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Welche Gefahren birgt die mobile Kommunikation?

Welche Gesundheitsgefahren birgt die mobile Kommunikation?

Dr. med. Gerd Oberfeld Referent für Umweltmedizin der Österreichischen Ärztekammer Umweltmediziner des Landes Salzburg im Aerztemagazin 6/2005

Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen belegen seit Jahrzehnten, dass neben Stromschlägen und Hitzewirkungen eine Vielzahl weiterer biologischer und gesundheitlicher Folgen des Elektrosmogs besteht. Die meisten Ärzte – und bis vor wenigen Jahren ich selbst –
wussten davon nichts. Ausgelöst durch die Diskussionen um Auswirkungen von Mobilfunksendern, Mobiltelefonen und DECT-Schnurlostelefonen wird nun nach und nach bewusst, wie dieses Thema von den massgeblichen Kreisen der Industrie heruntergespielt wird. Doch immer mehr Menschen klagen über zum Teil schwerwiegende Gesundheitsprobleme, die sie Mobilfunksendeanlagen zuschreiben. Dazu zählen Kurzzeitgedächtnisstörungen, Gefühl einer inneren Unruhe, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Antriebslosigkeit, Energiemangel, Schlafstörungen etc. Diese Beschwerden decken sich mit den wissenschaftlichen Untersuchungen zu hochfrequenten Strahlen. Im folgenden Beitrag werden epidemiologische Befunde zu Mobilfunksendeanlagen vorgestellt und kommentiert, da solche Befunde einen unmittelbaren Überblick über auftretende Symptome
ermöglichen. Diese Ergebnisse werden durch Arbeiten zu Expositionen bei Radar- und Rundfunkanlagen unterstützt.

So genannte „negative Studien“
Untersuchungen zu Wirkungen der Mobiltelefone zeigen u.a. erhöhte Risiken für gewisse Kopftumoren. Als Gegenargument wird hier häufig eine unzureichende Evidenz aus Tierversuchen angeführt, doch es lohnt sich, jene Studien genauer anzusehen. Eine Analyse der so genannten negativen Langzeitstudien von mit Hochfrequenz bestrahlten Versuchstieren zeigte generell erhöhte Tumorrisiken. Da die Zahl der Versuchstiere jedoch meist um den Faktor 2 zu gering war, ergaben sich keine signifikanten Ergebnisse, was dann oft fälschlich als „negative Studien“ dargestellt wurde. Tierversuche zeigen zudem, dass es nach zwei Stunden Bestrahlung mit 2.450MHz zu Einzel- und Doppelstrangbrüchen bei Chromosomen kommt (diese konnten durch Verabreichung von Melatonin verhindert werden). Damit ist der Begriff der unschlüssigen Evidenz bei Tierversuchen als obsolet anzusehen.

Auch wenn die Exposition beim Mobiltelefon deutlich höher ist als bei Mobilfunk- Basisstationen, zeigen sich derzeit die massiveren Auswirkungen bei letzteren. Der Hauptgrund dafür liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in der längeren Expositionsdauer und der fehlenden Erholungsmöglichkeit für den Organismus.

1.Technische Eigenschaften
Mobilfunk-Basisstationen senden derzeit für GSM im Bereich 935-960MHz und 1.805- 1.880MHz sowie bei UMTS im Bereich 1.920-2.170MHz. Die abgestrahlten elektromagnetischen Wellen pflanzen sich im Raum fort und haben quasioptische Eigenschaften wie Reflexion an hochleitfähigen Oberflächen oder Beugung an Kanten.

