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5G: Gutachterkrieg ohne Ende

Am 28. September wollte die Konferenz der Kantonalen Bau,- Planungs- und Umweltdirektoren (BPUK) dem unterdessen entstandenen, mehrere hundertausend Franken teuren Gutachterkrieg um die Rechtmässigkeit von 5G-Baubewilligungen, ein Ende setzen. Die Ansichten unter den verschiedenen Kantonsvertreterinnen und Kantantonsvertretern gingen indessen soweit auseinander, dass kein Konsens gefunden werden konnte. Jetzt soll, wie immer wenn Politiker nicht weiterwissen, eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden. Die betroffene Bevölkerung soll dabei, einmal mehr, nichts zu sagen haben. Dafür die Mobilfunkbetreiber!

Von Hans-U. Jakob, Gigaherz.ch
Schwarzenburg, 28. September 2021

Am 8. Juli 2021 war bei Gigaherz.ch zu lesen:
Zitat: Während diese Zeilen hier geschrieben werden, hauen sich die angemieteten Schriftgelehrten der Mobilfunkbetreiber und diejenigen der Kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren (BPUK) gegenseitig 100-Seitige Rechtsgutachten um die Ohren.
Die Mobilfunker haben dazu eine Teilhaberin der teuersten Zürcher Anwaltskanzlei mit einem Stundenlohn angeheuert, welcher etwa dem Monatslohn einer Putzfrau entspricht. Und die Bau- und Umweltdirektoren haben sich 2 Professoren des Instituts für Schweizerisches und Internationales Baurecht in Freiburg (CH) geschnappt.
Während die Zürcher Professorin das Bubentrickli mit der perfid versteckten Erhöhung der Strahlungsgrenzwerte von 5 auf 20 Volt pro Meter und noch Schlimmeres, auf über 80 Seiten für rechtens erklärt, schreiben die Freiburger Professoren das pure Gegenteil davon.

Über Letzteres können wir uns freuen, denn die kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren (BPUK) wollen auf Grund des von ihnen in Auftrag gegebenen Gutachtens bis auf Weiteres den Reduktionsfaktor, sprich das Bubentrickli des Bundesamtes für Umwelt, zwecks versteckter Lockerung der Grenzwerte, nicht umsetzen und auch keine Baubewilligungen im Bagatellverfahren mehr zulassen.
Was ist jetzt bloss in die kantonalen Bau- und Umweltdirektoren gefahren? Haben die in Ihren Gilettäschlis etwa noch einen Rest von Gewissen entdeckt, oder ist ihnen plötzlich die Angst vor den nächsten Wahlen in die Knochen gefahren? Was ist da auf einmal los? Das wollen sie uns dann Ende September oder spätestens Anfangs Oktober noch genauer erklären. Ende des Zitates. Vollständiger Text unter: https://www.gigaherz.ch/5g-der-kampf-der-giganten-ist-losgegangen/

Wer ist diese BPUK?
Sie nennen sich «Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts»
Nach schweizerischem Recht sind das Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit wie Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften, GmbH’s, Vereine, und Investmentgesellschaften. Da aus dieser Auswahl für die BPUK nur die Rechtsform des Vereins in Frage kommt, ist die BPUK demnach ein gewöhnlicher Verein. Wenn auch ein ziemlich illusterer. Denn dieser besteht aus den kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren, das heisst aus den Regierungsrätinnen und Regierungsräten welche diesem kantonalen Departement vorstehen.
Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist also ein Verein nach Art.60ff ZgB. Und Gigaherz.ch ist ebenfalls ein Verein nach Art.60ZgB. Wo liegt denn da der Unterschied?
Bösartig gesagt: Bei Gigaherz.ch versteht man etwas von Funktechnik, bei der BPUK gelinde gesagt, rein gar nichst. Woher sollten diese hochkarätigen Juristinnen und Juristen jetzt plötzlich dieses Fachwissen hernehmen? Die sind völlig auf das angewiesen, was ihnen ihre kantonalen NIS-Fachstellen auf den kantonalen Umweltämtern vorflunkern.

