Zum 3.Todestag von Pfarrer Carsten Häublein
Elektrosensibilität aus Sicht eines Betroffenen und aus Sicht der Wissenschaft
von Prof. Dr. med. Franz Adlkofer
Berlin 18.1.2015
Elektrosensibilität aus Sicht eines Betroffenen
Am 13. Februar 2013 barg man die Leiche des ehemaligen Pfarrers vom Ammertal, Carsten Häublein, aus der Schlei in Schleswig-Holstein. Die Umstände ließen den Schluss zu, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte. Nach sieben Jahren auf der Flucht vor der Mobilfunkstrahlung fehlte ihm offensichtlich der Mut zum Weiterleben. Ein halbes Jahr zuvor, am 13. September 2012, hatte ich nachts um 2:46 Uhr von ihm eine Mail erhalten, in der er seinen gesundheitlichen Zustand wie folgt beschrieb:
Mein ehem. Funkloch im nördlichen Schleswig-Holstein, in das ich 2009 aus Bayern geflüchtet war und in dem ich symptomfrei und auch wieder gesellschaftsfähig wurde, hat sich punktgenau und zeitgleich zur flächendeckenden Einführung des Horrors „LTE“ in ein einziges summendes, sirrendes, zischendes, brennendes Inferno verwandelt …
Ich halte nur durch, indem ich ca. 3-4 Stunden jeden Tag in der Badewanne mit Salzwasser liege, mich dann in einen Berg von Rettungsdecken einhülle und um meinen Kopf mehrfach einen Baldachin winde – gerade so, dass ich nicht ersticke. Dann sind einige, ganz wenige Stunden Schlaf drin. …
Diese brutale nächtliche Aufladung, die ich auch tagsüber nirgends mehr, außer im Wasser verliere, führt zu zunehmender Unverträglichkeit auch dieses PC , des Herdes, des Telefons, des Autostroms etc. – etwas , das ich bis Juli diesen Jahres so auch überhaupt nicht kannte. Schreiben wie diese sind vielleicht alle 2 Tage möglich. Für manche ist das eine Art Todesurteil.
Noch allerdings scheine ich regenerieren zu können: Nach jedem Schwimmen in der salzhaltigen Schlei und nach jedem Bade in der Wanne fühle ich mich symptomfrei und habe den Beweis dafür, dass die ganzen irren Turbulenzen exogener Natur sind, einer lebensfeindlichen Noxe geschuldet sind, die von außen kommend meinen Körper attackiert und foltert. Das Wohlbefinden hält allerdings nicht lange an …
Eine zweite Mail folgte wenige Stunden später:
Lieber Prof. Franz Adlkofer,
es schreibt Ihnen Carsten Häublein – diesmal leider nicht mit substanzieller Botschaft, sondern aus allertiefster Not wegen neuer EMF-Belastung. Wenn Sie es machen können, rufen Sie mich doch bitte einmal an – xxxxx. Alles, was wir austauschen, bitte ich mit absoluter Verschwiegenheit zu versehen – viele Grüße
Carsten Häublein
Die beiden Mails belegen, dass sich Pfarrer Häublein in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden haben muss, der von Verzweiflung, Verbitterung und Hoffnungslosigkeit geprägt war. Seine Gegner, die ihn von Anfang an für einen psychisch kranken Mann hielten, werden sich vermutlich durch die Darstellung seiner Leiden in ihrer Ansicht bestätigt fühlen und sich gar nicht erst die Frage stellen, was ihn so krank gemacht haben könnte. Doch die Antwort darauf ergibt sich aus seinem Leidensweg von Süd- nach Norddeutschland von selbst. Krank war er von 2006 bis 2009 im strahlenbelasteten Ammertal, wieder gesund wurde er noch 2009 nach seinem Umzug an einen strahlenfreien Ort am Ostseestrand und als 2012 sein Funkloch geschlossen wurde, kehrte die Krankheit massiver denn je zuvor zu ihm zurück. Mit seinem Leidensweg hat er so nebenbei bewiesen, dass die Elektrosensibilität durch elektromagnetische Felder verursacht wird.
Pfarrer Häublein hat sich von 2006 an mit großem Engagement für die Anerkennung der Elektrosensibilität als umweltbedingte Krankheit eingesetzt. Er wollte und konnte nicht einsehen, dass die für die Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung verantwortlichen Politiker in Deutschland auf Dauer zusehen, wie eine Minderheit der Gesellschaft um das Recht auf Gesundheit gebracht wird. Da die Wissenschaft ihm und den vielen anderen Betroffenen offensichtlich nicht helfen könnte, beabsichtigte er, in der Angelegenheit eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Dazu wollte er meine Meinung erfahren. Ich halte es in seinem Interesse und im Interesse aller Betroffenen für richtig, wenn ich anlässlich seines dritten Todestages darüber berichte.
