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Bundesgericht öffnet Messwertschiebern Tür und Tor

Bundesgericht öffnet Messwertschiebern Tür und Tor

Das Treiben im Antennenwald wird immer bunter.

Behördliche Abnahme- und Kontrollmessungen an Mobilfunksendeanlagen können gemäss Messempfehlung des BUWAL nicht ohne Mithilfe der involvierten Mobilfunkbetreiber durchgeführt werden. Diese sind also immer im Bild wann was, wo gemessen wird und können ihre Sender entsprechend, ferngesteuert vor-, resp. falsch einstellen. Noch schlimmer wird die Datenschieberei bei den neuen UMTS-Anlagen.
Weil das BUWAL nicht mehr weiterwusste, konnten die vereinigten Mobilfunkbetreiber (SICTA) eine eigenes Messverfahren vorschlagen, welches nun, obschon höchst zweifelhaft, vom Bundesgericht auch noch sanktioniert wurde.

von André Masson, Baar

Frisch verheiratet: UMTS-Strahlung und widerspenstiges Gesetz
Das Bundesgericht hat die umstrittene Rechtslage bei der UMTS-Strahlung beurteilt: Die Orange-Antenne auf der Brauerei in Baar darf gebaut und betrieben werden! Bei dieser ersten UMTS-Antenne im Kanton Zug hat eine Gruppe von Nachbarn dem Gemeinderat, dem Regierungsrat, dem Verwaltungsgericht und jetzt auch Bundesgericht gezeigt, dass die UMTS-Strahlung nicht zur geltenden Verordnung über die Nichtionisierende Strahlung (NISV) passt. Wir haben in fast allen wesentlichen Teilen verloren. Hier wird die heutige Rechtslage nochmals erklärt. Die Argumentation beruht auf der Schweizerischen NISV und hat in anderen Ländern ev. keine Gültigkeit. Alle Zahlen- und Prozentangaben beziehen sich auf die Feldstärke, nicht auf die Leistungsflussdichte. Das Urteil wird bald auf dem Internet abrufbar sein unter www.bger.ch, Rechtsprechung, Urteile ab 2000, suchen unter Mobilfunk (Urteil vom 12.8.2003) oder unter 1A.148/2002. Hier werden nur die sachlichen Aspekte (Messung und Rechnung der UMTS-Strahlung) besprochen. Die juristischen Feinheiten (welche Anträge erlaubt sind, resp. wieso nicht, was in künftigen Fällen nochmals gefordert werden muss) vermag ich nicht zu würdigen.

Reflexionen können die Strahlung lokal verstärken.
Wir haben uns auf Messungen der Swisscom gestützt, die einwandfrei belegen, dass die Spitzenwerte in einem Wohnraum oft das Doppelte des gemessenen Mittelwertes ausmachen oder noch leicht mehr. Das ist nie bestritten worden. Dass die Spitzenwerte massgebend sind (und nicht der Mittelwert), fordert die Messempfehlung des BUWAL (p.19).

Wenn für eine Wohnung ein Mittelwert von 95% der NISV-Limite errechnet wird, und wenn die Gebäudehülle nicht stark absorbiert (offene Fenster), und wenn infolge Reflexionen im Zimmer ein Spitzenwert auftritt, der doppelt so hoch ist wie der Mittelwert, dann ist die NISV verletzt: Zwei mal 95% ergibt 190%. Das BUWAL und das METAS (Bundesamt für Messwesen) wollten von sich aus einen Korrekturfaktor zwei einführen, damit die gemessenen Spitzenwerte nie höher sein werden als die vorgängig berechneten Mittelwerte. Aber Bundesrat Leuenberger hat diesen Korrekturfaktor aus politischen Gründen (d.h. auf Drängen der Mobilfunkfirmen) wieder herausgekippt.

Die Messung bringt es (vielleicht ?) an den Tag
Zeigt sich die Überschreitung der NISV-Grenzwerte bei der Messung, wenn die umstrittene Antenne bereits in Betrieb steht ? Leider lässt sich bei UMTS nicht ohne weiteres vom erhaltenen Messwert umrechnen auf den extrapolierten Wert bei voller Senderleistung, wie es nach NISV zwingend vorgeschrieben ist (Anh.1, Ziff 63). Diese Knacknuss hat auch Orange nicht gelöst. Vor allen vier Instanzen hat Orange mit keinem einzigen Satz gesagt, wie eine NISV-konforme Messung bei UMTS aussehen müsste. Wir sahen nur wirre Bruchstücke: „Wenn die nach NISV massgebliche maximale Leistung gar nie erreicht wird, so ist dies doch prima und es illustriert diese Aussage nur die Fehlüberlegungen der Beschwerdeführer“ (13.2.02, Verw.ger.)

