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Mess-Orte an Miss-Orten

Mess-Orte an Miss-Orten

Drei Jahre lang wurde gestritten um die geplante Antenne auf der Brauerei Baar. Die Juristen nähr-ten lange und redlich ihre Familien. Streitpunkt: lässt sich UMTS-Strahlung so messen, wie es die NISV vorschreibt ? Wir haben verloren, die Antenne ist in Betrieb. Aber jetzt, wo man diese famose UMTS-Messung wirklich demonstrieren muss – welch Zufall, jetzt will Orange nicht mehr UMTS senden! Es entfällt deshalb die UMTS-Messung. Hat jemand kalte Füsse bekommen ? Gibt es die Messgeräte noch gar nicht ?

Von André Masson, Baar 24.5.04

Vor der Baubewilligung wird gerechnet – nach der Betriebsaufnahme wird gemessen. Drei Jahre lang war das Motto zu „unserer“ Brauerei-Antenne: Weder durch Rechnung noch durch Messung kann gezeigt werden, ob die Grenzwerte erfüllt sind oder nicht. Dass die Rechnung ohne grosse Aussagekraft bleibt, haben wir Bundesrat Leuenberger zu verdanken; er hat die fachlich begründete Forderung des BUWAL nach einer strengeren Rechnung (Faktor zwei) mit einer politischen Handbewegung vom Tisch gewischt: Gerechnet wird nur der Mittelwert – alle Spitzenwerte durch die immer vorhan-denen Reflexionen bleiben unberücksichtigt.

„Es kommt dann bei der Messung aus, wenn Reflexionen zu hohe Werte erzeugen.“
Das war stets der Glaubenssatz und letzte Strohhalm der Behörden. Hier wird gezeigt, dass auch die Messun-gen nicht taugen, um die Einhaltung der Grenzwerte zu belegen: weil man sie am falschen Ort macht. Die amtliche Messung in Baar soll bereits erfolgt sein, wir kennen die Zahlen noch nicht. Man hat dort gemessen, wo die Strahlung ausgesprochen klein ist. Ringsherum wäre sie grösser, aber da misst niemand. Eine unglückliche Verstrickung zwischen Rechnung und Messung bestimmt die Auswahl der Orte, an denen gemessen wird. Das sind oft sehr ungünstige Orte. Genauer: günstig sind sie schon – aber nur für die Mobilfunkfirmen, nicht für die Anwohner.

Die 15 dB-Einschränkung des BUWAL ist sinnvoll, aber nur für die Berechnung. Das BUWAL fordert für Orte, die gerade unter der Antenne liegen, dass nicht die tatsächliche Leistung eingesetzt wird. Vielmehr muss man mit einer Minimal-Abstrahlung rechnen, welche die Antenne viel-leicht gar nicht erbringt. Gegenüber der Leistung in der Hauptstrahlrichtung soll man 15 dB abschwächen (entspricht einem Faktor 31.6 in der Leistung, Faktor 5.6 in der Feldstärke), und das gibt die minimale Leistung unter der Antenne, die zu Rechenzwecken nicht unterschritten werden darf. Es geht um Nebenkeulen, die ev. nicht genau bekannt sind. Mit dieser 15 dB-Regelung liegt die Rechnung auf der sicheren Seite: Strahlt die Antenne weniger ab nach unten, so hat man weniger Strahlung im Zimmer als errechnet. Man sagt, die Rechnung sei konservativ, oder pessimistisch.

Wo wird nach Inbetriebnahme der Antenne gemessen ? An denjenigen Orten, wo die berechnete Strahlung 80% der Limiten übersteigt. Und da äussert sich die 15 dB-Regel fatal! Für Orte tief unter der Antenne zählt nur noch die Distanz allein, die Winkel spielen wegen der 15 dB-Regel keine Rolle. Je näher der Ort, desto höher wird die gerechnete Strahlung – aber die echte Strahlung bleibt darunter. Wenn die Antenne gut ist, d.h. nach unten wenig abstrahlt, so hat man dort weniger Strahlung als berechnet. Und ausgerechnet an diesen Orten wird gemessen! Die Messung ist jetzt nicht mehr konservativ, man kann nicht mehr viel damit anfangen. Überdeutlich ist dieser Unterschied zwischen echter und fiktiver Strahlung geworden, als das BAKOM in Salzburg Orte mit möglichst hohen Messwerten gesucht hat. Das BA-KOM weiss genau, wo man suchen muss – in viel grösseren Distanzen, als wo die BUWAL-Regeln die Messpunkte bestimmen! Das ist eine direkte Folge der 15 dB-Regel. Ich habe jetzt selber auch BAKOM gespielt: meine eigene Salzbaarg-Studie gibt an, wie viel mal mehr Strahlung es an entfernteren Orten gibt als am Punkt der amtlichen Abnahmemessung.

