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5G: Bundesgericht beseitigt sämtliche Klarheiten

Endlich liegt jetzt ein seit 2 Jahren mit Spannung erwartetes Bundesgerichtsurteil vor, doch beantwortet es nur einen kleinen Teil der offenen Fragen zu 5G.


Ein Kommentar von Rebekka Meier
Präsidentin des Vereins Schutz-vor-Strahlung
Bei Gigaherz.ch veröffentlicht am 17.März 2023

Auf einem Mehrfamilienhaus in Steffisburg BE soll eine Mobilfunkanlage mit adaptiven 5G-Antennen entstehen. Das Gericht entschied, die Antenne dürfe zwar erstellt, jedoch nur wie eine 4G-Antenne betrieben werden. Das bedeutet: Die Anwendung eines «Korrekturfaktors» sowie die regelmässige Überschreitung der Grenzwerte müssten in einem separaten Verfahren geprüft werden

Der Entscheid lässt darauf schliessen, dass eine rasche Einführung von ultraschnellem 5G – wie es die  Mobilfunklobby und Bundesrat beabsichtigten – vom Tisch ist.
Der Verein Schutz vor Strahlung freut sich über diese Klarstellung. Auch die Aufforderung des Bundesgerichts an die Fachbehörden, die Prognose-Methoden zu verbessern, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings hat es das Bundesgericht verpasst, entscheidende Fragen zu klären. Dass die Antenne trotz Gefährdung der Anwohner gebaut werden darf, ist enttäuschend.

Urteil 1C_100/2021 vom 14. Februar 2023

Antenne muss Grenzwerte für 4G einhalten
Mitten in einem Wohnquartier in Steffisburg soll eine Mobilfunkanlage mit adaptiven 5G-Antennen gebaut werden. Adaptive Antennen können ihre Strahlung konzentrieren und bis zu acht Beams formen, die in einer Distanz von 100 m zur Antenne rund 30 m breit sind.  Gegen die erteilte Baubewilligung wurde Beschwerde erhoben vor der Bau- und Verkehrsdirektion sowie vor dem Verwaltungsgericht. Einsprachen und Beschwerden wurden – nach etlichen behördlich angeordneten Nachbesserungen des Bauvorhabens – teilweise abgewiesen. Das kantonale Verwaltungsgericht entschied in einem Punkt im Sinne der Beschwerdeführer: Eine allfällige Anwendung des Korrekturfaktors (bis zu 10-fache Sendeleistung) führe zu einer Erhöhung der Strahlung. Wenn die Mobilfunkbetreiberin den Korrekturfaktor anwenden will, müsste sie erneut ein Baugesuch stellen. Dieser Punkt war umstritten, denn der Bundesrat hatte mit seiner Verordnungsänderung vom 17. 12.2021 eine Befreiung von der Baubewilligungspflicht für den Korrekturfaktor vorgesehen. Doch das Bundesgericht bestätigt nun den Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts und somit die Baubewilligungspflicht (siehe Entscheid Ziff. 6.3.2).

Ein Ehepaar in der Nachbarschaft der geplanten Antenne führte beim Bundesgericht Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts und kritisierte die umweltrechtlichen Bestimmungen (u.a. Grenzwerte) für Mobilfunkantennen, ebenso die ungenügenden Mess- und Kontrollverfahren. Das Bundesgericht setzte sich mit den Eingaben der Beschwerdeführer auseinander, beschränkte sich aber nur auf die Prüfung des Falls, dass die Antenne den Korrekturfaktor nicht anwendet. Alle Folgen bei Anwendung des Korrekturfaktors berücksichtigte es nicht. Das bedeutet: Ohne Korrekturfaktor muss die Antenne die Grenzwerte jederzeit einhalten und darf nur gleich stark strahlen wie eine konventionelle Antenne. Zugleich ist die 5G-Abdeckung klein und die Geschwindigkeit vergleichbar mit einer 4G-Verbindung. So bleiben die Fragen nach der Rechtmässigkeit des Korrekturfaktors (nötig für ultraschnelles 5G) und den sich daraus ergebenden Folgen weiterhin offen.

Methode zur Strahlungsprognose muss nachgebessert werden
Sehr erfreulich ist der Entscheid des Bundesgerichts, dass die Methode zur Prognose der erwarteten Strahlung an empfindlichen Orten – z.B. in Wohnungen und an Arbeitsplätzen – verbessert werden muss. Adaptive Antennen geben gezielt Beams in die Richtung mehrerer reflektierenden Oberflächen ab, so dass die Daten beim Nutzer aus mehreren Richtungen eintreffen. Das Bundesgericht erkannte, dass durch Reflexionen an Fassaden und grossen Flächen Doppelbelastungen entstehen können. Daher müsse die Methode zur Prognose nachgebessert werden (Ziffer 7.2.4).

