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68 Anwälte gegen einen Gartenzwerg

Das Bundesgericht setzt dem Kaffeesatzlesen und der Wahrsagerei bei amtlichen Abnahmemessungen an Mobilfunksendern endlich ein Ende.

Von Hans-U. Jakob

Schwarzenburg, 24.9.2013




Kristallkugel.jpgAn Orten empfindlicher Nutzung, das heisst, dort wo sich Menschen länger als 2.2 Stunden täglich aufhalten, müssen die in den Baugesuchen von den Mobilfunkbetreibern  vorausberechneten Feldstärken anlässlich von sogenannten amtlichen  Abnahmemessungen bestätigt werden, wenn die Vorausberechnung mehr als 80% des erlaubten Strahlungswertes beträgt.


Dieses Verfahren sollte der allgemeinen Volksberuhigung dienen, was es anfänglich auch tat. Bis eines Tages bei Gigaherz unter Beilage von Beweismitteln publiziert wurde, dass das angewandte Messverfahren lediglich eine Genauigkeit von ±45% aufwies.

6 Jahre lang gegen eine Mauer geredet

Seit dem Jahr 2007 stand deshalb in jeder der ca. 300 Baueinsprachen gegen Mobilfunksender, bei welcher sich die Verfasser bei der Fachstelle nichtionisierende Strahlung von Gigaherz Rat geholt hatten, sinngemäss Folgendes:

„Von der Baubewilligungsbehörde wird eine Erklärung verlangt, wie unter solchen Umständen die Einhaltung der Grenzwerte garantiert werden soll. Nicht eine juristische Erklärung, sondern eine mathematische, weshalb am Gerät abgelesene 4.95V/m mit ev. +42% immer noch die sicheren 4.9999V/m geben sollen. Kann diese Erklärung nicht beigebracht werden, ist die Anlage nicht bewilligungsfähig.“

Vorgeschichte siehe unter /abnahmemessungen-bundesgericht-erlaubt-weiterhin-wahrsagerei/ /bundesgericht-schuetzt-wahrsager-und-kaffeesatzleser/ und /umts-weiterhin-kaffeesatzlesen-statt-messen/

Die Ausflüchte kommunaler und kantonaler Behörden bis hinauf zu den kantonalen Verwaltungsgerichten waren ebenso vielfältig wie grotesk.

Die bernische Baudirektion meinte einst sogar, die Messtechnik habe gewaltige Fortschritte gemacht, neueste Messgeräte seien von ±33% auf ±45% verbessert worden.

Die meistgehörte Ausrede war indessen, dass der einzuhaltende Anlagegrenzwert sowieso kein Gefährdungswert darstelle, sondern eine Vorsorge, welche sich lediglich nach der technischen Machbarkeit und der wirtschaftlichen Tragbarkeit zu richten habe. Obschon diese absurde These selbst noch in einem Bundesgerichtsurteil 1C_118/2010 vom 20.Oktober 2010 wortreich gestützt wurde, hat derselbe Gerichtshof nun ganz überraschend eine Kehrtwendung um 180° vollzogen.

Die Kehrtwende des Bundesgerichts

In einer Baueinsprache betreffend eines Mobilfunksenders auf der Schützenmatte in Murten fragte die NIS-Fachstelle von Gigaherz das Bundesgericht, wie lange es sich wohl noch dem Spott und Hohn der Bevölkerung aussetzen wolle, indem es vorausberechnete Strahlungswerte die oft nur 1% unterhalb der erlaubten Schwelle lagen, mit Instrumenten kontrollieren wolle, die nicht genauer als ±45% messen könnten.

Das Urteil

In Urteil 1C_661/2012 vom 5.September ist das Bundesgericht nun der Argumentation von Gigaherz gefolgt und hat das Baugesuch mit der Begründung, dass solche Messverfahren nun wirklich nicht mehr dem heutigen Stand der Technik und den heutigen Anforderungen an ein Gerichtsverfahren entsprechen, an die Vorinstanzen zurückgewiesen. Dies mit dem Auftrag, durch das Bundesamt für Metrologie und Akkreditierung abklären zu lassen welche Genauigkeits-Anforderungen an heutige Messverfahren gestellt werden dürfen.

