischen Zukunft bereits in Erprobung sind. Im Fall der zivilen Nutzung elektromagnetischer Felder scheint den Verantwortlichen aber jede Überprüfung ihrer Rechenkünste an den Objekten der Anwendung überflüssig. Keiner der Schreibtischtäter vom Regierungschef bis zum Handlanger aus Wissenschaft und Regulierungsbehörde überzeugt sich vor Ort, was seine rechnerischen Freilandversuche in der menschlichen Wirklichkeit anrichten.

Die Forderung der Exaktheit
Die Mobilfunkverantwortlichen haben zum Schutz ihrer ökonomischen Ziele die Forderung einer Exaktheit wiederbelebt, die Naturwissenschaftler seit über 100 Jahren längst verabschiedet haben, schon weil jedes Lebewesen nicht in der gleichen Weise auf identische Belastungen reagiert. Von den Betroffenen wird der exakte Nachweis der Schädlichkeit nun aber gefordert (den niemand erbringen kann) ??? während sich die Verantwortlichen grosszügig vom exakten Nachweis der Unschädlichkeit entbinden. Eine perverse Logik, eine perverse Ethik, ein perverses Demokratieverständnis – das nun folgert, auch die Vorsorgepflicht nach Art. 2,2 des Grundgesetzes und Art. 174 des EG-Vertrags sei nicht gegeben. Unser Staat hat Artikel 2,2 GG zur Vorsorge gegen Schädigungen in eine Fürsorge für Schädiger uminterpretiert.

Der Schutz unter den Antennen
Zu den merkwürdigsten Phänomenen gesetzlich zugelassener, aber moralisch korrupter Geschäfte gehört die Vermietung der Hausdächer. Den Vermietern wird sie finanziell reich vergoldet und mit dem ergänzenden Argument schmackhaft gemacht, dass man unterhalb der Antennen besonders sicher sei, weil die Abstrahlung nach den Seiten geht ??? also zu den Nachbarn. Seit dem umfassenden Bericht des Prüflabors IMST wissen wir, dass schon die These vom Schutz unterhalb der Antennen eine Lüge ist. Aber wie verlogen und makaber sind Geschäfte, die das unfreiwillige gesundheitliche wie materielle Opfer der Nachbarn zur Voraussetzung egoistischer Profite machen? Wer von den Betroffenen soll für diesen Staat, seine Repräsentanten und seine ??? diesbezüglich zweckmässig gleichgeschaltete ??? Justiz noch den geringsten Respekt aufbringen? Einen Staat, der Bürgernähe heuchelt, aber in Wahrheit Bürger zwangsweise zur Ware degradiert?!

Der Gipfel solcher Heuchelei ist erreicht, wenn die politisch Verantwortlichen dieses Systems ihre Gehilfen betroffenen Bürgern als Garanten von Aufklärung, kritischer Sachlichkeit und Fürsorge anbieten, die geeignet sein sollen, eventuell sich doch ergebende soziale und emotionale Konflikte zu schlichten. Die Betroffenen erleben sie nicht als Schlichter, sondern als Agenten einer neuartigen Form von Bürgergefährdung, Bürgerschädigung, ja Bürgerfolter.

3. Demokratieschäden und Verstösse gegen das Grundgesetz
Der bisherige Mobilfunk, den niemand von uns grundsätzlich abschaffen will, wie immer wieder unterstellt wird, liess zum Schutz der Menschen, den wir freilich entschieden fordern, wenigstens u. a. grössere Antennenabstände zu. Die UMTS-Technik hat die Mobilfunkproblematik so zugespitzt, weil sie geringe Antennenabstände fordert und die Antennen darum mitten in Wohngebiete stellt. Aber die Situation ist auch deshalb so verfahren, weil unsere deutsche Politik seit der Annahme von rund 50 Milliarden Euro vielfältig in die Interessen der Industrie verstrickt ist. Sie hat die von der Verfassung geforderte Unabhängig-keit und Transparenz dabei eingebüsst und verstösst unter dem Aspekt der ganzen Wahrheit in mehrfacher Hinsicht gegen Geist und Buchstabe des Grundgesetzes:

Artikel 2,2 GG garantiert die körperliche Unversehrtheit der Bürger. Er fordert von der Politik eine entsprechende Risikovorsorge. Beim Gedanken an Freilandversuche mit genmanipuliertem Mais zucken unsere Regierenden mit Recht zusammen. Den einträglicheren mobilen ,Freilandversuch??? an Millionen von Bürgern betreiben sie ruhigen Gewissens.

