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Kontrollwahn – oder Big Brother?

Kontrollwahn – oder Big-Brother?

Gigaherz, 7.2.06

Dienste zur Ortung von Kindern sind „in“.
Sind Kinder nicht zum festgelegten Zeitpunkt zu Hause, machen sich Eltern Sorgen, denn es könnte ihnen ja was zugestossen sein. Daher kommt ihnen ein neuer Ortungsdienst gerade recht, er erlaubt ihnen, ihr Kind ständig zu überwachen. In Deutschland heisst dieser Dienst Trackyourkid. Das funktioniert so: ein SMS an den Mobilfunkbetreiber, der kann das Handy und den momentanen Aufenthaltsort orten und meldet ihn ebenfalls per SMS den Eltern und zwar auf 50 Meter genau in Städten, auf dem Land können es 200 Meter eter sein. Mobiltelefone stehen ja mit dem Funksignal in ständigem Kontakt zur nächsten Antenne.

Ortungshandy auch in der Schweiz
Würde ein Mobilfunkanbieter mitmachen, käme Trackyourkid auch gerne in die Schweiz. Bis jetzt gibt es einen solchen Dienst nicht, aber Swisscom, Orange oder Sunrise haben den Braten bestimmt schon längst gerochen und werden früher oder später ins Geschäft mit besorgten Eltern einsteigen. Sunrise zumindestens signalisiert gemäss Aussagen ihrer Sprecherin Monika Walser bereits Interesse.

Mobi-Click Junior-Tel, das Dreitastentelefon
der Chamer Firma Mobi-Click, dient immerhin heute schon zur Ortung der Kinder, denn sie können ein SMS senden und erhalten innerhalb weniger Minuten eines zurück, mit der Zellennummer auf dem Handybildschirm. Swisscom gibt eine geografische Bezeichnung an, also den Namen des Ortes, Sunrise und Orange muss angefragt werden. In Grossbritannien ist der Zellenplan via Internet einzusehen, in der Schweiz wird er noch unter Verschluss gehalten. Wielange wohl noch? Big-Brother ist überall.

Die Kinder merken nichts von der SMS-Abfrage
Mit der Schutzzonenfunktion des Junior-Tel können Eltern bestimmte Gegenden, z.B. den Schulweg festlegen. Sie erhalten automatisch eine SMS zur Warnung, wenn das Kind den vorgegebenen Weg verlässt. Nicht genug damit: Mit dem Modell Mobi-Click Compact können sie heimlich mithören.

Die Kinder werden das Handy kaum abschalten, denn sonst kommen sie später bei den Eltern in Erklärungsnot oder verpassen andere Kontakte mit Freunden. Der Soziologe Michael Feldhaus von der Uni Oldenburg hat in einer Untersuchung zum Thema Handy und Familie herausgefunden, dass viele Eltern ihre Sorge um die Kinder mittels Handy zu reduzieren suchen. Weil die Kinder ständig erreichbar sind, dürfen sie vielleicht manchmal eher ausgehen, was ihnen sonst nicht gestattet würde, aber sie sind dafür unter ständiger Kontrolle.

Die rechtliche Entscheidung über Kontrolle Minderjähriger liegt bei den Eltern
sagt Kosmas Tsiraktsopulos, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten. Der Pferdefuss: theoretisch könnten sich mit einem Mobi-Click auch Eheleute hinterherspionieren. Tsiraktsopulos sagt, dass dies gegen den Datenschutz verstösst und einklagbar ist. Der PR-Manager Peter Keller weiss zwar, dass das eine Art Gratwanderung ist, aber da die Firma den Mobi-Click ausdrücklich als Sicherheitssystem anbietet, sieht sie keine Verletzung des Gesetzes. Der Datenschutzbeauftragte stimmt dem zu und ist der Meinung, das Verbot des Gerätes wäre falsch.

Eltern als Big-Brother?
Franz Ziegler vom Kinderschutz Schweiz steht dieser Entwicklung skeptisch gegenüber, vor allem dann, wenn dies dazu führen würde, die Kinder mehr sich selbst zu überlassen, ja sie zu vernachlässigen. Ein weiterer negativer Punkt wäre, wenn Eltern sich nicht mehr mit ihren Kindern auseinandersetzen würden, sondern nur noch Kontrollfunktion hätten. Er hält technische Dienste als pädagogische Mittel für ungeeignet, denn sie zerstören das Vertrauen, und das ist der Tod jeder Beziehung. Ausserdem wiege man sich in falscher Sicherheit, denn Kinder könnten dazu verführt werden, sich in grössere Gefahr zu begeben, mit allen fatalen Folgen. Sein Vergleich: „Wenn man in die Berge geht und es kommt ein Sturm auf, kann einem trotz Ortungsdienst niemand helfen.“

Wie sieht es die Polizei?
Rolf Gasser, Präventionsspezialist bei der Kantonspolizei Zürich sieht es ähnlich. Er spricht aus Erfahrung, das System taugt wenig zur Verbesserung der Sicherheit der Kinder, auch nicht, um Verbrechen zu verhindern. Sicher ist: mit der Angst lassen sich gute Geschäfte machen.

Vom Armband an der Hand zum Chip unter der Haut
In den USA wirbt Wherify für ihre Kinderarmbanduhr mit eingebautem GPS-Empfänger, einem satellitengestützten System zur Positionsbestimmung. Wenn Funkverbindung besteht, kann der Ort der Uhr durch integrierte Handyelektronik abgefragt. Das Armband des Kindes kann nur per Fernbedienung vom Arm des Kindes gelöst werden.

Wie vieles, was in Amerika entwickelt wird, sei es klug oder dumm, kommt früher oder später auch nach Europa. So auch diese elektronische Fessel, gemäss Meldung der TIMES ist sie für 148 Dollar erhältlich. Wherify will in Europa und Asien den handy-ähnlichen GSM GPS Locator auf den Markt bringen, auch für die Schweiz. Ein Kinderhandy und GPS-Empfänger wurde in Südkorea mit der Unterstützung vom grössten Netzanbieter des Landes auf den Markt gebracht.

Aus Japan wurde über einen Test berichtet, wo Schülerinnen und Schüler Funketiketten (RFID-Chips) am Schulthek tragen, damit sie auf dem Schulweg überwacht werden können. Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: Das US-Unternehmen Applied Digital Solutions arbeitet an der Entwicklung eines Chip, der den Kindern zur Ortung unter die Haut gepflanzt wird, ähnlich, wie das bei uns mit Hunden gemacht wird. Wie ein Hund liess sich denn auch Mexikos Generalstaatsanwalt einen Chip implantieren, um Entführer abzuschrecken.

(Quelle: TA oneline)

Von Hans-U. Jakob

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