News

Handynutzung bei Kindern und Jugendlichen

Mobilfunk – Ein Feldversuch an unsern Kindern?

von Dr. med Edith Steiner, Schaffhausen
erschienen in der Zeitschrift der
Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz
Oekoskop Nr 1/16
einsehbar unter http://www.aefu.ch
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Frau Dr. med Edith Steiner und der Redaktion Oekoskop

Publiziert bei Gigaherz.ch am 4.2.2017

Ungeborene, Säuglinge, Kinder und Jugendliche durchlaufen beim Erwachsenwerden viele Entwicklungs- und Wachstumsphasen, die sie besonders empfindlich und verletzbar machen, auch gegenüber technischen Umwelteinflüssen [1]. Sie sind auch von möglichen Spätfolgen der Mobilfunkstrahlung am stärksten betroffen.


Bild oben: Titelseite Oekoskop 1/16

Risikoforschung beim Kind prioritär
Bis heute gibt es kaum Studien, die Langzeitauswirkungen erhöhter Funkbelastung und veränderter Lebensgewohnheiten durch Handynutzung bei Kindern und Jugendlichen
untersucht haben. Eine erste Fallkontrollstudie über Kinder u.a. auch aus der Schweiz, die zwischen 2004 und 2008 an einem Hirntumor erkrankten, zeigte kein erhöhtes Tumorrisiko durch Handynutzung. [5]. Dies allerdings mit dem Vorbehalt, dass
die Handynutzung damals noch sehr gering war. 45 % der Kinder nutzten das Handy praktisch nie und nur 14 % hatten bei Tumordiagnose schon über 144 Stunden telefoniert. Eine zweite grössere Fall-Kontrollstudie namens ‹MOBI-KIDS› [6] läuft seit 2010. In der WHO-Forschungsagenda 2010 zu Mobilfunk werden prospektive Kohortenstudien bei Kindern und Jugendlichen sowie Studien zu Auswirkungen von prä- und postnataler Exposition als dringlich eingestuft [7]. Einem vom Bundesrat eingesetzten Expertenteam lagen 2014 erst drei Studien vor, teilweise mit Hinweisen für Effekte von vorgeburtlicher Hochfrequenzexposition auf das kindliche Verhalten [4].

Smartphones machen Nacht zum Tag
Smartphones sind handlich, multifunktional und erobern den Alltag der Jugendlichen und Kinder im Sturm Eine Forschergruppe der psychologischen Fakultät der Universität Basel untersuchte im Jahr 2012/2013 bei 362 minderjährigen Jugendlichen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen abendlicher Elektroniknutzung und depressiven Symptomen und ob diese durch verkürzte Schlafzeit, Ein- und Durchschlafstörungen vermittelt sind. Zusätzlich verglich sie Jugendliche mit Smartphones mit solchen, die nur ein einfaches Mobiltelefon besassen [8]. Die Basler Studie zeigte, dass die Jugendlichen mit Smartphones abends mehr Elektronik nutzten. Die Datenauswertung ergab einen Zusammenhang zwischen abendlicher Elektroniknutzung mit kürzerer Schlafdauer, vermehrten Schlafstörungen und depressiven Symptomen. Eine Regressionsanalyse der Daten zeigte, dass der Zusammenhang zwischen abendlicher Elektroniknutzung und depressiven Symptomen über Schlafstörungen vermittelt ist. In der sehr interessanten Diskussion stellte die Forschergruppe ihre Studienergebnisse in den Kontext zum bestehenden Wissen, dass

• Depressionen bei Heranwachsenden häufig sind
• Depressionen und verminderte Schlafdauer bei Jugendlichen säkular zunehmen
• Schlafstörungen und Depressionen zusammenhängen
• Elektroniknutzung und Depressionen zusammenhängen
• Schlafentzug zu depressiven Symptomen führt
• die Elektroniknutzung seit 1960 zunimmt

Aufgrund ihrer Studienresultate schlug die Basler Gruppe vor, Schüler/innen präventiv entsprechend zu informieren und schlafhygienisch im Umgang mit abendlicher Elektroniknutzung zu instruieren. Damit könnte möglicherweise auch die starke Zunahme an Depressionen bei Jugendlichen eingedämmt werden.

Emotionale und physikalische Weckeffekte
Die Basler Forschergruppe diskutiert einfache Mechanismen als möglichen Grund für den Zusammenhang zwischen Schlafstörung und Elektroniknutzung: Verminderte Schlafhygiene wegen spätem Lichterlöschen oder ungenügender körperlicher Aktivität tagsüber, emotionale Weckeffekte durch den Inhalt der Elektroniknutzung, physikalische Weckeffekte durch das Blaulicht der Bildschirmbeleuchtung.

