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Retourkutsche oder Mistkarren

Retourkutsche oder Mistkarren?

Nachdem praktisch keine Kantone mehr Baubewilligungen für Mobilfunkantennen erteilt hatten, war mit einer Retourkutsche des Bundes, welcher schliesslich Hauptaktionär der Swisscom ist, zu rechnen. Dass diese auf so primitive, stümperhafte Art ausfallen würde, war allerdings nicht abzusehen.

Hans-U. Jakob, 17.1.06

Nachdem das Bundesgerichtsurteil 1A.160/2004 vom 10.3.05 seit 6 Monaten in Rechtskraft stand, ohne dass irgendeine Behörde oder ein Mobilfunkbetreiber nur einen Finger krumm gemacht hätte, begann Gigaherz, den Bewilligungsinstanzen mit Strafverfahren gemäss Art 312 StGb zu drohen. Dieser lautet:

Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, oder einem andern einen Nachteil zuzufügen, werden mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

Dann ging es plötzlich ganz schnell. Einzelne Kantone verfügten einen sofortigen Bewilligungsstopp für den Antennenbau. Andere führten diesen ohne grosses Aufheben stillschweigend ein. Nur gerade beide Basel und Zürich stellten die Ohren auf Durchzug.

Denn das Bundesgerichtsurteil lautete klar und deutlich:

Zitat: Die Sendeleistung der Mobilfunkstationen kann vom Netzbetreiber mittels Fernsteuerung reguliert werden, allerdings nur bis zur Maximalleistung der verwendeten Senderendstufen (vgl. BGE 128 II 378 E. 4.2 S. 380). Ist die im Standortdatenblatt deklarierte ERP niedriger als die maximale Strahlungsleistung der Anlage, so besteht keine Gewähr dafür, dass die Grenzwerte im Betrieb tatsächlich eingehalten werden, da die Strahlungsleistung jederzeit mittels Fernsteuerung erhöht werden könnte. Die Anwohner von Mobilfunkanlagen haben jedoch ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Einhaltung der NIS-Grenzwerte durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen gewährleistet wird. Zitat Ende

Ab dem 10.3.05 hätten die Mobilfunkbetreiber in ihren Baugesuchen unter Sendeleistung in Watt ERP keine Phantasiezahlen mehr einsetzen dürfen, die den Betrieb einer unzulässig angebrachten Antenne noch gerade ermöglicht hätte, sondern die Maximalleistung der verwendeten Senderendstufen, multipliziert mit dem Antennengewinn abzüglich der Kabelverluste. Diese Maximalleistung ist in den meisten Fällen bis zu einigen Zehnerfaktoren höher als die jeweils in den Standortdatenblättern deklarierte Leistung.

Auch die fernsteuerbaren Neigungswinkel der Antennen hätten richtig deklariert werden müssen.
Bisher war es den Betreibern freigestellt, beim elektrischen Neigungswinkel ebenfalls eine passende Phantasiezahl zu deklarieren, welche den Betrieb einer gefährlich angebrachten Antenne noch gerade erlaubt hätte. Auch dieser Mogelei machte das Bundesgericht den Garaus.
In verschiedenen Instruktionen an kantonale Instanzen legte das Bundesgericht fest, dass hier neu mit dem vollen möglichen Winkel gerechnet werden müsse, welcher der Antennenhersteller in seinen Datenblättern angibt und nicht mit dem vom Betreiber in der Bauausschreibung deklarierten Phantasiewert.

Zur Erinnerung: Das Bundesgericht verlangte objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen, also klare Hardwareanpassungen an den Antennen und Senderendstufen.
Weiter sagte das Bundesgericht: Wird von diesem Grundsatz abgewichen, und der Betrieb der Anlage mit einer niedrigeren als der maximalen ERP der Anlage bewilligt, muss im Baubewilligungsentscheid begründet und dargelegt werden, wie die Einhaltung der bewilligten ERP gewährleistet werden kann.

