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Zur Rinderstudie

Nachfolgende Artikel entstammen der Monatszeitschrift der Redaktion „Leben auf dem Land“, Postfach 200523, 80005 München, Ausgabe 01/2001. Auf unsere Anfrage vom 27.Dezember 2000 hat uns die Redaktion erlaubt, diese auf unserer Internetseite www.gigaherz.ch zu veröffentlichen. Sehr lesenswert!

Zum Thema

Lieber Leserin, lieber Leser,

nehmen wir einmal an, Sie bekämen einen Beipackzettel in die Hand, der folgende Risiken nennt: Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen, Grauer Star, erhöhter Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, Migräne, Schwindel, Potenzstörungen, Störung der Blutbildung, Müdigkeit, Allergien, Immunschwäche, beschleunigtes Krebswachstum. Würden Sie sich nach Kenntnis dieser gesundheitlichen Gefahren immer noch trauen, ein Handy zu benutzen? Denn es handelt sich hier nicht etwa um ein Medikament, sondern diese Störungen des menschlichen Organismus können tatsächlich beim mobilen Telefonieren auftreten. Und nicht nur während des Telefonierens selber, sondern fortwährend, also 24 Stunden lang * sofern man in der Nähe einen Sendemast stehen hat. Und solche Anlagen stehen fast in jedem Dorf. 40 000 Mobilfunkstandorte gibt es gegenwärtig in Deutschland. Täglich kommen schätzungsweise rund 100 dazu.

Immer mehr Menschen haben Angst. Manchmal sind es ganze Dörfer mit ihrem Bürgermeister oder dem Landrat an der Spitze, die gegen die Installation von Sendemasten zu Felde ziehen. Das tun sie nicht, weil sie zum Fanatismus neigen oder sonstige hysterische Wallungen verspüren. Sie sind einfach um ihre Gesundheit besorgt. Denn es warnen immer mehr Wissenschaftler. Es warnt die Bundesärztekammer. Es warnt die AOK. Es warnen die Fluggesellschaften. Und der Staat, die Behörden, die Ministerien? Was tun die? Sie nehmen die Sorgen der Bürger ernst – und warten erst einmal ab. Oder sie geben Studien in Auftrag. Die ehrgeizigste und weltweit einzige ist jetzt im bayerischen Umweltministerium veröffentlicht worden: die Rinderstudie. Denn auch das liebe Vieh besteht aus Fleisch und Blut und ist den elektromagnetischen Handystrahlen ausgesetzt. 38 Bauernhöfe in Bayern und Hessen waren in die zweijährigen Untersuchungen einbezogen. Die Universitäten München und Giessen waren federführend. Das Ergebnis: 1. kein direkter Zusammenhang zwischen der Strahlung und der Gesundheit der Tiere, 2. kein Gefährdungs-Szenario, 3. „keine neuen Aussagen“.

Wir können uns also beruhigt und entspannt zurücklehnen. Können wir? Wir könnten es, gäbe es da nicht eine Reihe von Ungereimtheiten. So wurde die Abgabe der Studie, obwohl für Juni 2000 vorgesehen, immer wieder verschoben. Ob die UMTS-Versteigerung im August durch negative Verlautbarungen nicht gestört werden sollte? Ob glättende und verharmlosende Nachbesserungen nötig waren, nachdem durchgesickert war, dass das Material so brisant war, dass sogar die Politik zum Handeln gezwungen wäre? Eine Gefährdung, heisst es jetzt im Umweltministerium, sei nicht gegeben, aber auch nicht 100-prozentig auszuschliessen. Ja, was denn nun? Weiter: Auffälligkeiten durch den Mobilfunk z. B. auf die Milchleistung seien nicht erkennbar. Andererseits wünscht man sich dringend Folgeuntersuchungen unter besser kontrollierten Bedingungen. Ja, hat man etwa geschlampt? Was ist eine Studie wert, wenn sich herausstellt, dass man allein schon bei der Auswahl der Betriebe Fehler gemacht hat? Was ist eine Studie wert, an der möglicherweie herummanipuliert worden ist? Was sind überhaupt Studien wert, die zur Hälfte (nämlich mit 400 000 Mark) von den Mobilfunkbetreibern bezahlt werden? Ein Skandal schwebt in der Luft.