Die folgenden kursiven Angaben können übersprungen werden, ausser jemand will nachprüfen, wo ich Fehler gemacht habe. Bitte schön, alles ist deklariert. Gehet hin und prüfet….

Situation: Das Silo der Brauerei ist 27 m hoch, darauf steht der 11 m hohe Antennenmast. Amtlich gemessen wird oben auf dem Silo (niemand wohnt dort), sowie an drei Orten östlich, südlich und westlich der An-tenne (Wohnen, Büro), in horizontalen Entfernungen von nur 15 bis 25 m. Die Strahlung geht hoch über diese Orte hinweg! Einzelheiten der Messorte (Schrägdistanzen) wären auf dem Standortdatenblatt nachzulesen, wel-ches erst nach Betriebsaufnahme (!!) erstellt wurde, weil Orange vorher nie die Antennentypen angegeben hat, mit denen sie strahlen wollte. Jetzt, drei Jahre nach der Ausschreibung des Projektes, will der Kanton keine Einsicht in das neue Datenblatt gewähren, denn dafür bestehe keine Rechtsgrundlage mehr… trotz Ziff. 2.4.1 der Vollzugsempfehlung zur NISV, wo ausdrücklich steht, dass das Standortdatenblatt auch nachträglich eingesehen werden darf. Es gibt unsinnige Nebenschauplätze, der Zeitverlust für solchen Chabis ist gewaltig.

Der Sektor West ist flach und wenig überbaut.
Im Sektor Süd steigt das Gelände ab 190 m an.
Der Sektor NE eignet sich infolge komplexer Überbauung schlechter zu solchen Messlinien. – Gemessen wurden zwar alle BCCH, die ja stets strahlen – in den folgenden Zahlen sind aber nur die BCCH der entsprechenden Sektoren enthalten. Die BCCH der anderen Sektoren und weitere Gesprächsfrequenzen werden nicht berücksichtigt. Hochgerechnet wurde gar nichts. Gemessen wurde immer mit MaxHold, Bewegung ca. plus/minus 2 Meter, ca. 20 Sekunden pro Frequenz, alles mindestens zwei mal, höchstens vier bis fünf mal, dann dB-Mittelwert. Keine systematische Suche in der Polarisationsebene. An jedem Messpunkt (ausser beim amtlichen Messpunkt Sektor West, Parterrebüro) bestand direkter Sichtkontakt zu allen Antennen (bei Leihgasse 100 etwas knapp).

Die Vergleichsorte müssen möglichst nahe am Ort der amtlichen Messungen liegen: Im Sek-tor Süd im Treppenhaus Restaurant Brauerei, 3. Stock, also genau dort, wo amtlich gemessen wird (ev. nicht dasselbe Zimmer): Hälftig im Treppenhaus bei offenem Fenster, hälftig mit dem Messgerät in Armlänge ausserhalb des Fensters herumrudernd – weil ich auf der sicheren Seite liegen will. Horizontaldistanz zur Antenne bloss ca. 12 m! Die Süd-Antennen sind knapp sichtbar über dem Dach des Silos. Sektor West: Amtlich wird im Parterre-Büro gemessen. Weil ich auf der sicheren Seite liegen will, messe ich ausserhalb des Büros, direkt vor den Fenstern, je ein Drittel nördlich Büro, südlich Büro, sowie längs der Fensterpassage, stets mit HoldMax, dann gemittelt. Die Antennen aller Sektoren bleiben unsichtbar, abgeschattet durch den Silo selber, genau wie in der amtlichen Messung. Horizontaldistanz nur ca. 12 bis 18 m, viel zu nahe!! Im Sektor Süd war am Vergleichsort die Strahlung im E-Bereich 11 dB, im D-Bereich 9.5 dB höher als im Sektor West (deshalb Überlauf nur im Sektor Süd).