Gefährdet sind alle. Doch die ???Elektrosensiblen???, eine Minderheit von ca. drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, reagieren besonders häufig und intensiv mit Beschwerden und Schädigungen. Der Schutz von Minderheiten unterscheidet unsere Demokratie von totalitären Regimen. Doch diese Minderheit wird verraten und noch dazu als Gruppe eingebildeter Kranker diffamiert ??? Kleinkinder eingeschlossen.

Zu den Aufgaben der Demokratie gehört der Schutz des Eigentums (Artikel 14 GG). Wertminderungen, die sich aus der Nähe zu Mobilfunkmasten ergeben und bis zur Unverkäuflichkeit von Häusern und damit zur faktischen Enteignung reichen, belaufen sich allein für den Raum München auf ca. 19 Milliarden Euro ??? noch vor Einführung der UMTS-Antennen. Für ganz Deutschland errechnet sich eine Verlustschätzung von astronomischer Grössenordnung. Auch den materiellen Preis für den Handel mit den UMTS-Lizenzen zahlen also zigfach die Bürger ??? mit der wohl grössten Vernichtungsaktion an Volksvermögen seit dem Zweiten Weltkrieg.

4. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?
Die moderne Demokratie wurzelt geschichtlich gesehen im Gedankengut der europäischen Aufklärung, der amerikanischen Erklärung der Menschenrechte von 1776 sowie der Französischen Revolution mit ihrer Botschaft von ???Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit???. Mobilfunkbetroffene haben z. Zt. den Eindruck, dass alle drei Botschaften an unseren alten Grenzübergängen noch immer aufgehalten werden. Nominell freien Menschen werden unverantwortliche Antennenab-stände aufgezwungen. Ein neuartiges Zweiklassensystem fördert die Geschäfte der einen mit erzwungenen Opfern der anderen ??? die Klasse der Gewinner schafft eine andere von Verlierern. An die Stelle der Brüderlichkeit ist eine neuartige Form der Bürgerfolter getreten.

In unserem Buch „Kommerz, Gesundheit und demokratische Kultur. Gewinner und Verlierer in einer Modellregion des Mobilfunks“ haben wir den gegenwärtigen Zustand unter Anspielung auf regionale Ministerpräsidenten mit Zeiten des europäischen Absolutismus verglichen: „In feudalistischen Zeiten konnte König Friedrich der Grosse der Mühle eines kleinen Müllers nichts anhaben, weil dieser einen hinreichenden gerichtlichen Schutz gegen die Gelüste des Herrschers fand. Die grossen Müller von heute werten das offenbar als rührende Geschichte aus vordemokratischen Zeiten. Unter Demokratie scheinen sie eine primär ökonomisch interessierte Zwangsversorgung zu verstehen, die in Wahrheit schamlose Zugriffe auf die gesundheitliche Unversehrtheit und das Vermögen von Bürgern rechtfertigen soll.“ (S. 75)