Pfarrer Häublein erfuhr von mir, dass eine Klage auf Anerkennung der Elektrosensibilität als Umweltkrankheit wohl zum Scheitern verurteilt sei. Ein Richter, der sich damit befasste, würde sich auf die Grenzwerte der Mobilfunkstrahlung berufen, von denen die Strahlenschutzkommission und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) – nach meiner Überzeugung zu Unrecht – behaupteten, dass die Bevölkerung bei ihrer Einhaltung vor gesundheitlichen Risiken jeglicher Art zuverlässig geschützt sei. Dazu trüge auch bei, dass die Grenzwerte bei der von Basisstationen ausgehenden Strahlung weit unterschritten würden. Einen Richter zu überzeugen, dass das BfS von der Mobilfunkstrahlung kaum etwas verstehe und sich deshalb des „Sachverstandes“ der „Experten“ der Mobilfunkindustrie bediene, dürfte kaum gelingen. Sollte sich wirklich ein mutiger Richter finden, der es wagte, seiner Darstellung und seiner Begründung der Elektrosensibilität Glauben zu schenken, würde er wohl spätestens in der zweiten Instanz eines Besseren belehrt werden.
Rückblickend muss ich allerdings eingestehen, dass meine Sicht der Dinge doch etwas zu pessimistisch gewesen ist. Inzwischen hat nämlich in Toulouse, Frankreich, ein Richter es aufgrund medizinischer Gutachten bei einer Frau mittleren Alters als erwiesen angesehen, dass sie in der Nähe von Sendemasten, Smartphones und sogar Fernsehgeräten – vergleichbar Pfarrer Häublein – unter massiven körperlichen Beschwerden wie bohrenden Schmerzen in Kopf und Wirbelsäule und Schlafstörungen leidet. Es stufte die Klägerin deshalb im Juli 2015 als zu 85 Prozent schwerbehindert ein und sprach ihr für einen Zeitraum von zunächst drei Jahren eine Rente von monatlich 800 Euro zu. Frau Marine R. lebt seit einigen Jahren in einem alten Steinhaus in den Pyrenäen nahe der spanischen Grenze ohne Strom und fließendes Wasser und natürlich ohne Handys.
Bleibt zu hoffen, dass sich auch in Deutschland ein mutiger Richter findet, der der Elektrosensibilität auf den Grund geht, der Geschichte vom angeblich schützenden Grenzwert misstraut und den Betroffenen Gerechtigkeit wiederfahren lässt.
Elektrosensibilität aus Sicht der Wissenschaft
Der Fall Häublein steht beispielhaft für eine Tragödie in Europa, bei der Tausende von Menschen, die unter den Folgen ihrer Elektrosensibilität leiden, von Industrie und Politik als psychisch auffällig oder sogar psychisch gestört eingestuft werden, um die Mobilfunkstrahlung als Ursache bestreiten zu können. Die Strahlenschutzkommission der Bundesrepublik Deutschland hat sich 2011 zu diesem Thema in besonders perfider Weise geäußert:
Damit kann trotz unterschiedlicher Zielgruppendefinition und -rekrutierung in der Zusammenschau mit der internationalen Literatur der Schluss gezogen werden, dass „Elektrosensibilität“ im Sinne eines ursächlichen Zusammenhangs mit der Exposition durch EMF mit großer Wahrscheinlichkeit nicht existiert. Weitere Forschung sollte daher in einem Themenkreis außerhalb der EMF-Forschung erfolgen.
Die Art und Weise, wie mit dem Thema Elektrosensibilität umgegangen wird, lässt den Verdacht aufkommen, dass der Verharmlosung ein von Industrie und Politik abgesprochener Plan zugrunde liegt.