Messgerät: Spektrum-Analyzer (Protek 3201, heute genannt MIT 3201). Gemessen wurde nicht geeicht, d.h. die Ablesung erfolgt nicht in V/m! Die einfache Stab-Antenne wurde immer abgeschraubt; es gab z.T. trotzdem noch Überlauf, weil die Strahlung durch das Plastic-Gehäuse eindringt. Der Vergleich von Ort zu Ort ist auch gültig ohne geeichte Messwerte. (Neben-bei: „richtige“ und anerkannte Firmen haben mit diesem Gerät absolute, ge-eichte Messungen verkauft, was unseriös ist. Wie will man einen Antennenfaktor gebrauchen, wenn es schon ohne Antenne starke Signale bis zum Überlauf gibt – ganz unmög-lich!). Streuung der Messwerte bei direkter Wiederholung: typ. ca. 2 dB, mit etwas Pech auch mehr. Der schnelle Channel Scan musste ausgeschaltet werden; er gab Fehler, verglichen mit der Messung bei fester Frequenz. Vor-Messungen erfolgten am 13. und 14.5. (Frequenzen), Hauptmessungen ausserhalb Häuser am 16.5., in den Wohnungen am 22.-24.5.2004. Gemessen wurde in ca. 1.5 m Höhe. Empfängerbandbreite 100 kHz. In Innenräumen wurde immer 1 m Abstand vom offenen oder geschlossenen Fenster beachtet.

Nun die Resultate der Messungen.
Bei jedem Ort ist angegeben, um wie viel stärker dort die Strahlung ist als beim Ort der amtlichen Messung, angegeben in dB und als direkter Faktor bezüglich der Feldstärke. Faktor 4.2 heisst, am Fussweglein hat man 4.2 mal so viele V/m wie am amtlichen Messort. Es ist egal, dass an der Bushaltestelle niemand wohnt. Hier wird nur gezeigt, in welchen Entfernungen man eigentlich messen müsste bei dieser hohen Antenne: Mit zunehmender Entfernung kommt man besser in die Strahlachse, welche leicht nach unten zielt. Distanzeffekt (Verdünnung) und Näherung an die Strahlachse (Verstärkung) heben sich teilweise auf. Über grosse Distanzbereiche hat man mehr Strahlung als bei den offiziellen Messpunkten!
Im Sektor West gilt für beide Betreiber: Man hat nirgends so wenig Strahlung wie dort, wo amtlich gemessen wird! Der einzige Ausnahmepunkt liegt für 1800 MHz im Azimut arg neben der Achse. Alle Distanzen sind horizontal gemessen.

Sektor West, 1827.2 MHz, Orange, ca. 20° neben E-Achse:

35 m…….Fussweglein…..12.5 dB…..Faktor 4.2 stärker als amtl. Messort
85 m…….Bushaltestelle, ca. 0° neben E-Achse….. 14.5 dB …..Faktor 5.3 stärker
160 m…..Birststr. 22, 2. Stock, Fenster zu, 60° neben Achse……-2.5 dB…..Faktor 0.7
180 m…..Quersträsslein über Feld, Baum….. 9.0 dB…..Faktor 2.8 stärker
310 m…..Vor altem Haus Mülibach, 40° neben E-Achse…..16.5 dB …..Faktor 6.7 stärker
360 m…..Vor Fokolarhaus…..17.5 dB…..Faktor 7.5 stärker
360 m…..Im Fokolarhaus, 1. Stock, Fenster offen…..18.5 dB…..Faktor 8.4 stärker als amtl. Messort

Sektor West, 957.8 MHz, Sunrise, ca. 20° neben der D-Achse:

35 m…….Fussweglein….. 10.0 dB …..Faktor 3.1 stärker als amtl. Messort
85 m…….Bushaltestelle, ca. 40° neben D-Achse…..10.0 dB…..Faktor 3.1 stärker
160 m…..Birststr. 22, 2. Stock, Fenster zu……15.5 dB…..Faktor 5.9 stärker
180 m…..Quersträsslein über Feld, Baum…..13.5 dB…..Faktor 4.7 stärker
310 m…..Vor altem Haus Mülibach, 0° neben D-Achse …..12.5 dB…..Faktor 4.2 stärker
360 m…..Vor Fokolarhaus…..11.0 dB…..Faktor 3.5 stärker
360 m…..Im Fokolarhaus, 1. Stock, Fenster offen…..11.5 dB…..Faktor 3.7 stärker als amtl. Messort