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb versuchte die BPUK in der Vergangenheit stets das in der Verordnung über nichtionisierende Strahlung (NISV) festgeschriebene Bundesrecht auszuhöhlen. Besonders dann, wenn es um Änderungen resp. Hochrüstung bestehender Mobilfunk-Sendeanlagen ging.
Eine solche Änderungs- resp. Hochrüstungswelle brach vor 2 Jahren mit der Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G über die Schweiz hinein.

Als erstes versuchten die Mobilfunkbetreiber bei Bundesrat und Parlament eine Lockerung des Strahlungsgrenzwertes für Orte empfindlicher Nutzung (wie Wohnungen) von 5 auf 20V/m durchzuzwängen. Was nicht etwa 4mal stärkeren Sendern entsprochen hätte, sondern 42, also 16 mal stärkeren.
Als dieses kurz hintereinander 2 mal missriet, begannen sie in den Baugesuchen mit falschen Zahlen zu operieren, indem sie keck behaupteten sie könnten mit 5G hundert mal mehr Daten in hundert mal höherer Geschwindigkeit mit zehn mal weniger Sendeleistung übertragen. (Anmerkung für Kenner: auch gefälschte Antennendiagramme kamen zum Einsatz)
Vorerst versuchten einige kantonale NIS-Fachstellen, vorab in den deutschsprachigen Kantonen, diesen technischen Blödsinn zu schützen. Was ihnen mit Hilfe einer völlig ahnungslosen Justiz eine Zeit lang auch gelang.
Als die Bevölkerung trotz dieses obrigkeitsgeschützten Schwindels weiterhin mit hunderten von Einsprachen reagierte, versuchten die Mobilfunkbetreiber, die Einsprecherei zu umgehen, indem sie sich von den mobilfunkfreundlichen unter den kantonalen NIS-Fachstellen, dieses Vorgehen mittels sogenannter Bagatell-Änderungen, ohne offizielles Baugesuchsverfahren bewilligen liessen.

Bild oben: Das Verstecken von adaptiven 5G-Antennen, zwecks Erwirkung einer Bagatell-Baubewilligung ohne öffentliche Bekanntmachung, wird je länger je raffinierter.

Hier fing der Knatsch unter den Kantonsregierungen, welche für den Vollzug des in der NISV festgeschriebenen Bundesrechtes verantwortlich sind, endgültig an. Während vorab französischsprachige Kantone entweder ein vollständiges Moratorium (Baustopp) für 5G-Anlagen aussprachen oder zumindest ein Moratorium für Bagatelländerungen, fuhrwerkten einige deutschsprachige Kantone, vorab Bern, Aargau, Zürich und Thurgau, mit Hunderten von Bagatellbewilligungen, auf Teufel komm raus, darauf los. Bald hagelte es deshalb auf den Gerichtsinstanzen aus der Mitte der Bevölkerung Anzeigen wegen «Bauen ohne Baubewilligung».

Mit zwei fiesen Bubentrickli versuchen nun das Departement UVEK (Frau Sommaruga) und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) dieses Treiben, das heisst mit den viel zu niedrig deklarierten Sendeleistungen und den gefälschten Antennendiagrammen, zu legalisieren. Frau Sommaruga kann der Vorwurf nicht erspart werden, dass sie lediglich auf ihre Chefbeamten hörte und für uns und unsere Fachleute trotz mehrmaliger Anfrage keine Zeit übrig hatte.

Fieser Trick Nummer 1: Der Reduktionsfaktor. Es wird behauptet, durch die im Millisekunden-Takt wild in einem 120°-Kreissektor herumtanzenden Strahlenkeulen (Datenbeams) würde die Gesamtbelastung im bestrahlten Sektor reduziert. Zwischen den einzelnen Beams gäbe es ja Strahlungs-Pausen. Deshalb dürfe die Sendeleistung im Standortdatenblatt zwecks Erteilung der Baubewilligung, je nach Anzahl der rotierenden Beams, um Faktor 2.5 bis 10, tiefer als effektiv benötigt, deklariert werden. Es seien ja nie alle Beams mit voller Leistung im Einsatz.
Bei über 1000 Endgeräten (Handys, PC’s, Router usw.) in einem 120°-Kreissektor, die im Millisekunden-Takt, so viele wie möglich gleichzeitig, angeschossen werden, ist das natürlich ein schlechter Scherz. Bei Pausen von bloss einigen Millisekunden (Tausendstelsekunden!)  bleibt keine Ritze mehr im Dunkeln! Da ist rein nix mehr von Reduktion!