5. Authentische Erfahrung parlamentarischer Demokratie
Eine Mobilfunkdebatte im saarländischen Landtag

Ich habe am 23. November 2005 eine Mobilfunkdebatte im Landtag des Saarlandes verfolgt. Als Initiatoren des von uns und mehreren kleinen Parteien getragenen „Saarland-Appells“ hatten wir mittelbar beigetragen, sie auszulösen. Denn ein Antrag der Bündnis 90/ Grünen forderte nun im Ergebnis von der Regierung und allen im Landtag vertretenen Parteien, sich diesem Appell anzuschliessen. Was die Debatte im weiteren Verlauf an Uninformiertheit, Heuchelei und autoritären Demokratieverständnissen demonstrierte, habe ich in einem Bericht festgehalten und will es hier nicht im einzelnen wiederholen. 100fach vernahm ich die Versicherung, wie ernst man die „Ängste der Bevölkerung“ nehme, kein einziges Mal konkretere Vorstellungen von Gefahren und Schäden. Zwischen den Worten aber erkannte man allenthalben jene oben beschriebenen Denkformen. Sie addieren sich zu einem Teufelskreis, der Fälle wie jene von Völklingen möglich macht. Der manipulative Umgang mit der Wahrheit setzt sich in die Beschädigung von Bürgern und ihres Gemeinwesens hinein fort. Er schützt die Verantwortlichen und ihre Interessen. Die Betroffenen aber werden faktisch entrechtet und schutzlos gemacht.

Ich habe Kritik und Forderungen im Schluss meines kritischen Erfahrungs-berichts über diese Debatte in Thesen zusammengefasst, von denen ich hier nur einige wiedergebe:

1. Die aufgeklärte Demokratie lebt aus der Verpflichtung auf die ganze Wahrheit. Sie stirbt mit der Reduktion auf den wirtschaftspolitisch brauchbaren Teil.

2. Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln hat das Wesen der Demokratie einmal als „Regierung des Volks durch das Volk und für das Volk“ beschrieben. Was uns dagegen als ???Demokratie??? heute geboten wird, ist immer häufiger eine Herrschaft der Industrie über das Volk durch Regierungen und Parlamente ??? zum Segen der Industrie.

3. Die fatalen Konsequenzen hat der „Spiegel“ kürzlich an der Geschichte des Rauchens gezeigt: Politik, Industrie und bestochene Wissenschaftler haben über ein halbes Jahrhundert angemessene Reaktionen auf die längst bekannten Risiken des Rauchens verhindert. Soll sich diese Geschichte am Beispiel des Mobilfunks wiederholen?

4. Die Echtheit einer Demokratie zeigt sich besonders am Umgang mit den Empfindlicheren und Schwächeren. Die Mobilfunkverantwortlichen mit ihrer Erwartung von genormter Robustheit haben aus der deutschen Geschichte nichts gelernt.

5. Der hippokratische Eid der Ärzte auf das Wohl der Menschen sollte zur allgemeinen Richtschnur auch jedes wissenschaftlichen und politischen Handelns erhoben werden. Kern jeder Ethik von Wissenschaft und Technik aber ist nach Carl Friedrich von Weizsäcker die Nächstenliebe. Sie wäre auch der wichtigste Inhalt politischer Kultur. Was wir seit der zweifelhaften Annahme der vielberufenen UMTS-Milliarden erleben, gehört nicht in die Geschichte der Nächstenliebe, sondern in die andere der 30 Silberlinge.

Nach meiner authentischen Besichtigung des Systems, das die Mobilfunkpolitik unseres Landes möglich macht, habe ich alle Regierungsvertreter und Parlamentarier zu dieser Veranstaltung des Österreichischen Instituts für Menschenrechte eingeladen, um gemeinsam mit uns über die Verwurzelung der Demokratie in der Geschichte der Menschenrechte nachzudenken. Aber vermutlich sind nicht viele saarländische Politiker unter uns. Denn der Weg vom Saarland nach Salzburg und zu den Menschenrechten ist weit. Doch als kritische Demokraten wollen wir ihn gehen.

6. Für demokratischen Widerstand
Der Gegenantrag der Regierungspartei gegen den Antrag der Grünen zur Mobilfunkpolitik unseres Landes, der am 23.11. in den Landtag des Saarlandes eingebracht wurde, subsumiert uns unter die Redeweise von „wenigen Mahnern“ und „wissenschaftlichen Randmeinungen“, durch die man sich nicht beirren lassen dürfe. Mündliche Begründungen des Antrags werteten unseren „Saarland-Appel“l als Werk einer „Polemik“, die die Würde von Volksvertretern beleidige und die Demokratie gefährde. Das eine las sich wie ein Zitat aus einem Leitfaden der Mobilfunkindustrie. Das andere wie eine Stimme aus der Spätzeit deutscher Gutsherrschaft.