1.1 Expositionswerte
Neben der elektrischen Feldstärke in V/m wird die Exposition als Leistungsflussdichte in W/m2 bzw. ?W/m2 angegeben. In Gebäuden ist je nach Baumaterial und der Lage zur Antenne die Exposition im Mittel um den Faktor 10 geringer als im Freien. Bei Metallfassaden mit Wärmeschutzgläsern findet sich eine Reduktion bis zum Faktor 1.000. Bei Dachwohnungen mit Ziegel- oder Eterniteindeckung ohne Aludampfbremse findet sich keine relevante Dämpfung. Die Expositionen für GSM Einstrahlungen von Basisstationen streuen daher in einem weiten Bereich von einigen 100mW/m2 bis unter 0,01?W/m2. Ein Grossteil der Wohnungen in Österreich hat Expositionswerte im Bereich von 0,1-1.000?W/m2.
(oder 0.006-0.61V/m)

1.2 Andere Quellen
Hochfrequente elektromagnetische Wellen werden u. a. auch von Rundfunk- und Fernsehsendern, Mobiltelefonen, Schnurlostelefonen (CT1, DECT/GAP), Bluetooth, WLAN, Radaranlagen, Richtfunk und Mikrowellenherden abgestrahlt.

2. Wirkungsuntersuchungen
In einer Zusammenstellung von Arbeiten zur Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Wellen (Sage C, 2000) wird die Evidenz für schädliche Auswirkungen in folgenden Bereichen dargestellt: Effekte auf das genetische Material (DNA), chromosomale Schäden und Mikrokern-Bildung, Effekte auf die Ornithindecarboxylase (ODC), Gentranskription und -induktion, Stressreaktion (Hitzeschockproteine), Effekte auf zellulärer Ebene (Kalzium-Ionen), zelluläre Effekte am Immunsystem, Blut-Hirn-Schranke, Blutdruck, Geschlechtsorgane, Kanzerogenese, subjektive Symptome bei Benutzern von Mobiltelefonen, neurologische Effekte, Störungen bei Neurotransmittern, Augenschädigungen, Verhaltensänderungen, Lernfähigkeit/Gedächtnis, kognitive Funktionen und Schlaf.

Wahrscheinliches Krankheitsrisiko.
Auf der Basis der vorhandenen Literatur zu elektromagnetischen Wellen kommt Neil Cherry zu dem Schluss, dass elektromagnetische Strahlung etwa von Mobilfunksendeanlagen ein wahrscheinlicher Risikofaktor für nachfolgende Krankheiten ist: Krebs (insbesondere
Gehirntumoren und Leukämie, aber auch andere Krebsarten), Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkte, neurologische Effekte inklusive Schlafstörungen, Lernschwierigkeiten, Depressionen und Suizide, Fehlgeburten und Fehlbildungen (Cherry N, 2000).

3. Studien zu Mobilfunksendeanlagen
Zur Frage des Zusammenhangs zwischen Mobilfunk-Basisstationen und direkten Gesundheitseffekten gibt es derzeit zumindest fünf epidemiologische Arbeiten sowie eine experimentelle Arbeit zur Kurzzeitexposition.

3.1 Entfernungsabhängige Beschwerden
Ein Fragebogen zu 18 unspezifischen Krankheitssymptomen wurde an Personen versendet, die sich auf einen Aufruf zur Teilnahme hin gemeldet hatten (Santini R, 2002). Die dabei verwendete Selbstselektion führt dazu, dass sich eher Personen melden, die Beschwerden
durch Mobilfunksendeanlagen vermuten. Dies hat den Nachteil, dass eine Übertragung auf die Gesamtbevölkerung quantitativ nicht möglich ist. Es schafft jedoch den Vorteil, dass Effekte eher entdeckt werden. Das mittlere Alter betrug 46 Jahre (n=530). Es zeigte sich eine
Zunahme der unspezifischen Symptome mit der selbst eingeschätzten Nähe zum Mobilfunksender für Müdigkeit, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, depressive Tendenzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisverlust und Schwindel.

Die gut sichtbare Zunahme der Beschwerdehäufigkeit in der Entfernungsklasse 50-100m deckt sich mit dem ebenfalls häufig in diesem Entfernungsbereich auftretenden Feldstärkemaximum in städtischen Bereichen. Damit konnte gezeigt werden, dass die Beschwerden eine physikalische Ursache, nämlich die elektromagnetische Strahlung der Anlage, haben.