ERP = Equivalent radiatet Power oder äquivalent abgestrahlte Leistung

Mit dieser Darlegung meinte das Bundesgericht unseres Erachtens eindeutig die Verwendung von Leistungsbegrenzern an den Senderendstufen und den Einbau von Winkelbegrenzern an den Antennen.
Beide Punkte wurden von den Mobilfunkbetreibern als technisch nicht machbar bezeichnet, was in die Schublade der unbewiesenen Parteibehauptungen eingeordnet werden muss. Denn jetzt wäre es für die ehrenwerten Mobilfunkgesellschaften sehr eng geworden, weil sämtliche Mogeleien damit unterbunden worden wären.

Statt dessen kommen nun mit Rundschreiben vom 16. Januar 06 einmal mehr falsche Töne aus BAFU (BAFU = Bundesamt für Umwelt, früher BUWAL.)

Zitat: Das BAFU will dazu beitragen, die Kontrollierbarkeit der NIS-Emissionen von Basisstationen zu verbessern. Auf Vorschlag einer Expertengruppe aus Vertretern der kantonalen und kommunalen NIS-Fachstellen, des BAKOM und BAFU empfiehlt das BAFU, die zweite vom Bundesgericht genannte Option zu verfolgen und diese in Form eines Qualitätssicherungssystems (QS-System) der Netzbetreiber umzusetzen. Wir empfehlen den Vollzugsbehörden, dabei nicht nur fernsteuerbare Parameter, sondern sämtliche Bauteile und Einstellungen, welche die NIS-Emissionen beeinflussen, einzubeziehen. Der Netzbetreiber kann damit die Einhaltung der bewilligten Sendeleistung und -richtung gegenüber der Behörde lückenlos belegen. Die Behörde ihrerseits verfügt über die notwendigen Informationen, um dies zu kontrollieren.

Hier muss schon einmal klargestellt werden, dass das Bundesgericht gar nie von dieser zweiten Option gesprochen hat, sondern dass diese einem Wunschdenken des BAKOM und des BAFU entspricht. Um den technisch nicht versierten Leser auf dem Laufenden zu halten, muss ferner klargestellt werden, dass das BAFU mit Qualitätssicherungssprogramm ein Computerprogramm meint, welches angeblich in die Steuerzentralen der Mobilfunkbetreiber eingebaut werden soll. Und wie dieses angeblich zu funktionieren hat, wird vom BAFU wie folgt beschrieben:

Zitat: Das QS-System muss über eine automatisierte Überprüfungsroutine verfügen, welche einmal pro Arbeitstag die effektiv eingestellten ERP und Senderichtungen sämtlicher Antennen des betreffenden Netzes mit den bewilligten Werten bzw. Winkelbereichen vergleicht.
Festgestellte Überschreitungen eines bewilligten Wertes werden innerhalb von 24 Stunden
behoben, sofern dies durch Fernsteuerung möglich ist, andernfalls innerhalb einer Arbeitswoche.
Stellt das QS-System solche Überschreitungen fest, wird automatisch ein Fehlerprotokoll
erzeugt. Die Fehlerprotokolle werden der Vollzugsbehörde alle zwei Monate unaufgefordert zugestellt und mindestens 12 Monate aufbewahrt.

Herrlich: Die ehrenwerten Mobilfunkgesellschaften überwachen sich einmal mehr selber. Allfällige Ueberschreitungen müssen sie mittels Fehlerprotokoll alle 2 Monate den Vollzugsbehörden unaufgefordert zustellen. Wenn man bedenkt, wie einfach es für einen Fachkundigen ist, eine Exel-Tabelle zu fälschen oder einen eingestellten Sollwert, welcher zu einer Fehlermeldung führt, einfach mittels Bildschirm und Tastatur hinaufzuschrauben oder zu unterbinden, stehen dem Fachmann alle noch verbliebenen Haare zu Berge.

Als Kontrolle hat das BAFU Folgendes im Visier:

Zitat: Das Qualitätssicherungssystem muss von einer unabhängigen, externen Prüfstelle periodisch auditiert werden. Eine Akkreditierung dieser Prüfstelle für die Durchführung von Audits ist erwünscht. Die Auditberichte sind den Vollzugsbehörden und dem BAKOM vorzulegen. Die Netzbetreiber gewähren den Vollzugsbehörden uneingeschränkte Einsicht in die QS-Datenbank. Ende Zitat

Eine externe Prüfstelle, die noch gar nicht existiert und aus Kostengründen auch gar nie bewilligt werden wird, soll also praktisch 26’000 Mobilfunkantennen im Land überwachen?? Sehr schön auch die neuen Worterfindungen wie Auditis. Tönt irgendwie nach einer neuartigen Krankheit.