Mittlerweile laufen andere Untersuchungen, wie z. B. die WHO-Studie über die Krebsgefährdung des Handys, weiter. Und es ist, liebe Leserin, lieber Leser, nur zu hoffen, dass diese und andere Studien rasch widerspruchsfreie Ergebnisse bringen. Denn mit Beipackzetteln, wie sie jetzt Handys in England beigelegt werden müssen, ist es nicht getan (s. unseren Report S. 22).

REPORT

(Redaktion Leben auf dem Land, Postf. 200523, 80005 München, Ausgabe 01/2000)

Mobilfunk: Unbehagen über die Rinderstudie

Lizenz zum Krankmachen

Immer mehr Menschen haben Angst vor den Handystrahlen. Und immer mehr Landwirte fürchten auch um ihre Tiere. Gibt die Rinderstudie, die jetzt in München der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist, Aufschluss?

BSE * das Rauschen in den deutschen Medien hat Orkanstärke erreicht. Verbote wurden gefordert und im Eilverfahren durchgesetzt, selbst wenn Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen noch nicht endgültig geklärt sind. Der einhellige Tenor: Der Schutz der Verbraucher steht im Vordergrund, hat absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Das ist richtig so, selbst wenn durch blinden Aktionismus der Sachverstand teilweise auf der Strecke blieb.

Anders beim Mobilfunk. Eine Reihe von internationalen Studien belegen, dass es sich längst nicht mehr um einen Anfangsverdacht handelt. Auswirkungen auf Mensch und Tier sind nicht mehr wegzudiskutieren (vgl. auch „Leben auf dem Land“, Heft 1/2000). Inzwischen regt sich Widerstand. Die Betreiber haben es immer schwerer, ihre Netze auszubauen. Die Bundesärztekammer fordert deutlich niedrigere Grenzwerte, und das Landgericht Frankfurt/Main liess sogar einen Sender abschalten.

Doch der Reihe nach. Das bayerische Umweltministerium z. B. wurde nicht müde, zu betonen, dass nach derzeitigem Kenntnisstand keine Gefährdung bestünde. Auch das baden-württembergische Umweltministerium signalisiert in einem Faltblatt Unbedenklichkeit. Die für Deutschland festgelegten thermischen Grenzwerte würden im praktischen Betrieb nicht erreicht. Mögliche nicht-thermische Effekte seien allerdings nicht berücksichtigt.

Diese Einschränkung ist jedoch bemerkenswert. Das Verstecken hinter den thermischen Grenzwerten und das offizielle Ignorieren athermischer Wirkungen stossen zunehmend auf Unverständnis. So zum Beispiel bei der Bundesärztekammer: In einem Interview mit der „Ärzte-Zeitung“ kritisierte Prof. Dr. Heyo Eckel, dass das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz die vom Mobilfunk ausgehenden Gefahren völlig herunterspiele. Eckel stützt sich u. a. auf die Ergebnisse einer internationalen Tagung in Salzburg. Eine Reihe von Wissenschaftlern hatte sich im Juni 2000 wegen einer Vielzahl biologischer Effekte durch gepulste hochfrequente Strahlen für eine drastische Senkung der geltenden Grenzwerte ausgesprochen.

„Wir wollen weder Panik verbreiten noch die Mobilfunktechnik verteufeln“, so Eckel. „In der Radiologie wurden über Jahrzehnte hinweg die Grenzwerte durch weitergehende Erkenntnisse immer wieder gesenkt.“ Für den Mobilfunk müsse das gleiche gefordert werden. Die Grenzwerte seien so niedrig anzusetzen, dass sich die Technik gerade noch realisieren lässt und zugleich ein Höchstmass an Vorsorge gewährleistet ist.

Den Richtern der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt ging es offenbar genau um diese Vorsorge. Sie liessen einen Mobilfunksender in Oberursel per einstweiliger Verfügung gleich ganz abschalten. Erstmals hat ein Gericht in Deutschland das im Grundgesetz verbriefte Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2, Abs. 2) zugrunde gelegt. Selbst ein Sachverständiger der Strahlenschutzkommission konnte einen Zusammenhang zwischen Strahlenexposition und möglichen Gesundheitsstörungen nicht ausschliessen. Für das Gericht erschien es daher nachvollziehbar, dass für den Bereich der athermischen Auswirkungen deutlich geringere Grenzwerte herangezogen werden müssten.