3.2 Effekte innerhalb kurzer Zeit
In einer Querschnittstudie wurden in Kärnten und Wien Personen untersucht, die länger als ein Jahr in der Nähe einer Mobilfunk-Basisstation lebten (Hutter H.P., 2002). Die Exposition der Studienteilnehmer wurde frequenzselektiv im Schlafzimmer gemessen (n=336).
Das Maximum für die Summe der GSM-Mobilfunkbänder betrug 1400?W/m2. (0.7V/m)

Unabhängig von möglichen Befürchtungen der Anwohner wurden signifikante Zusammenhänge zwischen der Leistungsflussdichte des GSM-Mobilfunks und Herz- Kreislauf-Symptomen wie Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Herzpochen/Herzjagen, Kopfschmerzen, rasche Erschöpfung, kalte Füsse und Schwindelgefühl gefunden
Die Symptome traten bei Expositionswerten über 50?W/m2 (0.14V/m) auf. Die Auswahl der Studienteilnehmer erfolgte repräsentativ ohne Selektion einer besonders empfindlichen Gruppe. Das bedeutet, dass die gefundenen Effekte repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind und so stark sind, dass sie bereits innerhalb kurzer Zeit sichtbar werden.

3.3 Basisstationen schädlich
In einer Querschnittstudie in La Nora, Murcia, Spanien, wurden Anwohner im Umfeld zweier GSM-Basisstationen untersucht (Navarro EA, 2003). Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte über Selbstselektion. Der verwendete Fragebogen war mit dem von Santini identisch. Die Leistungsflussdichte wurde breitbandig (400- 3.000MHz) über dem Bett gemessen. Die Spektrumanalyse ergab die Dominanz zweier GSM-900/1.800 MHz-Basisstationen. Eine Aufteilung der Exponierten in eine Gruppe mit einer Entfernung von < 250m (mittlere Exposition 100?W/m2 = 0.2V/m) und eine Gruppe mit einer Entfernung > 250m Distanz (mittlere Exposition 1.100?W/m2 = 0.64V/m) zur Basisstation (n=101) zeigte für acht Symptome einen signifikant höheren Score in der Gruppe mit der höheren Feldstärke: Gereiztheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Appetitverlust, Unwohlsein, Schlafstörung, Depression, Schwindelgefühl.

3.4 Mehr Beschwerden durch UMTS
Bei dieser Studie wurden im Doppelblind- Ansatz Teilnehmer einzeln in einer geschirmten Expositionskammer gegenüber hochfrequenter Strahlung exponiert (Zwamborn APM, 2003). Die Exposition der Probanden betrug 2.650?W/m2. (1V/m) Dies entspricht der Exposition im
Hauptstrahl einer typischen Mobilfunk-Sektorantenne in einer Entfernung von etwa 125m. Von den drei Signalen (GSM 900MHz, GSM 1.800MHz, UMTS 2.100MHz) wurden pro Proband nur jeweils zwei Signale verwendet sowie eine Plazebophase. Die Einwirkzeit des
Feldes betrug 15 Minuten mit einer Pause von 30 Minuten.
Es wurden zwei Gruppen zu je 36 Personen untersucht: Gruppe A hatte bereits gesundheitliche Probleme durch Mobilfunk-Sendeanlagen, Gruppe B durfte keine Beschwerden haben. Beide Gruppen erhielten einen Fragebogen mit 23 Einzelfragen zu ihrem Wohlbefinden.

Beim Summenscore über alle Fragen (Q1-Q23) zeigte sich bei der Exposition gegenüber dem UMTS-Signal bei beiden Gruppen eine signifikante Zunahme der Beschwerden. Bei der Gruppe B erhöhte sich der Summenscore von 2,44 (Plazebo) auf 3,08 (UMTS), bei der
Gruppe A von 7,47 (Plazebo) auf 10,75 (UMTS). Bei den 23 Einzelfragen zum Wohlbefinden zeigte sich bei der Gruppe A bei 8 Fragen bei UMTS gegenüber Plazebo eine signifikante Verstärkung des Beschwerdegrades: Angegeben wurden Schwindel; Nervosität;
Brustschmerzen oder Atemwegsbeschwerden oder das Gefühl, nicht genug Luft zu haben; dass sich Körperteile taub oder kribbelnd anfühlen; dass sich Teile des Körpers schwach anfühlen; sich nicht konzentrieren zu können; leicht zerstreut zu sein; wenig Aufmerksamkeit für etwas zu haben.