Wieder schlafen lernen?
Eine ebenfalls im Jahr 2012/2013 durchgeführte Schweizer Kohortenstudie (HERMES-Studie) versuchte bei 439 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren die kumulative alltägliche Funkexposition abzuschätzen und mögliche negative gesundheitliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der Nutzung von Mobiltelefonen und der Strahlenbelastung zu erfassen.
Die befragten Jugendlichen gaben an, im Durchschnitt 17 Minuten täglich mit dem Mobiltelefon und 9 Minuten mit dem Schnurlostelefon zu Hause zu telefonieren. Die Jugendlichen nutzten das Handy 40 Minuten für Internetanwendungen, davon 11 Minuten über Mobilfunk und 30 Minuten über WLAN. Zusätzlich surften sie im Durchschnitt 1 Stunde drahtlos über Computer/Laptop/Tablet. Das Smartphone wurde 4.4 Stunden nahe am Körper getragen [12].
70 % stellten ihr Smartphone nachts nicht ab. 21 % wurden nachts mindestens einmal pro Monat durch eine Nachricht geweckt, wovon 67 % darauf antworteten. Die HERMES-Studie zeigte unter anderem, dass nächtliche Handynutzung mit signifikant mehr Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erschöpfbarkeit und vermindertem Wohlbefinden assoziiert ist [13]. Die Forschergruppe schlägt vor, Jugendliche im Hinblick auf die Handynutzung zu einem besseren Schlafverhalten anzuleiten.

Gestörter Lernprozess?
Eine Zürcher Forschergruppe untersuchte den Effekt von Handyexposition auf schlafabhängige Lernprozesse. Denn es ist bekannt, dass abendliche bzw. nächtliche Handystrahlung das Schlaf-EEG im für schlafabhängige Lernprozesse relevanten langsamwelligen (< 4.5 Hz) und im Spindelfrequenzbereich (12–15 Hz) beeinflusst [14]. Die Jugendlichen mussten abends eine Lernaufgabe lösen. Während der ganzen Nacht wurden sie einem gepulsten Mobilfunksignal mit SAR-Werten von 0.15 W/kg ausgesetzt. Am Morgen mussten sie die gleiche Lernaufgabe erneut lösen. Unter Exposition waren die für schlafabhängige Lernprozesse typischen Hirnströme verändert und morgens die schlafabhängige Leistungsverbesserung reduziert. In der erwähnten HERMES-Studie zeigen die am stärksten funkbelasteten Jugendlichen im Longitudinalverlauf ein vermindertes Kurzzeitgedächtnis [23].

Machen Smartphones dick?
Gemäss der neuesten Erhebung der JAMES-Studie [15] zur Mediennutzung und zum Freizeitverhalten bei Jugendlichen besitzen 98 % der 12- bis 17-Jährigen ein Mobiltelefon, 97 % davon ein Smartphone. Die Nutzung des Handys wird als beliebte und häufigste Freizeitbeschäftigung angegeben. Noch lieber, aber etwas weniger häufig, treffen sie Freunde oder hören Musik.
Die grosse internationale Kohortenstudie COSMOS [16] untersucht prospektiv mögliche Zusammenhänge zwischen der Nutzung von drahtlosen Kommunikationsgeräten, der Exposition mit elektromagnetischen Feldern und der Gesundheit innerhalb grosser Personengruppen ab 18 Jahren. Erste Ergebnisse der Basiserhebung zeigen einen dosisabhängigen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Handynutzung. Die COSMOS-Autor/innen empfehlen, auch bei Jugendlichen Untersuchungen zu Gewichtsverlauf und Handynutzung durchzuführen.

Links für den Praxisalltag
• Information zur Reduktion der Strahlenbelastung: www.bfs.de; www.bag.admin.ch
• Interessanter Newsletter der beratenden Expertengruppe NIS (BERENIS) unter http://www.bafu.admin.ch/elektrosmog/01095/15189/index.html?lang=de, abonnierbar per Email an: stefan.dongus@unibas.ch  (mit Betreff ‹Abonnement Newsletter BERENIS›)
• Praktische Information für Eltern zu Kind und Medien: Jugend und Medien http:// www.jugendundmedien.ch
• Ihr Backoffice für spezielle Fragen zu elektromagnetischen Feldern und Gesundheit: umweltberatung.aefu@bluewin.ch (Frau Dr. med. Edith Steiner)
• Mehr Hintergrundinformation auf unserer Webseite www.aefu.ch (Thema Elektrosmog und umweltmedizinische Beratung)

Dr. med. Edith Steiner ist Mitglied des Zentralvorstandes der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) und leitet deren interne ‹Arbeitsgruppe elektromagnetische Felder› sowie das Projekt ‹Umweltmedizinisches Beratungsnetz›. Edith Steiner vertritt die AefU in der vom Bundesamt für Umwelt BAFU einberufenen beratenden Expertengruppe NIS (BERENIS).
umweltberatung.aefu@bluewin.ch, www.aefu.ch