Mit Spannung wurde der Abschluss einer zweijährigen Rinderstudie auf 38 bayerischen und hessischen Betrieben erwartet. Nun liegt sie vor. Wie das bayerische Umweltministerium, in dessen Auftrag sie erstellt worden war, mitteilte, gebe es keine neuen Aussagen. Ein Gefährdungs-Szenario sei nicht erkennbar. Am besten wären neue Untersuchungen. Experten vermuten, dass man sich in Wahrheit drücken wolle. Zeit gewinnen laute die Devise. Oder, wie es ein Sprecher des bayerischen Gemeindetages formuliert hat: „Die geben Studien in Auftrag und stellen sie hinterher bei sich in den Schrank.“

Auffällig ist, dass das Münchener Ministerium konfus reagiert. Hätte die Studie eine begründete Entwarnung enthalten, dann wäre diese garantiert lauthals verkündet worden. So jedoch gibt man sich wortkarg. Eine Pressekonferenz wurde kurzerhand abgesagt; nur eine Kurzfassung der Studie erschien auf der Homepage des Ministeriums (www.bayern.de/stmlu/aktuell/index.htm). Zudem wurde eine Zusage an einen an der Studie beteiligten Wissenschaftler, Teilergebnisse auf einer veterinärmedizinischen Tagung in Freiburg vorzustellen, ebenfalls zurückgezogen * Redeverbot, anders kann man das kaum nennen.

Dies alles lässt auf brisante Passagen in der Studie schliessen, deren Langfassung, im Gegensatz zur verharmlosenden Pressemitteilung, Details mit Sprengsatzwirkung enthält. Zum Beispiel: auffällige Verhaltensweisen * Verhaltensstörungen infolge erhöhter Erregungszustände * veränderte Futteraufnahme und gestörtes Liegeverhalten (exponierte Tiere vermeiden das Hinlegen und Aufstehen) * vermindertes Wiederkauen als Ausdruck eines eingeschränkten Wohlbefindens. Statistisch hoch abgesichert ist die herabgesetzte Teilungsfähigkeit der Blutlymphozyten. Der Lymphozytenanteil erreichte einen Mittelwert von knapp 40 Prozent, der als deutliche Lymphozytopenie zu werten ist. Die Missbildungsfrequenz betrug 3,27 % (Normalfrequenz 0,2 – 1,0 %), die Abortfrequenz 5,8 % (Normalfrequenz 2,0 %). Die Schwächung des Immunsystems führte zu Auffälligkeiten im Krankheitsgeschehen (acht Kühe starben an septischen Erkrankungen).

Durch statistische Kniffs * im Umweltministerium als „Abstimmung“ bezeichnet * wurden diese Ergebnisse an die Signifikanzgrenze heruntergerechnet. Missbildungen und Aborte wurden pauschal möglichen BVD-Erkrankungen zugeordnet, ohne zu unterscheiden (zumindest in der abgestimmten Endfassung), ob es sich um Antikörper akuter BVD-Erkrankungen, durchseuchter Betriebe oder prophylaktischer Schutzimpfungen handelte. Wie sagte Umweltminister Werner Schnappauf? „Der Verbraucherschutz liegt uns sehr am Herzen.“ Das kann er nicht ernst gemeint haben.

Fakt ist, die Studie schliesst insgesamt mögliche Auswirkungen durch elektromagnetische Felder nicht aus. Wo bleibt dann das Verbot zum weiteren Ausbau der Mobilfunktechnik? In England gibt das Gesundheitsministerium inzwischen zu, dass die Funkwellen der Handys Kinder krank machen können. Verpackungen müssen mit Warnhinweisen versehen werden. Auch Bundesgesundheitsministerin Fischer empfiehlt den Kids, nicht ohne Not zum Handy zu greifen, da eine Gesundheitsgefährdung nicht auszuschliessen sei. Ihr Vorgehen war im Falle BSE allerdings entschieden resoluter. Der Schutz jedes einzelnen Bürgers jedenfalls steht im Vordergrund. Das Problem ist nur: Die rund 40 Millionen deutschen Handybenutzer wissen zu wenig von den Risiken, weil so gut wie nie darüber berichtet wurde. Und die Mobilfunklobby tut nichts und die Politik tut – noch – zu wenig, dass sich daran irgendetwas ändert.

Karl Schweinberger

Fragen an Dr. Christoph Wenzel

Dr. Christoph Wenzel, Fachtierarzt für Verhaltenskunde, untersuchte in der für die Rinderstudie gebildeten Arbeitsgruppe unter Prof. Dr. Jürgen Unshelm, Universität München, das Verhalten der Rinder unter Mobilfunk-Exposition.

