News

„Die Interessenten liefern die Grenzwerte“

„Die Interessenten liefern Grenzwerte“

Horgen: Der ETH-Ingenieur Hans Rudolf Winzeler kritisiert die geplanten Mobilfunkantennen.
Keiner möchte eine Antenne vor der Aussicht, doch jeder hängt am Handy, und über die Strahlenbelastung kursieren Gerüchte, Befürchtungen und Beschwichtigungen. Einer, der über langjährige Erfahrung im Strahlendschungel verfügt, ist der Horgener Elektroingenieur Hans Rudolf Winzeler.

von Barbara Bischof, Zürichseezeitung, mit Freundlicher Genehmigung des Abdruckes

„Alle reden vom Elektrosmog, doch kaum einer hat eine Ahnung davon“, gibt Hans Rudolf Winzeler zu bedenken, „wahrscheinlich bin ich einer der wenigen, der tatsächlich Bescheid weiss.“ Der ETH-Ingenieur war dreissig Jahre lang auf dem Gebiet des Mikrowellen-Richtfunks tätig.
Er wohnt am Füchsenwiesenweg, gegenüber der jüngsten am Hangweg geplanten Mobilfunkantenne, und hat für interessierte Nachbarn ein brisantes Papier verfasst.

„Theoretische Idealbedingungen“
Winzeler: „Auf dem ausgesteckten Mast will Swisscom zwei Antennen anbringen: Die eine verfügt über eine kumuliert abgestrahlte Leistung von 1700 Watt und zielt in etwa auf das seeseitige Panoramabänkli zwischen Hangweg und Rütistrasse. Die andere sendet 1350 Watt und zielt in etwa auf die Häuser Uetlibergstrasse 11 und 13. Es lässt sich rechnerisch abschätzen, welch elektrischen Feldstärken in unserem Quartier dadurch auftreten werden.“

Den Messwerten der Bauherrin hat Winzeler in einer Tabelle weitere hinzugefügt, die von unmittelbar benachbarten Standorten stammen. „Grunsätzlich gelten die Werte unter theoretischen Idealbedingungen“, erläutert er. „Real aber treten stets Reflexionen an Hindernissen wie Häusern oder Bodenunebenheiten auf, die das ursprüngliche Signal der Antennen örtlich auslöschen können – oder aber bis zu einer Verdoppelung verstärken. Zusätzlich spielt es eine Rolle, ob der boden trocken, feucht oder gefroren ist.“

„Kein Nutzen für Anwohner“
Das bestrahlte Hanggebiet westlich der SBB-Geleise werde von der Swisscom bewusst als Passivreflektor missbraucht, um die Signale möglichst weit zu streuen und so zum Beispiel Handybesitzern im Zug reibungslosen Empfang zu garantieren. Die Antenne diene alsoe keineswegs dem Quartier. Dies sei zynisch und verantwortungslos gegenüber den Bewohnern und den zahlreichen Erholungssuchenden in den Schrebergärten und auf den nahen Spazierwegen.

Eine magische Zahl ist der Grenzwert, der in der Schweiz für „Orte mit empfindlicher Nutzung“ bei fünf Volt pro Meter (die Einheit des elektrischen Feldes) liegt. „Er ist höchst umstritten“, warnt Winzeler, „denn wer hat ihn festgelegt? Hauptsächlich Industrielle und Interessenten aus Kreisen der Telekom-Industrie. Doch Fachleute, die sich mit gesundheitlichen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung befassen, fordern zehn- bis hundertfach tiefere Grenzwerte.

„Es existieren keine Langzeitstudien“
Hier tobt ein Glaubenskrieg, denn diese Technologie ist relativ neu, und weltweit existieren bisher keine seriösen Langzeitstudien. Pikantes Detail: Auf der vielbegangenen Brücke neben dem Mast liegt die Strahlung gemäss Swisscom-Angaben bei sechs Volt pro Meter. Die Brücke gilt aber als „Ort für kurzfristigen Aufenthalt“, und darf mit 50 Volt pro Meter bestrahlt werden.

Winzeler weist noch auf ein weiteres Immissionsproblem hin, um das sich Swisscom Mobile nicht schere: Isoliert aufgehängte Drähte, wie die Fahrleitungen der Bahn (sogenannte „Eindraht-Wellenleiter“), eigneten sich hervorragend, um verlustarm Hochfrequenzenergie zu transportieren: „Da die Antenne direkt neben der Bahnlinie zu stehen kommt, darf damit gerechnet werden, dass ihre Hochfrequenzsignale in die Fahrleitungen eingekoppelt und verschleppt werden. Die Wirkungen, die dies für die unmittelbar an der Bahn gelegenen Häuser zeitigt, müssten zwingend von unabhängigen Fachleuten abgeklärt werden.“

„Bereits wurden Sender stillgelegt“
Genau wie 120 Nachbarn hat Winzeler den Baurechsentscheid angefordert. Gleichzeitig sucht er nach einem Juristen, der in dieser Sparte Erfahrungen vorweisen kann. Über Umwege fand er einen Anwalt, der schon zweimal Prozesse über Mobilfunkantennen vor Bundesgericht geführt hatte. Winzeler: „Einen verlor er, jedoch den anderen gewann er zur Hälfte. Es ist also noch nicht erwiesen, dass das Bundesgericht uns keine Chance lässt. Allerdings sind Verfahren nicht billig, doch wir würden damit Pionierarbeit leisten. Auch die Mobilfunkantenne in Witikon muss abgebrochen werden, und der Kurzwellensender in Schwarzenburg BE und der Mittelwellensender in Beromünster LU wurden nach jahrelangem Ringen stillgelegt.“

Von Hans-U. Jakob

Kommentare sind ausgeschaltet