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Erneut Schäden durch Mobilfunk-Sendeantenne auf Bauernhof

Der Landbote Winterhur 5.9.01

IN REUTLINGEN GEBEN ZWEI MOBILFUNKANLAGEN ZU REDEN

Erneut Aufregung um Handy-Antennen

JEAN-PIERRE GUBLER

Zusammen mit seiner Frau bewirtschaftet Hans Sturzenegger den «Rütihof» nördlich von Reutlingen. Besonders idyllisch ist der 28-Hektar-Betrieb unmittelbar neben der Autobahn nicht gerade gelegen. Für die Familie bedeutet er jedoch seit 25 Jahren das Zuhause, vor allem seit sie vor acht Jahren auf dem städtischen Land im Baurecht bauen konnte. Sturzeneggers sind gewiss nicht Technikfeinde, im Gegenteil. Und als vor drei Jahren der
Mobilfunkbetreiber Orange die Stadt anfragte, ob er eine Antennenanlage auf
dem Hof hinter der Wagenremise bauen könnte, sagten sie zu. Schliesslich
sollten sie mehr als die Hälfte der 3500 Franken Jahresmiete erhalten – ein
willkommener Zustupf ans Familienbudget. Die GSM-Anlage wurde installiert
und im Mai 1999 aufgeschaltet. Heute sind Sturzeneggers überzeugt, dass
damit ihre Schwierigkeiten ihren Anfang nahmen.
Erstmals richtig stutzig wurde der Meisterlandwirt, als in seinem Stall kurz nacheinander drei blinde Kälber geboren wurden, etwas, was in seiner langjährigen Praxis noch nie vorgekommen war. Natürlich wurde zuerst eine Krankheit vermutet, um so mehr, als die Anzeichen auf eine «MD-VD»-Infektion hinwiesen, eine virusbedingte Schleimhautkrankheit verbunden mit Diarrhöe-Anfällen. Die befallenen Tiere, beziehungsweise ihre Mütter wurden daraufhin untersucht – der Befund war negativ. Der Verdacht, die Strahlenbelastung durch die Antenne auf dem Hof könnte etwas mit dem Pech im Stall zu tun haben, verstärkte sich. Denn da waren noch andere Anzeichen, die man zuerst nicht in diesen Zusammenhang gebracht hatte.

Jahrelang hatte zum Beispiel ein Pärchen Schleiereulen in der Rütlihofscheune gebrütet.
Hatte, denn letztes Jahr kehrten die seltenen Vögel eines Tages nicht mehr zu ihrem Nest zurück und die beinahe flüggen Jungvögel verhungerten, trotz des
Noteinsatzes eines Seemer Vogelschützers. Klar, die Vögel könnten umgekommen sein, sagt Sturzenegger, doch beide am gleichen Tag? Dann die Sache mit den Turmfalken, die seit jeher in der Tabakscheune brüteten, auch dieses Frühjahr. Nur, dass noch im Juli ein Doppelgelege von zehn Eiern im Nest lag (gemäss Fachleuten ein Stressanzeichen, normal sind es fünf) und am Schluss kein einziges ausgebrütet wurde. Vielleicht Zufall. Doch
Sturzeneggers unerklärliche Rückenbeschwerden …
Als nun vor einigen Monaten die Betreiberfirma brieflich ankündigte, sie gedenke, die Leistung der Rütlihof-Anlage zu verdreifachen, «hat’s mir den Deckel gelupft», sagt Sturzenegger. Denn inzwischen waren nochmals zwei «Serbel»-Kälber geboren worden, deren Missbildungen unerklärbar blieben. Für Sturzenegger neben der finanziellen Einbusse auch eine emotionale Belastung.
Auf die «zweitausend Stutz» würde er liebend gerne verzichten, wenn wieder Ruhe auf dem Hof einkehrte.

Es gingen ein paar Briefe an ein paar Ämter, es gab einige Besuche und Nachmessungen. Nach längerem kam auch der städtische Bausekretär, die
Chefin des kantonalen Veterinäramts und eine Orange-Delegation. Man
erklärte, diskutierte, beschwichtigte. Dann war wieder Funkstille.
Dies die Sicht des betroffenen Bauern. Jene von Orange ist dieser diametral
entgegengesetzt. «Es gibt nachweisbar keinen Zusammenhang zwischen Antennenemissionen und den Krankheitsfällen im Rütlihof », betont Thomas
Camenzind von der Fachstelle Umwelt der Firma. Tatsache sei, dass die
erwähnte Viruskrankheit schwer zu erkennen sei und eine viel umfassendere
Untersuchung der ganzen Herde nötig wäre, zu der aber Sturzenegger aus
Kostengründen nicht bereit sei. Auch habe eine Nachmessung an Ort gezeigt,
dass die strengen, gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte auch nicht annähernd
erreicht würden. Schliesslich sei Orange der Bauernfamilie insofern
entgegengekommen, als die geplante UMTS-Antenne jetzt nicht wie vorgesehen auf dem Rütlihof installiert wird.
In der Tat wurde kürzlich bekannt, dass eine weitere, 30 Meter hohe Anlage südlich davon am Dorfrand von Reutlingen zu stehen kommt.
Damit sind aber viele Reutlinger nicht einverstanden, vor allem, da die meisten von Sturzeneggers Erfahrungen mit «seiner» Antenne Kenntnis haben. Es gehe nicht um die Anlage an sich, betonen sie, wohl aber um deren Standort. Warum, fragt man sich im Dorf, muss die Anlage so nahe am Wohngebiet zu stehen kommen?

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des Winterthurer Landboten.
Eine wohltuende Abwechslung im Wald der kleinen Lokalzeitungen, welche meistens aus Angst vor dem Verlust von Inseratenaufträgen und PR-Prämien liebend gern auf solche Publikationen verzichten.
Der Rütihof von Reutlingen ist der 3. uns bekannte Hof in der Schweiz mit grossen Schwierigkeiten infolge Mobilfunkstrahlung. Die Adressen werden von der Redaktion Gigaherz gerne an weitere betroffene Landwirte vermittelt, die unter sich direkten Kontakt aufnehmen möchten.
Hans-U.Jakob www.gigaherz.ch

Von Hans-U. Jakob

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