Das Ende der Hüllkurven

Ein weiterer interessanter Aspekt im selben Urteil: Die Baugesuchstellerin Swisscom verwendete im selben Baugesuch 3 Antennendiagramme, welche angeblich sogenannte Hüllkurven für insgesamt 15 verschiedene Antennentypen darstellen sollten. Das heisst, je ein Antennendiagramm sollte jeweils für 5 verschiedene Antennentypen gelten.

Verglich man jedoch diese Hüllkurve mit den neuesten Einzeldiagrammen der Antennenhersteller, ergaben sich in den Strahlungsberechnungen fast durchwegs Unterschiede von 2dB, was Faktor 1.58 oder einem Rechnungsfehler von 58% zu Ungunsten der Anwohner entsprach. Dabei besonders zu beachten waren die Nebenkeulen, die jeweils bei verschiedenen vertikalen Hauptstrahlrichtungen, verschiedene Werte annehmen.

Dieser Dokumentations-(Nach)hilfe hat nun das Bundesgericht auf Antrag von Gigaherz hin ebenfalls ein Ende gesetzt und es wird auch in Zukunft keine Hüllkurven mehr akzeptieren, sondern nur noch Einzeldiagramme.

Der Fall Schützenmatte Murten war beileibe nicht der erste in welchem Hüllkurven zur Anwendung kamen, um rechnerisch die Einhaltung der Grenzwerte besser dokumentieren zu können.

Da dies ein wegweisendes Bundesgerichtsurteil ist, gilt dieses nicht nur für den Fall Schützenmatte Murten, sondern landesweit in allen Kantonen.

Mit dieser überraschenden Kehrtwende haben aber besonders die Oberamtmänner und Verwaltungsrichter des Kantons Freiburg „eins auf den Deckel“ bekommen, die seit dem Kabelbrand in der Basisstation Tentlingen, Einsprecher gegen Mobilfunksender oft wie Kriminelle abgeputzt haben. Der Freiburger Untersuchungsrichter Julmy lies bekanntlich am Samstagmorgen des 18. Januars 2008 Duzende von Einsprechern gegen Mobilfunkantennen polizeilich vorführen um ihnen Brandstiftung vorzuwerfen. Obschon es für jeden Fachmann gleich von Beginn feststand, dass der Brand auf äusserst liederlich ausgeführte Installationsarbeiten mit falsch gewählten Materialien zurückzuführen war. Sehen Sie dazu nach unter /einsprecher-gegen-mobilfunksender-wie-kriminelle-behandelt/

Mit diesem Urteil dürfte das Bundesgericht nun den Freiburger Behörden klar gemacht haben, wie sie in Zukunft Einsprecher gegen Mobilfunkantennen behandeln sollten.

68 Anwälte und keiner versteht etwas von Mobilfunk.

Nichts gebracht hat es dem Baugesuchsteller Swisscom, eine Anwaltsfirma mit 68 Anwälten und Stundensätzen von Fr. 340.- auf die Einsprecher losgelassen zu haben. Was nützen schon 68 Anwälte, wenn keiner etwas von Mobilfunk versteht. Es war übrigens dieselbe Firma, die schon im Bundesgerichtsfall der Hochspannungsleitung Wattenwil-Mühleberg so schmählich gegen die Anwohner verloren hatte. Siehe unter /hochspannunsleitung-wattenwil-muehleberg/

In beiden Fällen liessen sich die Einsprecher ausschliesslich von der NIS-Fachstelle von Gigaherz beraten und begleiten.

68 Anwälte gegen einen Gartenzwerg oder wie sich das internationale Mobbingforum der Mobilfunker und Stromhändler in München auch noch so schön ausdrückt, gegen den wild gewordenen Dorfelektriker von Schwarzenburg.

Von Hans-U. Jakob

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