Bundesgericht trotz Studienergebnissen inkonsequent
Das Bundesgericht hat sich erstmals zu Gesundheitsstudien über oxidativen Stress geäussert. Doch seine Beurteilung ist aus Sicht des Vereins Schutz vor Strahlung völlig widersprüchlich: Obwohl es die Ergebnisse der Studien nicht in Frage stellte und die negativen Folgen auf die Gesundheit mehrfach zitierte, unterstützt es die Haltung des Bundesamts für Umwelt, das weitere Forschung und Bestätigungen benötigt, bevor die Immissionsgrenzwerte angepasst werden könnten (Immissionsgrenzwerte = Grenze zur Schädlichkeit). Dies, obwohl das Umweltschutzgesetz explizit vorsorgliche Begrenzungen von Immissionen auch ohne Vorhandensein von absoluten Beweisen vorschreibt, wenn zu erwarten ist, dass diese schädlich oder lästig werden.

Eine von den Beschwerdeführern vorgebrachte umfassende Übersichts-Studie zu oxidativem Stress, erstellt im Auftrag des BAFU, hält fest, dass Hinweise auf oxidativen Stress bei vielen verschiedenen Zelltypen, Expositionszeiten und Dosierungen gefunden wurden. Diese Veränderungen traten auch im Bereich der Anlagegrenzwerte auf, die 10x strenger sind als die Immissionsgrenzwerte. Eine von den Beschwerdeführern eingereichte Übersichtsstudie von ebenso hoher Qualität zeigt auf, wie diese Veränderungen zustande kommen. Es besteht also ein hohes Risiko für Gesundheitsschäden, die Entstehung dieser Schäden ist erklärbar und deren Folgen sind gravierend. Die Beschwerdeführer verlangten deshalb eine Anpassung der Immissionsgrenzwerte. Doch das Bundesgericht lehnte eine Anpassung der Grenzwerte ab. Es hält in seinem Urteil fest, dass diese Phänomene und Beobachtungen in den eingereichten Studien erst noch besser verstanden und bestätigt werden müssten, bevor sie Auswirkungen auf die Festlegung der Immissionsgrenzwerte haben können (Ziff. 5.5.1)

Welche Vorteile sieht das Bundesgericht in einem besseren Verständnis und einer Bestätigung der über hundert Studienergebnisse? Wie viele erklärende und wiederholte Studien braucht es noch, bis die hohen Anforderungen des Bundesgerichts erfüllt sind? Diese Fragen bleiben unbeantwortet.

Manipulierbare Mess- und Kontrollinstrumente
Die Beschwerdeführer hatten ausserdem kritisiert, dass der Vollzug nicht gewährleistet ist, weil die vom BAFU vorgesehenen Methoden der Abnahmemessung und des Qualitätssicherungssystems manipulierbar sind. Dies bestätigt das Bundesgericht, sieht aber darin trotzdem keinen Grund, die Baubewilligung zu verweigern. Dies, obwohl die kantonalen Behörden derzeit nicht in der Lage sind, unabhängige Kontrollmessungen durchzuführen und die elektronische Einstellung der Senderichtungen (Antennendiagramme) nicht kontrolliert werden kann. Dadurch nimmt das Bundesgericht in Kauf, dass es bei adaptiven Mobilfunkantennen faktisch nur eine Selbstkontrolle der Betreiber gibt. Dabei haben bereits kleinere Änderungen der Antenneneinstellungen unter Umständen sehr grosse Grenzwertüberschreitungen zur Folge (Ziff. 9.5.5)

Das Bundesgericht hat es mit diesem Entscheid verpasst, Klarheit zu schaffen in entscheidenden Fragen. Wir bedauern sehr, dass nun ein weiteres Quartier durch hohe Strahlung belastet wird, was die direkten Nachbarn stark gefährdet. Zurzeit sind über 20 Verfahren vor Bundesgericht hängig, tausende weitere Antennen stecken in Baubewilligungs- und Beschwerdeverfahren. Viele Betroffene bringen neue Studien und zusätzliche Kritikpunkte vor. Das Bundesgericht wird sich wohl bald zu all den offenen Fragen äussern und die erforderliche Klarheit schaffen müssen.

Von Hans-U. Jakob

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