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Ein Klick und Mami ist am Telefon

„Ein Klick und Mami ist am Telefon“

Im Preis des Kinderhandys inbegriffen: Leukämie und Hirntumor. Heilungskosten exklusiv.
Als redaktionelle Beiträge getarnte ganzseitige Inserate in Migros-Magazin, Beobachter usw.

von Evi Gaigg, 31.10.04

In Wirklichkeit ist es gar nicht das Migros-Magazin selbst, sondern unter dem Titel Publireportage (offenbar das neues Wort für „Inserat“?) ein ganzseitiges, raffiniert als redaktioneller Beitrag getarntes Inserat des Mobilfunkbetreibers ORANGE. Unter „Anzeige“ segelt der genau gleiche Beitrag übrigens auch im „Wächter der Nation“, dem BEOBACHTER Nr. 22 vom 29.10.4. Weitere derartige Inserate in anderen Teilen der Presse sind zu erwarten.

Zur Verfügung gestellt mit Bild und Text für diese „Publireportage“ hat sich Frau Irene Omlin aus Sarnen OW, mit ihren beiden Kindern Vanessa (8) und Manuel (6). Computer, Fernseher und Videorecorder gehörten zu den eigentlichen Lieblingsspielzeugen ihrer Kinder, sagt Frau Omlin einleitend, wobei sie dann ohne grosse Umschweife zum neuen Mobi-click, lies: Mobiltelefon für Kinder kommt. Und wie könnte es anders sein? Auch von diesem sind die Kinder natürlich fasziniert, werden ein solches, wie wahrscheinlich ungezählte andere Kinder im Schweizerland, als neues (leider gefährliches) Spielzeug zu Weihnachten unter dem Christbaum finden. Die PR-Maschine dafür wurde soeben und rechtzeitig in Gang gebracht.

Drei verschieden farbige Tasten hat dieses Mobi-Click,
wie unten im Inserat abgebildet, mit dem die Kleinen Mami, Papi oder Grosseltern dank ORANGE herbei rufen können, denn diese kümmert sich in geradezu rührender Weise um die ständige Erreichbarkeit Erwachsener für unsere Jüngsten, sprich: um das zu erwartende lukrative Geschäft, das sich mit diesem letzten Schrei auf dem Handymarkt machen lässt.

Eine Hand wäscht die andere
Die mächtigste Schweizer Grossverteilerin Migros stellt ORANGE nicht nur ihre Zeitung als Werbeportal zur Verfügung, sondern hat, das gute Geschäft mit Handys riechend, schon lange die Schmuckabteilungen in den Migrosmärkten aufgelöst und durch Handyshops ersetzt. – Der Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler würde sich im Grab herumdrehen, hätte er Kenntnis von der neuen Geschäftspraxis seiner Nachfolger und wie sie mit den ethischen Werten, die er bei der Gründung der Migros vorgegeben hatte, heute umgehen.

Auch der BEOBACHTER scheut sich nicht, ein solches Inserat aufzunehmen, nach der Devise: „Geld stinkt nicht.“ Enttäuschend, dass gerade der BEOBACHTER nicht mehr Fingerspitzengefühl und Verantwortung gerade Kindern gegenüber, als der schwächsten Personengruppe, aufbringt. Die Redaktionsleitung müsste ihre Mitarbeiter dazu verpflichten, sich in Sachen Elektrosmog durch die Mobiltelefonie kundig zu machen und zumindestens in einem redaktionellen Beitrag die Wirkungen eines solchen Inserates neutralisieren.

Unerbittlicher Verdrängungswettbewerb
ORANGE ist selbstverständlich nicht allein mit dem Angriff auf das noch zu wenig bearbeitete Kundensegment Kinder und Senioren.