Literaturverzeichnis
[1] Broschüre Kind-Umwelt-Gesundheit; Herausgeber Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU); September 2007; http://www.aefu.ch/themen/kind/
[2] IARC Monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, Volume 102 (2013) Non-Ionizing Radiation, Part 2: Radiofrequency Electromagnetic Fields (S 383ff); http://monographs.iarc.fr/ENG/Monographs/vol102/
[3] Baan R, et al.; WHO International Agency for Research on Cancer Monographh Working Group. Carcinogenicity of radiofrequency electromagnetic fields. Lancet Oncol. (2011); 12(7):624-6.
[4] Beurteilung der Evidenz für biologische Effekte schwacher Hochfrequenzstrahlung. Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Basel, Juni 2014; http:// www.bafu.admin.ch/elektrosmog/01095/01096/index. html?lang=de
[5] Aydin D, Feychting M, Schüz J et al. Mobile Phone Use and Brain Tumors in Children and Adolescents: A Multicenter Case-Control Study. J Natl Cancer Inst (2011); 103(16):1264-76.
[6] MOBI-KIDS: Risk of brain cancer from exposure to radiofrequency fields in childhood and adolescence; http:// www.crealradiation.com/index.php/mobi-kids-home
[7] WHO Research Agenda for Radiofrequeny Fields 2010; http://www.who.int/peh-emf/research/agenda/en/
[8] Lemola S, Perkinson-Gloor N, Brand S, et al. Adolescents’ electronic media use at night, sleep disturbance, and depressive symptoms in the smartphone age. J Youth Adolesc. (2015); 44(2):405-18.
[9] Cain N, Gradisar M. Electronic media use and sleep in school-aged children and adolescents: A review. Sleep Med (2010);11(8): 735-42.
[10] Cajochen C, Frey S, Anders D, et al. Evening exposure to a light-emitting diodes (LED)-backlit computer screen affects circadian physiology and cognitive performance. (2011) Journal of Applied Physiology; 110: 1432–1438.
[11] Van der Lely St, Frey S, Garbazza C, Wirz-Justice A, et al. Blue blocker glasses as a countermeasure for alerting effects of evening light-emitting diode screen expousre in male teenagers. J Youth Adolesc. (2015); 56: 113-119.
[12] Roser K, Schoeni A, Burgi A, Röösli M. Development of an RF-EMF Exposure Surrogate for Epidemiologic Research. Int J Environ Res Public Health (2015); 30: 680-687.
[13] Schoeni A, Roser K, Röösli M. Symptoms and cognitive functions in adolescents in relation to mobile phone use during night. Plos One (2015)10(7):e0133528. doi: 10.1371/journal.pone.0133528. eCollection 2015
[14] Lustenberger C, Murbach M, Dürr R, et al. Stimulation of the brain with radiofrequency electromagnetic field pulses affects sleep-dependent performance improvement. Brain Stimulation (2013); 6: 805-811.
[15] JAMES (Jugend; Aktivitäten: Medienerhebung Schweiz): Willemse I et al. Ergebnisbericht zur JAMESStudie 2014. http://www.jugendundmedien.ch/fileadmin/user_upload/ Fachwissen/JAMES/Ergebnisbericht_JAMES_2014. pdf
[16] COSMOS: Toledano MB, Smith RB, Chang I et al. Cohort profile: UK COSMOS – a UK cohort for study of environment and health. Int. J. Epidemiol. (2015) 1-13.
[17] Lauer O, Frei P, Gosselin MC et al. Combining Near- and Far-Field Exposure for an organic-specific and whole-body RF-EMF Proxy for epidemiological research: A reference case. Bioelectromagnetics (2013); 34: 366-374.
[18] Gosselin MC, Kühn S, Kuster N. Experimental and numerical assessment of low-frequency current distrubutions from UMTS and GSM mobile phones. Phys Med Biol (2013); 58(23):8339-57
[19] Urbinello D, Röösli M. Impact of one’s own mobile phone in stand-by mode on personal radiofrequency electromagnetic field exposure. J Expo Sci Environ Epidemiol. (2013); 5:545-8
[20] Frei P, Mohler E, Neubauer G, et al. Temporal and spatial variability of personal exposure to radio frequency electromagnetic fields. Environ Res (2009); 109(6):779-85
[21] Tomitsch J, Dechant E. Exposure to electromagnetic field in households-trends from 2002-2012. Bioelectromagnetics (2015); 1: 77-85
[22] Urbinello D, Joseph W, Verloock L et al. Temporal trends of RF-EMF exposure in everyday environments across European cities. Environ Res (2014); 134:134-42
[23] Schoeni A, Roser K, Röösli M. Memory performance, wireless communication and exposure to radiofrequency electromagnetic fields: A prospective cohort study in adolescents; Environment International (2015); 85: 343-351

Von Hans-U. Jakob

Kommentare sind ausgeschaltet