Fieser Trick Nummer 2: Der 6-Minuten Mittelwert
Nicht genug mit Trick Nummer 1. Jetzt sollen die dort ermittelten Spitzenwerte noch über 6Minuten gemittelt werden. Das ist in etwa derselbe Unfug wie wenn man eine 10 Sekunden lange Windböe von 250km/h auf eine mittlere  Windgeschwindigkeit von 50km/h während 6 Minuten reduzieren wollte. Da liegt bereits der ganze Wald am Boden.
Alles in allem ergibt dies dann eine versteckte Erhöhung der heutigen Anlage- oder Vorsorge-Grenzwerte von 5 auf «nur» 16V/m. Das ist in V/m gerechnet das 3.2-Fache. Was dann den Mobilfunkbetreibern 3.22 = 10mal stärkere Sender erlaubt. Lauthals gefordert haben sie zwar 16mal stärkere.

Da diese Tricks nicht in der Verordnung (NISV) sondern nur in einem Nachtrag zur Vollzugsempfehlung vom 23. Februar festgeschrieben sind, wollten die Vorstandsmitglieder der BPUK mit dem Eingangs dieses Artikels beschriebenen 100-Seitigen Gutachten der 2 Professoren des Instituts für Schweizerisches und Internationales Baurecht in Freiburg (CH) klären, ob Solches überhaupt rechtens sei. Gleich in 5 Kapiteln kamen sie dabei zum Schluss, das gehe überhaupt nicht. Wenn schon, dann müssten vorher noch die NISV und einige Gesetze geändert werden.

Selbstverständlich gefiel dieses Verdikt den Mobilfunkbetreibern gar nicht. In einem 80-Seitigen Gegengutachten der teuersten Zürcher Anwaltskanzlei wurde das pure Gegenteil der Freiburger behauptet.

Diesen Gutachterkrieg, der schon gegen Fr. 200’000 gekostet haben dürfte, wollte die BPUK anlässlich ihrer Hauptversammlung vom vergangenen Donnerstag, 23.September klären und für alle Kantone gültige Richtlinien herausgeben.

Um es vorweg zu nehmen: Es wurde kein Konsens gefunden. Der Graben zwischen den gemässigten und den mobilfunkverrückten Kantonsvertreterinnen und Vertretern ist offensichtlich viel zu gross.

Wie immer, wenn Politiker nicht mehr weiterwissen, wollen sie auch hier eine Arbeitsgruppe einsetzen, welche die schier unüberbrückbaren Differenzen bis Ende Jahr bereinigen soll.
Und diese Arbeitsgruppe solle aus Vertretern der BPUK, des UVEK und der Mobilfunkbetreiber bestehen.
Hoppla, wer fehlt denn da? Die Strahlemänner wollen offensichtlich wieder einmal mehr unter sich bleiben. Störefriede aus der Bevölkerung, deren Vertreter unterdessen über 5G weitaus besser Bescheid wissen, als all die Amtsjuristen, werden zum Vorneherein ausgeschaltet. Das kann ja heiter werden!
Eines steht schon heute fest: Auf diese Weise werdet ihr den unterdessen tausenden von Einsprechenden und Beschwerdeführenden nicht los!

Tröstlich ist immerhin, dass bis Ende 2021 für 5G-Anlagen keine Bagatellbewilligungen mehr ausgestellt werden sollen. Normale Baubewilligungsverfahren dagegen sollen weiterlaufen. Soweit der am 23.September entstandene Konsens. Ob sich die Mobilfunker und ihre Freunde auf gewissen kantonalen Umweltämtern daran halten werden, steht in den Sternen. Gigaherz.ch und Partnerorganisationen werden auf der Hut sein.

Von Hans-U. Jakob

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