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Das Gehirn unter Dauerbeschuss

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Das Gehirn unter Dauerbeschuss

Ein Schnurlos-Telefon für zu Hause, das Handy für unterwegs, Sendemasten überall: Das Gehirn ist andauernd Mikrowellen ausgesetzt. Jetzt schlagen Forscher Alarm: Die Strahlen schädigen im Tierversuch Hirnzellen.

von Thomas Grether, 11.6.03

Es war der 26. Dezember letzten Jahres. Ex-Miss-Schweiz Tanja Gutmann, 25, lag auf dem Operationstisch im Berner Inselspital. Ärzte entfernten ihr einen drei mal drei Zentimeter grossen Tumor im Kleinhirn. «Ich fühlte mich gesund, und plötzlich war alles anders», sagt Gutmann. Sie habe nach Gründen für den – wie sich herausstellte – gutartigen Tumor gesucht. «Ich dachte gleich an Handystrahlen, weil ich viel damit telefonierte», sagt Gutmann. Seither versuche sie, wann immer möglich aufs Telefon mit Hörerkabel auszuweichen.

Nicht nur sie:Auch der Schauspieler Martin Schenkel mutmasste letztes Jahr im «Blick», dass allenfalls Handystrahlen für seinen bösartigen Hirntumor verantwortlich seien. Schenkel erlag dem Tumor am 26. März im Alter von 34 Jahren.

Laut Herstellern telefonieren in der Schweiz 5,8 Millionen Menschen mit einem Handy. Hunderttausende haben zu Hause ein schnurloses digitales Telefon. Diese Geräte, aber auch die Sendemasten funktionieren mit gepulsten Mikrowellen. Ihre Unschädlichkeit ist nicht bewiesen. Im Gegenteil: Der Verdacht auf ernste Gesundheitsschäden erhärtet sich.

Im Januar dieses Jahres legte der Neurochirurg Professor Leif G. Salford von der Universität Lund in Schweden eine neue Studie vor. Zusammen mit dem Neuropathologen Professor Arne Brun und dem Strahlenphysiker Bertil Perssion setzte er Ratten zwei Stunden lang der Strahlung von Handys aus. Die Untersuchung zeigt deutlich: Mobilfunk-Strahlen schädigen die Hirnzellen von Ratten.

Mit dunklen Flecken übersäte Rattenhirne

Die Strahlung öffnete zudem die Blut-Hirn-Schranke der Tiere, die Schadstoffe abwehrt. So aber drangen Eiweisse ins Gehirn ein. Mögliche Folge: eine verminderte Hirnleistung. Da Rattenhirne dem menschlichen Gehirn sehr ähnlich sind, schliessen die Forscher nicht aus, dass die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind.

Solche Einzelstudien hätten eine «beschränkte Aussagekraft», sagt dagegen Sonja Bietenhard, Geschäftsführerin des von der Handyindustrie finanzierten Forum Mobil. «Übersichtsstudien zeigen, dass unterhalb der geltenden Grenzwerte keine neuen Gesundheitsrisiken nachgewiesen werden können.»

Doch Professor Leif G. Salford und sein Team hatten bereits vor drei Jahren Rattenhirne mit Mikrowellen bestrahlt. Resultat damals: Die Hirne waren übersät mit dunklen Flecken, die die eintretenden Eiweisse gebildet hatten. Die Forscher fanden solche Schäden bei der Hälfte aller Versuchstiere, und zwar bereits bei Strahlungsstärken von einigen Tausend Mikrowatt.

Das grösste biologische Experiment am Menschen

«Wenn man mit dem Handy telefoniert, tritt am Ohr ein Tausendfaches dieser Leistung auf», sagt Wolfgang Maes, der seit Jahren für die Zeitschrift «Öko-Test» Elektrosmog misst. «Mit dieser Intensität muss man in einem Radius von bis zu 100 Metern um einen Sendemast rechnen und meterweit um einen Handy-Telefonierer.»