Das BUWAL umgekehrt hat gemerkt, dass es prekär wird. Es hat in seiner Not Folgendes erlaubt (eine Woche vor unserer Eingabe an das Bundesgericht!): Die Abnahmemessung eines UMTS-Senders darf mit falscher Strahlung, also mit Nicht-UMTS-Strahlung erfolgen. Ausgerechnet zur Abnahmemessung stellt man den Sender so ein, wie er später nie mehr strahlen wird.

Das höchste Gericht spricht in Rätseln.
Das Bundesgericht sieht die Abnahmemessung mit falscher Strahlung als rechtens an, weil sie ja nur provisorisch sei. Zitat BG: „Anschliessend, nach Inkrafttreten definitiver Vorschriften, sollen Kontrollmessungen durchgeführt werden (angefochtener Entscheid S. 16 und 18). Damit kann die Zuverlässigkeit der Abnahmemessung kontrolliert werden. Sollte die Kontrollmessung ein Überschreiten der zulässigen Grenzwerte ergeben, wäre die Sendeleistung der Anlage zu reduzieren (..). Die Bewilligung steht somit unter dem Vorbehalt, dass spätere Kontrollmessungen am realen UMTS-Signal die Einhaltung des Anlagegrenzwertes bestätigen.“

Ist das ein Eigentor des Bundesgerichtes ? Ein Versehen ? Raffinierte Absicht ? Nach geltender Rechtsordnung sind Kontrollmessungen etwas anderes als die Abnahmemessung.Man lese die offiziellen Dokumente: BUWAL, Messempfehlung 2002, Seite 9 (kursiv: zur Erläuterung hier eingesetzt, das gehört nicht zum folgenden BUWAL-Zitat):

„Kontrollmessungen haben einen anderen Zweck und liefern eine andere Aussage als die Abnahmemessung. Mit der Abnahmemessung wird festgestellt, ob der Anlagegrenzwert im ungünstigsten Fall, der gemäss Bewilligung auftreten kann, eingehalten ist, d.h. bei voller Sendeleistung. Mit der Kontrollmessung wird die NISV-Belastung im realen Betrieb der Anlage festgestellt, also wenn der Sender mit reduzierter Leistung strahlt.“ Exakt die Absicht des BG ist also unmöglich: Man kann mit einer Kontrollmessung die Zuverlässigkeit der Abnahmemessung nicht kontrollieren, weil bei der Kontrollmessung nicht umgerechnet wird auf die maximale Sendeleistung. Die Argumentation des Bundesgerichtes ist hinfällig. Das Wort Kontrollmessung ist unhaltbar und gibt gar keinen Sinn. Aber wer korrigiert jetzt unser höchstes Gericht ?

Der Weisheit letzter Schluss…
Nach dem Urteil in letzter Instanz gilt also:

* Man darf die Abnahmemessung mit falscher Strahlung machen.
* Nach Erlass der richtigen BUWAL-Messempfehlung wird in einer Kontrollmessung bei bereits bestehenden Antennen nur noch geprüft, ob bei richtiger UMTS-Strahlung, aber bei reduzierter Sendeleistung der Anlagegrenzwert eingehalten ist. Vergleichen kann man das nicht mit der NISV, weil dort ja die maximale Sendeleistung vorgeschrieben wird.
* Ob die UMTS-Strahlung die gesetzlichen Normen einhält, wird messtechnisch für die bereits und in naher Zukunft gebauten Antennen nie geprüft.
* Sobald das BUWAL seine Messempfehlungen für UMTS-Strahlung erlässt, werden die später folgenden UMTS-Antennen „richtig“ ausgemessen.

Oder kürzer und einfacher: Wir sind so klug als wie zuvor!
Bei einer UMTS-Antenne, wo der gerechnete Mittelwert in einer Wohnung 95% des NISV-Anlagegrenzwertes beträgt, gilt auch heute noch:

Weder rechnerisch noch messtechnisch lässt sich zeigen, ob bei voller
Sendeleistung die Grenzwerte der NISV eingehalten werden oder nicht.


Genau das haben wir schon vor zweieinhalb Jahren gesagt – jetzt wird es durch das Bundesgericht nochmals bestätigt. Erleichtert um insgesamt Fr. 24’000.-, dürfen wir jubeln: Inhaltlich liegen wir richtig – juristisch haben wir verloren!

Liebes BUWAL, werden Sie bitte aktiv!
Da haben wir bereits ein inkonstistentes Verfahren, was Mittelwert und Spitzenwert und Faktor 2 betrifft; jetzt wird es nochmals inkonstistent, was Abnahmemessung und maximale Senderstärke und Kontrollmessung betrifft. Die Unklarheit wird bei UMTS zweidimensional. Wollen Sie Bundesrat Leuenberger anfragen, ob er stolz ist auf diese Leistung ? Hätten nicht selbst die Mobilfunkfirmen ein Interesse an einem logischen, widerspruchsfreien Verfahren ?