Die Verflechtungen von Staat und kapitalstarker Industrie haben einen Umgang mit Wahrheit, Bürgern und Gemeinwesen zur Folge, der uns gesundheits- und gesellschaftspolitisch gleich unverantwortlich erscheint. Das ist der Grud, warum wir unser Musterland des Mobilfunks auch zu einem Land des demokratischen Widerstands kritischer Bürger machen wollen. Was wir uns darunter vorstellen, sei abschliessend in wenigen Punkten angedeutet:

1. Wir sind ein gut organisiertes Bündnis kritischer Bürgerinnen und Bürger, das inzwischen die Interessen von Tausenden von Menschen aus allen Teilen des Landes vertritt und immer mehr Rückhalt auch in Kommunen und unabhängigen Medien findet. Finanzieller Aufwand und Leistung stehen bei uns in einem Verhältnis, an dem sich jedes unserer Ministerien ein Beispiel nehmen sollte.
2. Mit unserer Initiative zum „Saarland-Appell“ und dem Buch „Kommerz, Gesundheit und demokratische Kultur. Gewinner und Verlierer in einer Modellregion des Mobilfunks“ (hg. von Karl Richter und Hermann Wittebrock) haben wir unserer Arbeit das Fundament einer unabhängigen und interdisziplinär interessierten Forschung gegeben. Wir führen auch Messungen durch, setzen sie aber ??? anders als ein kostspieliges Projekt der Landesregierung ??? zum Stand der medizinischen und biowissenschaftlichen Forschung in Beziehung.
3. Da offene Briefe, Appelle, kritische Berichte und Publikationen bisher nur einer Politik des Totschweigens und Aussitzens begegnen, machen wir alle wichtigen Zeugnisse der Auseinandersetzung auf unserer Homepage www.buerger-machen-mobil.de frei und öffentlich zugänglich.
4. Das gilt auch für eine soeben eröffnete Reihe ärztlicher Gutachten über schwerwiegende gesundheitliche Schädigungen infolge unverantwortlicher Antennenabstände. Ergänzt werden sollen sie durch Schätzungen der Wertminderungen von Wohnungen und Häusern.
5. Renommierte Juristen, die eine genaue Analogie zum Holzschutzmittel-prozess bei dem Stand der Forschung längst gegeben sehen, werden auf dieser Grundlage die Prüfung von Haftung und Schadensersatzpflichten aufnehmen. Auch den Weg nach Strassburg schliessen wir inzwischen nicht mehr aus.
6. Unsere immer stärkeren überregionalen und internationalen Vernetzungen werden es auch herrschaftsgewohnten Regenten kleiner Bundesländer auf Dauer schwer machen, ihre Uninformiertheit durchzuhalten und Kritik zu unterdrücken.

Bereits Goethes Faust kannte unsere bürgerliche Mitschuld:
Am Ende hängen wir doch ab
Von Creaturen die wir machten. (V. 7003 f.)
Bundespräsident Horst Köhler aber erkannte unsere intellektuelle, politische und moralische Chance: Die Bürger seien, auch in ihrer Wahrhaftigkeit, oft „weiter als die Politik“, hat er in seiner Weihnachtsansprache des letzten Jahres festgestellt. Er wird auch gewusst haben, warum er kürzlich just im Saarland mehr Volksentscheide empfahl.

16. Dezember 2005, Karl Richter

Anmerkung Gigaherz: Die Rede von Karl Richter wurde laut Augenzeugen durch eine WHO-nahe Vertreterin nachhaltig durch Zwischenrufe gestört. Richter konnte seine Rede erst zu Ende bringen als diese des Saales verwiesen wurde. Das wirft ein bedenkliches Licht auf die gegenwärtige Tätigkeit der WHO in Sachen nichtionisierender Strahlung

Von Hans-U. Jakob

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