Professor Leif G. Salford bezeichnet Handys als «das grösste biologische Experiment am Menschen, das es je gegeben hat». Nicht nur er: Professor Werner Mäntele, Biophysiker der Frankfurter Goethe-Universität, spricht von «Millionen von Versuchskaninchen», die ihre «Quittung» vielleicht erst in ein paar Jahren bekommen. Hinweise auf gesundheitliche Beschwerden seien «ungenügend» abgeklärt, räumt sogar Sonja Bietenhard vom Forum Mobil ein. «Weiterführende Forschung ist notwendig.»

Derweil plaudert munter weiter, wer ein Handy oder zu Hause ein schnurloses digitales Telefon hat. Verlässliche Hirntumor-Statistiken gibt es noch nicht, weil die Technik noch jung ist. Professor Lennart Hardell vom Medizinzentrum im schwedischen Örebro zeigt heute schon mögliche Zusammenhänge auf. Er hat über 1600 Hirntumor-Patienten im Alter von 20 bis 80 Jahren untersucht. Die letztes Jahr veröffentlichte Studie zeigt: Tumore kommen vorwiegend auf jener Seite des Kopfes vor, an welcher die Patienten ihre Handys benutzten. Hardell rät davon ab, Kinder mit Handys telefonieren zu lassen. «Bei einem fünfjährigen Kind durchdringen die Mikrowellen beinahe das ganze Gehirn. Bei einem Zehnjährigen immer noch die Hälfte.»

Die Mobilfunk-Industrie hat Konsumenten und Wissenschaft mit der Technik regelrecht überrollt. «Wir hinken hinterher, und es fehlt an Geld für Studien», räumt Mirjana Moser, Strahlenexpertin beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein. Die «Wissenslücken» seien «weiterhin gross», heisst es auch in einer Untersuchung des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Basel.

Das Institut hat selbst keine wissenschaftlichen Tests gemacht, sondern vorhandene Studien geprüft. Resultat: Bei häufigem Telefonieren mit dem Handy sei ein erhöhtes Risiko für Hirntumore «möglich». Neue gesicherte Auswirkungen für die Gesundheit gebe es aber nicht. «Entwarnung! Angst vor Mobilfunk-Antennen lässt sich nicht wissenschaftlich begründen!», behauptete darauf das Forum Mobil.

Die Mobilfunk-Industrie treibt den Ausbau der Netze im Eiltempo voran. In den kommenden Jahren installiert sie das UMTS-Netz, das die Übertragung von Bildern erlaubt. Dafür stellt sie Tausende von zusätzlichen Sendemasten auf – mit dem Segen der Behörden. «Träfe ein neues Medikament (…) auf gleich starke Bedenken, es würde niemals zugelassen», verlautbarte bereits im März 2001 die Wissenschafts-Generaldirektion des EU-Parlaments.

Ärzte an Schweizer Spitälern sind vorsichtig – und schliessen zumindest nicht aus, dass gepulste Mikrowellen von Handys Tumore wachsen lassen. «Im Spital rieten sie mir, fürs Handy eine Freisprech-Einrichtung zu benützen», sagt Tanja Gutmann. Dabei steckt man sich – wie bei einem Walkman – einen kleinen Lautsprecher ins Ohr. Doch dieser hält den Elektrosmog nicht fern, wie eine Studie von «Öko-Test» gezeigt hat. Im Gegenteil: Der Stecker leitet die Strahlen – durch die Ohröffnung – noch direkter ins Gehirn.

Im Auto strahlts am meisten

Telefonieren Sie nur wenn es nicht anders geht mit dem Handy.
Lassen Sie Kinder nicht mit Handy oder Schnurlos-Telefon telefonieren. Die Strahlen durchdringen ihr Hirn tiefer als bei Erwachsenen.
Kommunizieren Sie mit Kurzmitteilungen (SMS).
Telefonieren Sie nicht im Auto. Die Karosserie schirmt ab, so muss das Handy mit voller Leistung senden – die Strahlung ist hoch. Eine Aussenantenne verringert die Strahlen.
Ohr-Stecker schützen nicht vor Elektrosmog: Sie leiten die Strahlung dem Kabel entlang – durch die Ohröffnung – direkt ins Gehirn.
Verwenden Sie zu Hause kein digitales Schnurlos-Telefon (DECT). Es strahlt so stark wie ein Handy. Verwenden Sie normale Kabeltelefone.
(Siehe auch Puls-Tipp Nr. 10/2002)

Von Hans-U. Jakob

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