Im richtigen Betrieb wird keine falsche Strahlung gesendet.
Wenn einmal der UMTS-Betrieb aufgenommen wird, wird ja keine falsche Strahlung mehr gesendet, d.h. eine Wiederholung der Messung ist dann unmöglich geworden. Wir haben gefordert, dass auch nachträglich, d.h. im normalen Telefonbetrieb die Einhaltung der NISV gelegentlich verifiziert werden kann. Was passiert, wenn ein neuer Mieter einzieht, oder wenn eine Wohnung verkauft wird ?

Das Bundesgericht ist auf unsere Forderung nicht eingegangen, ev. weil sie über die Beurteilung der Baubewilligung hinausgeht. Immerhin hat das Bundesgericht die späteren Konflikte mit neuen Mietern oder Käufern aufgenommen, und zwar so: Anstatt später neue Messungen zu ermöglichen, müssen die früheren, alten Resultate der Abnahmemessung der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Das ist eine Verbesserung gegenüber dem heutigen Zustand. Es ist nicht mehr möglich, in einer Wohnung Messungen zu machen, ohne die Mieter und Hausbesitzer über die Messwerte zu informieren. Bisher bestand die Angst, der Kanton oder die Stadt würden selber entschädigungspflichtig, wenn die Bodenpreise sinken infolge bekannter Messwerte. Ab heute besteht die klare Verpflichtung, die Messwerte bekannt zu geben! Zitat und Auflage Bundesgericht:„Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit in geeigneter Form über die Ergebnisse der Messungen.“ Ich bin nicht Jurist, aber das bedeutet wahrscheinlich, dass „die Öffentlichkeit“ ab sofort sämtliche bisherigen Messungen einsehen darf ?

Wenn Ueberschreitungen von vornherein unentdeckt bleiben
Es gibt bei der Brauerei-Antenne drei Orte, deren gerechnete Belastung zwischen 50% und 80% der Limite liegt. Dort wird also nicht gemessen. Eine Überschreitung des Anlagegrenzwertes (AGW) infolge Reflexionen wird dort nie erkannt, selbst wenn das Messverfahren stimmen würde. Deshalb haben wir gefordert, dass entweder um Faktor zwei schärfer gerechnet wird (damit die Spitzenwerte bereits durch die Rechnung abgedeckt werden), oder dass in den Wohnungen gemessen wird, sobald der errechnete Mittelwert 50% des AGW erreicht (statt wie heute ab 80%).

Das BG ist auf die verschärfte Rechnung nicht eingegangen (ev. weil wir das nicht fordern durften), und hat bei der Messung anders entschieden. Es bleibt bei der heutigen Regelung: Messung ab 80% AGW, sofern die Behörde nicht weitere Messungen verfügt, weil sie einen „begründeten Verdacht“ hat. Erreicht kein Ort in der Rechnung die Limite von 80% des AGW, so wird nach Inbetriebnahme des Senders überhaupt nirgends gemessen – selbst grobe Irrtümer wie falsch eingestellter Sender bleiben unentdeckt. Da die Behörde weiss, dass die Spitzenwerte um Faktor zwei höher liegen als die Mittelwerte, muss sie eigentlich immer einen „begründeten Verdacht“ äussern, sobald beim Standortdatenblatt mehr als 50% des AGW ausgewiesen sind. Bei „begründetem Verdacht“ sind die Behörden sogar dazu verpflichtet, Messungen anzuordnen.

Fristen: Nicht bis zum St. Nimmerleinstag
Die Abnahmemessung muss gemäss BG spätestens drei Monate nach Inbetriebnahme der Anlage erfolgen. Die Kontrollmessung nach Inkrafttreten neuer UMTS-Messempfehlungen hat in sechs Monaten zu erfolgen. Sofern das Urteil automatisch für alle UMTS-Antennen in der Schweiz gilt, darf man sich bei den wenigen Messfirmen auf Nachtschichten vorbereiten: Wie viele tausend Antennen, geteilt durch 180 Tage… ?

Mittelfristig: Nur nicht die Hoffnung verlieren!
Zitat BG: „Sollten die laufenden Versuche dagegen zum Ergebnis führen, dass eine zuverlässige Messung bei UMTS-Anlagen auch mittelfristig nicht in Sicht ist, müsste die Vollzugsrichtlinie überarbeitet und die Einführung eines Korrekturfaktors im Berechnungsverfahren neu überdacht werden.“ – Völker hört die Signale!!

FAZIT:
Wenn schon die Mobilfunkbetreiber eigene Messverfahren entwickeln dürfen, dann dürfen wir Mobilfunkkritiker das erst recht. Versuche, exakte Messungen ohne Wissen der Mobilfunkbetreiber durchzuführen, zeigen bereits erfreuliche Resultate.
Illegale Leistungserhöhungen und Richtungsänderungen an Mobilfunksendern konnten bereits nachgewiesen werden.

Mal sehen, wem die betroffene Bevölkerung mehr glaubt.

Von Hans-U. Jakob

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