? Sie und Ihre Wissenschaftskollegen haben offensichtlich brisantes Material zusammengetragen. Wurden in den öffentlichen Verlautbarungen seitens des Umweltministeriums die Ergebnisse verharmlost bzw. entschärft?

Die Bewertung und die Interpretation müssen kritisiert werden. Der Auftraggeber ist offensichtlich überfordert, die Deutlichkeit der Forschungsergebnisse zu werten…

? …und gibt trotzdem Entwarnung?

In einer achtstündigen Expertenrunde haben wir uns auf den gemeinsamen Nenner geeinigt: Es darf keine Entwarnung geben. Genau dies ist aber im Abschlusskommuniqué gestrichen worden.

? Haben wir es da mit einem Skandal zu tun?

Dies zu beurteilen überlasse ich Ihnen. Die Darstellungen in der Öffentlichkeit sind jedenfalls nicht korrekt. Das Verhalten von Tieren ist ein sehr sensibler Parameter, daher zeigen die Ergebnisse der Studie einen deutlichen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und dem Organismus.

? Was ist also zu tun?

Wir gehen mit einer gefährlichen Geschichte um. Unsere Ergebnisse sollten daher die Verantwortlichen in Politik und Industrie zu einer entschiedenen Reaktion veranlassen.

Wenzel ist einer der Wissenschaftler, die vom Münchener Umweltministerium den Auftrag erhalten haben, der Frage nachzugehen, ob Mobilfunk gesundheitsschädlich sei. Insbesondere sollte geprüft werden, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen der Strahlung von Mobilfunk-Antennen und der Gesundheit von Rindern gebe. Zwei Jahre lang wurden mit staatlichen Geldern und mit Unterstützung von vier Mobilfunkbetreibern unter Federführung der Universitäten München (Prof. Dr. Jürgen Unshelm) und Giessen (Prof. Dr. Alexander Herzog) 38 landwirtschaftliche Betriebe in Bayern und Hessen untersucht.

Nachdem letzten Monat dem bayerischen Umweltminister Werner Schnappauf die Studie übergeben worden war, ging dieser am 30. November in einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Dabei wurde deutlich gemacht, dass es „keine neue Aussagen“ in Sachen Mobilfunk-Risiken gebe. Insbesondere seien „keine Auffälligkeiten durch den Einfluss von Mobilfunk“ zu erkennen. Ebensowenig existiere „ein Gefährdungs-Szenario durch Mobilfunk“, wenn auch nicht 100-prozentig auszuschliessen.

Dagegen verwahrt sich Wenzel im Magazin „Leben auf dem Land“ (einer im Landleben Verlag in Hannover bzw. München erscheinenden Monatsbeilage verschiedener deutscher agrarischer Fachzeitungen). Wenzel, der der Arbeitsgruppe von Prof. Unshelm angehört hat, kritisiert nicht nur die Bewertung und die Interpretation der Studie, indem er – im Gegensatz zu den Verlautbarungen des Umweltministeriums – herausstellt, dass die Ergebnisse der Studie sehr wohl „einen deutlichen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und dem Organismus der Tiere zeigen“. Er macht zudem darauf aufmerksam, dass in einer achtstündigen Expertenrunde die Beteiligten sich auf den gemeinsamen Nenner geeinigt hätten, es dürfe keine Entwarnung geben. „Genau dies ist aber“, so Wenzel in dem Interview, „im Abschlusskommuniqué gestrichen worden.“

Der Wissenschaftler resümiert – abermals im Widerspruch zu Minister Schnappauf – direkten und raschen Handlungsbedarf: „Wir gehen mit einer gefährlichen Geschichte um. Unsere Ergebnisse sollten daher die Verantwortlichen in Politik und Industrie zu einer entschiedenen Reaktion veranlassen.“ Begleitet werden Wenzels Aussagen von einem kritischen Report des Münchener Fachredakteurs Karl Schweinberger*) , der wichtige Hintergrundinformationen zur Gefährlichkeit des Mobilfunks für Mensch und Tier zusammengetragen hat („Leben auf dem Land“, Nr. 1/2001, Seite 20-21).

*) Karl Schweinberger ist mit der ganzen Problematik sehr gut vertraut, er hat an der Salzburger Konferenz teilgenommen, wo wir ihn kennen gelernt haben.(H,-U. Jakob u. L. Gaigg)

Von Hans-U. Jakob

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