Wissenschaftler, die den Vorstellungen von Industrie und Politik entsprechen, weil sie viel von Psychologie und Psychiatrie, aber in der Regel nichts von der Mobilfunkstrahlung verstehen, versuchen – reichlich mit Forschungsmitteln ausgestattet – herauszufinden, ob zwischen nicht-elektrosensiblen und elektrosensiblen Menschen irgendwelche Unterschiede in Verhalten und Empfinden bestehen. Mittels statistischer Auswertung von experimentell oder über Fragebögen erhaltener Daten kommen sie zu der Erkenntnis, dass von den beiden Gruppen die der Elektrosensiblen signifikant häufiger an somatoformen Störungen leidet, ohne dass für die angegebenen Symptome eine adäquate körperliche Ursache zu finden ist. Übereinstimmend stellen die Forscher dann fest, dass der Leidensdruck der Betroffenen aufgrund dieser Störungen sehr hoch sein könne und dass dies entsprechend ernst genommen werden müsse. Ebenso übereinstimmend sind sie der Meinung, dass die vorliegenden Forschungsergebnisse die Mobilfunkstrahlung als Ursache der Elektrosensibilität nicht bestätigen könnten. Damit ist der Weg für die so genannte Risikokommunikation geebnet, für die die Mobilfunkindustrie eine ganz besondere Gruppe von „Experten“ bereithält. Von ihr erfährt die Bevölkerung in regelmäßigen Abständen, es sei aufgrund der vorliegenden Untersuchungen wissenschaftlich erwiesen, dass die Elektrosensibilität ganz unabhängig von der Mobilfunkstrahlung auftrete, mit ihr auch gar nichts zu tun haben könne, weil es unterhalb des Grenzwertes bekanntlich keine biologischen Wirkungen von Relevanz für eine Gesundheitsstörung gebe.
In seinem Bericht über die BIOEM2015 (1) stellt Prof. Dariusz Leszczynski fest, dass alle bisherigen Studien zur Frage der Elektrosensibilität, die als Beleg gegen die Verursachung gesundheitlicher Störungen durch elektromagnetische Felder angeführt werden, bereits vom Ansatz her ungeeignet seien, dieser Schlussfolgerung gerecht zu würden. Er spricht von einem Stillstand der Forschung, weil sie sich seit Jahren immer nur auf die Fragen beschränkt, „wie fühlen sie sich“ und „was fühlen sie“ anstatt in Studien mit molekular-biologischen Techniken objektiv nach den physiologischen Unterschieden zwischen elektrosensiblen und gesunden Personen zu suchen. Dass elektromagnetische Felder biologische Wirkungen auch unterhalb des Grenzwertes auslösen können, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Als größtes Hindernis, das der Lösung des Problems im Wege steht, betrachtet Leszczynski die Herangehensweise der Forscher, denen offensichtlich Ideen für neue Forschungsansätze abgehen. Was er verschweigt, ist die Tatsache, dass von Industrie und Politik, die allein über die erforderlichen Mittel verfügen, für den von ihm vorgeschlagenen Forschungsansatz keinerlei Unterstützung zu erwarten ist, und dass er mit seinem persönlichen Schicksal den besten Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme geliefert hat: Seine Forschungsabteilung an der staatlichen STUK in Finnland wurde 2012 geschlossen und er selbst wurde in die Arbeitslosigkeit wohl nur deshalb entlassen, weil er damit begonnen hatte, sich der vernachlässigten Forschungsrichtung zuzuwenden (2)
Die Begründung, dass es bis heute keine wissenschaftlich abgesicherte Erklärung für die Verursachung der Elektrosensibilität durch die Mobilfunkstrahlung gibt, ist keineswegs ein Beweis gegen die Annahme, dass die Elektrosensibilität eine besondere Form der seit langem bekannten Strahlenkrankheit ist. Die Argumentation geht aber auch deshalb ins Leere, weil es eine Reihe von Krankheiten gibt, deren Pathogenese nur teilweise oder gar nicht verstanden wird, ohne dass deshalb ihre Existenz in Zweifel gezogen wird. Pfarrer Häublein hat – übrigens keineswegs als Einziger – behauptet, dass die Symptome der Elektrosensibilität nach seinem Umzug in eine strahlenfreie Umgebung rasch verschwanden, aber genau so rasch wiederkehrten, nachdem der Ort an das Funknetz angeschlossen war. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, woran kaum zu zweifeln ist, erübrigte sich jeglicher weiterer Beweis für die Kausalität des Zusammenhangs – dies ganz unabhängig von der Kenntnis des Wirkungsmechanismus. Dies gilt umso mehr als längst feststeht, dass auch unterhalb des Grenzwertes mit Strahlenwirkung zu rechnen ist, was Industrie und Politik bis vor kurzem kategorisch ausgeschlossen haben.