Sektor Süd, 1810.8 MHz, Orange, ca. in der E-Achse:

55m…….Gartentor…..0.0 dB…..Faktor 1.0
75 m…….Haldenstr. 2, 3. Stock, Fenster offen…..2.5 dB…..Faktor 1.3 stärker als amtl. Messort
110 m…..Haldenstr.2, Strasse, Ecke SE…..-0.5dB…..Faktor 0.9
140 m…..Eingang Ev. Kirchgemeindehaus, Strasse…..2.5 dB…..Faktor 1.3 stärker
140 m…..Ev. Kirchgdehaus 1. Stock, Fenster offen…..-4.0 dB…..Faktor 0.6
190 m…..Leihgasse 100, Westkante, Terrain flach…..4.5 dB…..Faktor 1.7 stärker
300 m…..Vor Neub. Burgwd.,Terr.15 m höher, Überlauf…..> 9 dB…..Faktor >3 stärker
320 m…..Burgm.40, Terr. erh., 1.Stock, Fenst. offen, 30°…..6.0 dB…..Faktor 2.0 stärker als amtl. Messort

Sektor Süd, 949.6 MHz, Sunrise, ca. 20° neben der D-Achse:

55 m…….Gartentor…..-0.5 dB…..Faktor 0.9
75 m…….Haldenstr.2, 3. Stock, Fenster offen…..1.0 dB…..Faktor 1.1
110 m…..Haldenstr. 2, Strasse, Ecke SE…..-1.5 dB……Faktor 0.8
140 m…..Eingang Ev. Kirchgemeindehaus, Strasse…..-4.5 dB…..Faktor 0.6
140 m…..Ev. Kirchgdehaus 1. Stock, Fenst. offen…..-11.0dB…..Faktor 0.3
190 m…..Leihgasse 100, Westkante, Terrain flach…..-3.5 dB…..Faktor 0.7
300 m…..Vor Neubau Burgweid, Terrain ca. 15 m höher…..4.5 dB…..Faktor 1.7
320 m…..Burgm.40, Terr. erh., 1.Stock, Fenst. offen, 0°…..7.5 dB…..Faktor 2.3 stärker als amtl. Messort

Überall sind nur Verhältnisse angegeben, verglichen mit dem amtlichen Messort.
Absolut gesehen hat man im Fokolarhaus bei beiden Frequenzbändern leicht weniger Strahlung als vor dem Neubau Burgweid.

Zusammenfassung:

Die amtlichen MessOrte, gewählt nach den BUWAL-Regeln, liegen von der Strahlung her ganz falsch. Die Messung darf nicht gerade dort gemacht werden, wo man am wenigsten Strahlung hat. Die Auswahl der Messorte darf wegen der 15 dB-Regel nicht durch die höchste errechnete Strahlung bestimmt werden.

Es gibt je nach Auswahl der Messpunkte nicht 10% mehr oder weniger Strahlung, sondern vollständig andere Werte! In grösseren Entfernungen ist die Strahlung drei- bis achtmal so stark wie unter der Antenne, wo offiziell gemessen wird. Diese Zahlen lassen sich nicht unbesehen auf andere Anlagen übertragen, weil Distanz / Höhenwinkel / Seitenwinkel / Terrain immer undurchsichtig miteinander verknüpft bleiben.

Dass man in 300 m noch den Anlagegrenzwert überschreitet, ist bei dieser Anlage nicht zu befürchten, sofern die Leistungen eingehalten werden (jetzt nur noch die halbe Leistung gegenüber der ersten Ausschreibung, der hohe Standort ist günstig). Aber das Messverfahren selber ist nicht tauglich, um Überschreitungen zu entdecken. Die Fehler des Rechenverfahrens (unberücksichtigte Reflexionen) können nicht mit Messungen am falschen Ort weggeredet werden. Direkt unter der Antenne sind die Spitzenwerte nicht stark genug (15 dB-Reserve), und weiter weg, wo der Mittelwert 50% bis 75% des Anlagegrenzwertes ausmacht, wird nicht mehr gemessen! Eine lokale Verdoppelung infolge Reflexionen wird deshalb weder durch Rechnung noch durch Messung erkannt.

siehe auch: Aus der Trickkiste akkreditierter Messfirmen (unter Recht oder Unrecht)

Von Hans-U. Jakob

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