„Auf dem Schweizer Markt herrscht ein unerbittlicher Verdrängungswettbewerb. Nur bei Kindern und älteren Menschen ist noch ein Wachstumspotential vorhanden“, outet sich der PR-Chef bei Swisscom, Carsten Roetz. Deutlicher hätte er sich nicht ausdrücken können! Also bringt auch Swisscom demnächst das Kinderhandy auf den Markt, „damit Schlüsselkinder in Handykinder verwandelt werden (!)“ Kinder seien dabei insofern interessant, als sie die eigentlichen Markteinsteiger sind „und Kinder werden grösser…“

Auf den Leim gegangen
Kehren wir zurück zu Frau Irene Omlin, die stellvertretend für andere Mütter steht. Der Appell der ORANGE an ihr Verantwortungsbewusstsein hat gewirkt und sie geht diesem prompt auf den Leim.

„Mobi-Click gibt mir das sichere Gefühl, ständig für meine Kinder erreichbar zu sein.“

Perfider geht es kaum, als mit dem scheinheiligen Appell an das Verantwortungsgefühl und die Sorge der Mütter, der Eltern, um ihre Kinder. Wer möchte schon gerne eine schlechte, verantwortungslose Mutter sein? Was Werbung und „Bearbeitung“ mit allen Mitteln gewiefter PR-Leute doch ausmacht! Und wie leicht es für die Industrie ist, eine so patente Werbeträgerin wie die oben beschriebene Mutter zu finden, die sich gegen ein gutes Honorar, versteht sich, vor deren Werbekarren spannen lässt, nichts ahnend oder nichts ahnen wollend, was sie damit ihren Kindern antut.

Gute Mütter nur mit Handyverbindung?
Zur Erinnerung: gute Mütter, die ihre Verantwortung wahr nehmen, hat es schon immer gegeben, auch ohne den Mobilfunk-Schnickschnack mit Spielzeugcharakter. – Frau Omlin müsste sich ganz dringend über die gesundheitlichen Auswirkungen von Mobiltelefonen auf ihre Kinder informieren, um sie vor späteren Schäden zu bewahren. Dasselbe ist allen Eltern dringend zu empfehlen, bevor sie ihr Kind mit dem zweifelhaften Luxus eines Kinderhandys beglücken.

Leukämie und Hirntumor inbegriffen, Behandlungskosten ausgeschlossen,
müsste daher in dem Inserat stehen, das weiter unten gleich die technischen Daten und die Bezugsquellen angibt. Kinder haben ein noch nicht vollständig ausgebildetes Nervensystem und einen viel kleineren Kopf, die Eindringtiefe der Strahlung ins Kinderhirn ist somit viel grösser. Aber davon steht in der erwähnten „Publireportage“ natürlich nichts.

Dass es für jedes Handy, auch für das Kinderhandy, eine Basisstation mit Sendeantenne braucht, die im schlimmsten Fall vielleicht sogar vor dem Wohnhaus der Omlins und ebenso vor dem anderer Käufer dieser Kindertelefone steht und den Kindern Tag und Nacht ins Kinderzimmer strahlt, auch nicht.

Was ist es denn den Mobilfunkgesellschaften, wenn in ein paar Jahren die Schäden an den Handykindern zutage treten? Es ist ihnen völlig egal. Das Geschäft ist gemacht, die Kasse voll. Aber einer Zeitschrift, die sich rühmt, sich der Schwächsten anzunehmen und für deren Rechte einzutreten, steht es schlecht an, solche Inserate zu schalten, auch wenn diese viel Geld einbringen.

Und eine Grossorganisation wie die Migros hätte ihren jungen Kunden gegenüber mehr Verantwortung. Sie sollte einen Marschhalt im unerbittlichen Konkurrenzkampf einschalten und darüber nachdenken, ob sie das abgekartete Spiel der beiden orangen Riesen nicht von sich aus beenden sollte. Denn „Kinder sind Markteinsteiger, werden grösser“. Ganz richtig, und sie sind die Kunden von morgen, für alle Produkte, nicht nur für Handys – jedoch nur dann, wenn sie gesund bleiben.

siehe auch:

Handys für Kindergartenkinder (unter Gesundheit und Leben)

Weitere interne Links (aus dem Gigaherz-Archiv)

Von Hans-U. Jakob

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