Einen besonders überzeugenden Beweis dafür hat vor kurzem Professor Alexander Lerchl von der privaten Jacobs Universität Bremen – wenn auch aus Versehen – erbracht. Der bisherige Garant negativer Forschungsergebnisse sah sich ganz unerwartet gezwungen, etwas zu bestätigen, was er bis vor kurzem vehement abgestritten hatte, dass nämlich die Mobilfunkstrahlung unterhalb des Grenzwertes bei Mäusen das Tumorwachstum verstärken kann. Wenn sie dazu in der Lage ist, stellt sich zwangsläufig die Frage, warum sie nicht auch für die Symptome der Elektrosensibilität verantwortlich sein sollte (3)
Was die biologischen Wirkungen der Mobilfunkstrahlung unterhalb des Grenzwertes angeht, lassen sich diese keineswegs auf die von Lerchl nachgewiesene Förderung des Tumorwachstums beschränken, dessen Mechanismus übrigens genauso wie der der Elektrosensibilität im Dunkel liegt. Zur Tumorpromotion durch die Mobilfunkstrahlung tritt die Tumorinitiation, auf die auf das vorhandene gentoxische Potenzial der Mobilfunkstrahlung hinweist. Deshalb kann gegenwärtig als weitgehend gesichert gelten, dass biologische Organismen jeder Art, seien es einzelne Zellen, Tiere oder Menschen, durch die Mobilfunkstrahlung auf irgendeine Weise geschädigt werden können, wenn auch die Mechanismen dafür vorerst nur vermutet werden können.
Leszczynski kritisiert in seinen Bericht über die BIOEM2015, dass bei der Konferenz zwar eine Vielzahl von bioelektromagnetischen Themen behandelt wurde, biologische Wirkungen direkt am Menschen aber nur sehr spärlich vertreten waren. Ohne solche Untersuchungen sei es jedoch nahezu unmöglich, den Nachweis zu führen, dass elektromagnetische Felder im menschlichen Organismus Veränderungen mit Relevanz zur Krankheitsentstehung verursachen. Auf der Grundlage seiner persönlichen Erfahrungen äußert er den Verdacht, dass Forschungsvorhaben dieser Art aus Angst vor den Konsequenzen von den Entscheidungsträgern in Politik und Industrie absichtlich verhindert werden. Dass Leszczynskis Verdacht mehr als berechtigt ist, zeigt der Umgang ihrer Experten mit der von mir koordinierten europäischen REFLEX-Studie, in der in isolierten menschlichen Zellen weit unterhalb des Grenzwertes gentoxische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung festgestellt wurden. Um diese Ergebnisse aus der Welt zu schaffen, verstieg sich der bis vor kurzem zuverlässigste Garant für die Unbedenklichkeit der Mobilfunkstrahlung zu der Behauptung, dass die Ergebnisse gefälscht seien. Diesen Vorwurf hielt er über Jahre hinweg aufrecht, bis ihn schließlich anfangs 2015 das Landgericht Hamburg zur Zurücknahme zwang und ihn rechtskräftig wegen Verleumdung und Ehrverletzung verurteilte.
Ausblick
Wie es gegenwärtig aussieht, ist den für die Gesundheit der Bevölkerung verantwortlichen Politikern die Absicherung des Geschäftsmodells der Mobilfunkindustrie wichtiger ist als der Schutz der mit Elektrosensibilität geplagten Minderheit der Bevölkerung. Verdeutlicht wird dies vor allem durch staatlich finanzierte Pseudoforschung, mit deren Pseudoergebnissen die Verharmlosung der Elektrosensibilität erst ermöglicht wird. Am 12. Januar 2016 hat in Brüssel vor der Europäischen Kommission eine Anhörung stattgefunden, die sich insbesondere mit den Wirkungen der Hochfrequenzstrahlung auf die Gesundheit elektrosensibler Menschen befasst hat. Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Im Vorfeld hat die Initiative Bürger der Welt die Kommission auf den 2015 von 218 Wissenschaftlern aus 40 Ländern unterzeichneten Internationalen EMF-Appell aufmerksam gemacht, in dem u. a. festgestellt wird:
Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen aus jüngster Zeit haben aufgezeigt, dass elektromagnetische Felder auf lebende Organismen bereits bei Feldstärken deutlich unterhalb der meisten internationalen und nationalen Grenzwerte einwirken. Zu den Wirkungen gehören ein erhöhtes Krebsrisiko, Zellstress, Zunahme schädlicher freier Radikale, Genschäden, strukturelle und funktionelle Veränderungen im Reproduktionssystem, Defizite beim Lernen und Erinnern, neurologische Störungen und negative Einflüsse auf das allgemeine Wohlbefinden beim Menschen. Die Schädigung reicht weit über die Menschheit hinaus, da die Beweise zunehmen, dass auch die Pflanzen- und die Tierwelt betroffen sind.
(1) http://kompetenzinitiative.net/KIT/KIT/bioem-2015-report-von-dariusz-leszczynski/
(2) http://www.stiftung-pandora.eu/downloads/pandora_doku_beitrag-zu-leszczynski.pdf
(3) http://www.stiftung-pandora.eu/downloads/adlkofer_-stellungnahme-zu-lerchl-09-03-2015.pdf
Kommentare sind ausgeschaltet