3.5 Gefährdete Gruppe
Die oben angeführte Studie von Navarro wurde vom Autor dieses Beitrages mittels logistischer Regression (n=94) auf individueller Ebene analysiert (Oberfeld G, 2004). Es fanden sich signifikante Beziehungen zwischen den gemessenen Feldstärken und 13 Symptomen in einer Expositions-Wirkungs- Beziehung. Die von den Studienteilnehmern geschätzte Entfernung zwischen Wohnung und Mobilfunksender wurde als Mass für mögliche Befürchtungen ins Modell aufgenommen und änderte das statistische Modell kaum.

Auch diese Daten sind aufgrund der Selbstsektion quantitativ nicht auf die Gesamtbevölkerung übertragbar. Sehr wohl sind die Ergebnisse jedoch auf eine nicht näher quantifizierbare Gruppe innerhalb der Bevölkerung übertragbar, die unabhängig von möglichen Befürchtungen erhebliche Störungen des Wohlbefindens und der Gesundheit, bedingt durch die Einstrahlung von Mobilfunk-Sendeanlagen, erleidet.

3.6 Mammakarzinom als Marker
Eine von niedergelassenen Ärzten in der Stadt Naila, Deutschland, durchgeführte Studie zeigte im Nahbereich einer GSMMobilfunkanlage (0-400m) gegenüber dem Fernbereich (>400m) nach 5 Jahren Exposition eine signifikante Zunahme der Malignominzidenz um das
Dreifache sowie ein um 8,5 Jahre geringeres Erkrankungsalter. Auffällig war insbesondere das Mammakarzinom, das als mögliches Markerkarzinom für elektromagnetische Wellen angesprochen wird (Eger H, 2004).

4. Zielwertaspekte & Schutzmassnahmen
Biologische und gesundheitliche Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Wellen sind unabhängig vom thermischen Wirkprinzip, das die Basis der Empfehlungen von ICNIRP („International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection“) und WHO darstellt, als
bewiesen anzusehen. Die Forschung sollte vordringlich die Frage der Expositions-Wirkungs- Beziehungen bei den verschiedenen technischen Anwendungen und Signalformen im Niedrigdosisbereich, der Kombinationswirkungen mit elektrischen und magnetischen
Wechsel- und Gleichfeldern bzw. der Etablierung weiterer Wirkmechanismen und vor allem verträglicher Alternativen beantworten.

Zum Schutz der individuellen und öffentlichen Gesundheit werden basierend auf dem heutigen Kenntnisstand aus wissenschaftlichen Daten und Empirie folgende Zielwerte und Schutzmassnahmen vorgeschlagen:

*GSM-Sendeanlagen für die Summe im Freien 10?W/m2,(0.06V/m) in Innenräumen 1?W/m2 (0.02V/m).

*DECT-Basisstationen, WLAN-Sender, Bluetooth-Sender und UMTS-Basisstationen sollten zumindest um den Faktor 10 strenger bewertet werden.

*Schnurlos- und Mobiltelefone sollten generell nur für wichtige und dringende Gespräche verwendet werden.

*Kinder und Jugendliche sollten Schnurlos- und Mobiltelefone wenn überhaupt, dann nur für Notfälle verwenden.

Eine vertiefte Befassung mit dieser Thematik wird dem interessierten Laien wie auch insbesondere Planern, Architekten, Ärzten, Behörden und Entscheidungsträgern empfohlen.

Weitere Informationen:
http://www.salzburg.gv.at/umweltmedizin

(verantwortlich für die Umrechnungen in V/m: Hans-U.Jakob, Gigaherz.ch)

Von Hans-U. Jakob

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