Zitat: Implementierung
Das unter Ziffer 3 beschriebene QS-System soll von allen Betreibern von Netzen für Mobilfunk und drahtlose Teilnehmeranschlüsse implementiert werden.
Die Realisierung der vorgeschlagenen QS-Systeme erfordert Aufwand und Zeit. Bis diese
Systeme operationell sind, ist deshalb für die bestehenden Netze eine Übergangsregelung
nötig. Das BAFU unterstützt den diesbezüglichen Vorschlag der Expertengruppe, welcher
eine Übergangsphase von einem Jahr vorsieht. Nach dieser Übergangsphase sollen die QS-Systeme implementiert, auditiert und sämtliche Basisstationen eingebunden sein.
Baugesuche eines Netzbetreibers, der sich zur Implementierung eines QS-Systems innert Jahresfrist verpflichtet, können so, wie von der Expertengruppe vorgeschlagen, ab sofort behandelt und bewilligt werden. Ende Zitat

Für technisch weniger Versierte: Implementiert heisst: eingebaut, ausgeprüft und in Betrieb genommen.

Katastrophal hingegen ist, dass Mobilfunkantennen ab sofort wieder bewilligt werden sollen, sobald von der ehrenwerten Mobilfunkgesellschaft eine Unterschrift vorliegt, man werde das noch gar nicht vorhandene System innert Jahresfrist einführen, pardon implementieren.

So geht das natürlich überhaupt nicht.
1) Das Bundesgericht hat in seinem Urteil 1A.160/2004 vom 10.3.05 nicht im Entferntesten von einer Softwarelösung gesprochen. Und schon gar nicht von einer Lösung die noch gar nicht existiert und für welche noch gar keine Stellen bewilligt sind.

2) Das Bundesgericht hat in mehreren Urteilen festgehalten, dass unkontrolliertes Abstrahlen auch während Uebergangsfristen nicht geduldet wird, da einmal abgegebene Strahlung nicht mehr zurückgesogen werden könne.

3) Das BAFU (früher BUWAL) hat keinerlei Weisungsbefugnisse, sondern nur Beraterfunktion.
Es ist also kein Kanton, keine Gemeinde, kein Beschwerdeführer und erst recht keine Schutzorganisation (wie Gigaherz) verpflichtet, diesen vom BAFU mit Hilfe der Mobilfunkbetreiber kreierten Unsinn ernst zu nehmen.

4) Baubewilligungsbehörden sind vielmehr dazu angehalten, ihren verfassungsmässigen Auftrag, die Bevölkerung vor gesundheitsschädigenden Einflüssen zu schützen, in die Tat umzusetzen und weitere Baubewilligungen für Mobilfunkantennen abzulehnen. Die vom BAFU verbreiteten Richtlinien zeigen erneut, wes Geistes Kinder dort das Sagen haben.

5) Baubewilligungsbehörden, die das Bundesgerichtsurteil 1A.160/2004 vom 10.3.05 nach BAFU-Art interpretieren, begehen Amtsmissbrauch gemäss Art 312 StGb. (Siehe am Anfang)

6) Wegen Falschdeklarationen blockierte Baubewilligungsverfahren sind nun keineswegs deblockiert, wie verschiedene mobilfunkfreundliche Tageszeitungen, wie etwa der Berner Bund behaupten. Dank dem vorliegenden dubiosen Rundschreiben des BAFU, haben Gemeinden erst recht guten Grund, keine Antennen mehr zu bewilligen.

Die Vorgeschichte:

Neuer Mustereinsprachetext, ab Nov.05 (unter Recht oder Unrecht)

Bern: Antennenbaustopp nun auf dem ganzen Kantonsgebiet (unter Historisches)

Bern zieht als erste Gemeinde die Notbremse (unter Historisches)

Regierung des Kantons Wallis stoppt UMTS-Ausbau (unter Historisches)

Das Bundesgericht baut uns eine Notbremse (unter Recht oder Unrecht)

Von Hans-U. Jakob

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